Entscheidung: Wohngebiet mit besonderem Konzept neben Bertelsmann in Gütersloh geplant

+++ Update, 2. November +++ Mit Mehrheit haben die Ratsfraktionen jetzt entschieden, in Gütersloh erstmals eine neue Form von Siedlungsplanung auszuprobieren. Demnach wird im künftigen Baugebiet Westerfelhaus in Avenwedde (310 Wohnungen) versucht, schon beim Gestalten der Fläche darauf zu achten, dass die Artenvielfalt steigt. Das gilt etwa für Schmetterlinge, Singvögel und Eichhörnchen. Heike Tellkamp vom Fachbereich Grünflächen erklärte, der Investor stehe dem Experiment positiv gegenüber. Zeitliche Verzögerungen wolle man vermeiden. Gütersloh. Wenn ein Eichhörnchen durch unseren Garten hüpft, Schmetterlinge durch die Büsche flattern, ein Singvogel uns mit Gesang erfreut, finden wir das schön. Doch wie legt man ein Baugebiet so an, dass es diese Arten anlockt? Wie schafft es die Stadt schon beim Siedlungs-Planen, dass sich Igel und Mauersegler willkommen fühlen? Das will sie nun erstmals ausprobieren – und zwar im Baugebiet in Avenwedde neben Bertelsmann. Dort, auf den Westerfelhaus-Flächen im Winkel von Avenwedder und Spexarder Straße, werden auf einer Fläche von knapp zwölf Hektar 310 Wohnungen entstehen. Das ist beschlossen. Doch nun kommt eine neue Idee auf. Lassen sich diese 310 Wohnungen so gestalten und anordnen, dass die Artenvielfalt steigt? Dass die Fläche zwar großteils versiegelt ist, aber ökologisch gewonnen hat? In der Fachsprache nennt sich das Animal Aided Design (AAD), frei übersetzt: eine Gestaltung hinsichtlich Tierhilfe. Die Fraktionen im Gütersloher Umweltausschuss stimmten am Montagabend mehrheitlich (gegen die Stimmen von CDU und AfD) zu, das mal ausprobieren zu wollen. Allerdings unter drei Voraussetzungen: Erstens, der Investor stimmt zu. Zweitens, die Stadt bekommt dafür Fördermittel. Drittens, die Entwicklung des Baugebietes verzögert sich dadurch nicht. Bisher orientiert sich der Naturausgleich nur am vorigen Ist-Bestand Der städtische Fachbereich Umwelt ist zuversichtlich, alle drei Voraussetzungen erfüllen zu können. Für 30.000 Euro will er ein Fachbüro beauftragen, dass für das Plangebiet in Avenwedde ein maßgeschneidertes AAD-Konzept erstellt. &bdquo;Dieses Konzept könnte als Grundlage für weitere Baugebiete dienen“, sagt Fachbereichsleiterin Sonja Wolters. Heißt: Funktioniert es dort, könnte man die Investoren und Projektentwickler überzeugen, es künftig auch an anderen Stellen in Gütersloh umzusetzen. AAD-Maßnahmen können zum Beispiel Nistkästen an Häusern und Bäumen sein, Sitzwarten für Vögel, Sandkuhlen und Blühflächen für Insekten, kleine Wasserstellen für Tiere, optimierte Dachbegrünung, verbesserte Versickerungs- und Verkehrsflächen. Oft sind diese Hilfen klein, überschaubar, hier und da verstreut, doch in Summe durchaus wirksam. Das Problem: Sie lassen sich nicht über den Bebauungsplan vorschreiben. Das Baugesetzbuch sieht zwar Ausgleichsmaßnahmen für den Natureingriff (die Versiegelung) vor. Dieser allerdings orientiert sich an dem vorigen Ist-Bestand – und der kann ziemlich trüb ausfallen, denn bei einem landwirtschaftlich genutzten Acker ist an Biodiversität nicht viel zu entdecken. Ist jedoch das Ziel, die Artenvielfalt zu erhöhen, Maßnahmen festzusetzen, die über den regulären Ausgleich hinaus gehen, funktioniert das nur in Absprache mit dem Investor und über das Schließen von städtebaulichen Verträgen im Rahmen des Bauleitplanverfahrens. In mehreren Städten in Deutschland schon ausprobiert &bdquo;Die Idee ist: Was kann in einem neuen Baugebiet Gutes für die Tierwelt tun?“, so Wolters. Das Baugebiet in Avenwedde sei dafür gut geeignet, es sei groß genug. Die Expertise von Handwerkern, Stadt und Bauunternehmen sei einzubinden, außerdem Fachleute von der Biologischen Station. Die Auswahl geeigneter Tierarten soll sich am Gütersloher Artenkorb orientieren. Den Anstoß zu dem Pilotversuch hatte die Gütersloher Ortsgruppe des Naturschutzverbandes BUND gegeben. Artenschutz sei ebenso wichtig wie Klimaschutz, so der Verband. Das AAD-Konzept biete die Möglichkeit, den Schwund siedlungstypischer Arten zu stoppen. Um Erfahrungen zu gewinnen, hat man AAD schon an zehn Orten ausprobiert, unter anderem in Hamburg, Kaiserslautern, Hannover und Frankfurt. Siedlungen mit Einfamilienhäusern waren darunter, Siedlungen mit mehrgeschossigen Häusergruppen, Reihenhäuser, Hochhäuser. Und: Man wählte immer dieselben drei Zielarten aus: den Haussperling (Spatz), den Igel und den Admiral (Schmetterling). Ihr Vorzug: Sie sind beliebt. Und sie sind typische Siedlungsbewohner. Schafft man es gleichzeitig, Fuchs und Waschbär fernzuhalten? Gleichwohl geht ihr Bestand zurück. Wie also hilft man ihnen? Igel und Haussperlinge etwa benötigen sichere Wasserstellen, Haussperlinge außerdem offenen, sandigen Boden, wo sie mit einem Staubbad ihr Gefieder von Parasiten befreien können; auch Bruthöhlen, Nisthilfen und Hecken sind hilfreich. Igel wiederum mögen Ast- und Laubhaufen für den Winterschlaf und das Aufziehen ihrer Brut, die Admirale hingegen brauchen Brennnesseln, an denen ihre Raupen fressen können, und Fallobst, an denen sich die Falter laben. Kriegt man das in Avenwedde umgesetzt? Schafft man es zugleich, unerwünschte Kulturfolger wie Waschbären, Füchse, Krähen oder Tauben fernzuhalten? Wie will man es mit Fledermäusen halten? Erzeugt man Akzeptanz, dass eine Fassade oder ein Dachboden verschmutzt sein könnte, eine Freifläche verwildert und ungeordnet aussähe? Die Fraktionsvertreter votierten mehrheitlich dafür, es einmal darauf ankommen zu lassen. Gabriele Diekötter (Grüne) erinnerte an den beunruhigen Rückgang der Artenvielfalt, Klaus Sperling (BfGT) an die Bedeutung von Biodiversität, und Thomas Krümpelmann (SPD) fand, ein solcher Versuch sei grundsätzlich sinnvoll, sofern er nicht zu Verzögerungen führe. Die CDU indes tat sich schwer. Hermann Birkenhake: &bdquo;Bauen ist ohnehin schon teuer und stark reglementiert. Weiteren bürokratischen Aufwand lehnen wir ab.“

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