Sperrung der B61 in Gütersloh - so lief Rekonstruktion des lebensgefährlichen Unfalls

Gütersloh. Die B61 ist am Freitagabend auf Höhe der neuen Fußgängerbrücke fast eineinhalb Stunden lang gesperrt worden. Hat es einen Unfall gegeben? Nein. Die Polizei und zwei Dekra-Spezialisten haben eine Kollision rekonstruiert. Am Samstag, 9. Juli 2022, gegen 4.15 Uhr ist an genau dieser Stelle ein 16-jähriger Radfahrer von einem Audi A7 erfasst und lebensgefährlich verletzt worden. Der Unglücksfahrer ist damals geflüchtet. Mittlerweile hat die Polizei einen 29-jährigen Mann aus Harsewinkel ermittelt, der in Verdacht geraten ist, am Unfall beteiligt gewesen zu sein. Was wirklich passiert ist? Noch ist es ein Rätsel. Am Unfalltag ist die Witterung trocken. Nur weil es am Freitag erneut trocken ist, kann das unfallanalytische Gutachten überhaupt durchgeführt werden. &bdquo;Die Sichtverhältnisse müssen annähernd gleich wie am Unfalltag sein“, sagt Uwe Hellkamp, einer von zwei Experten von der Dekra, zuständig für die lichttechnische Messung. Vor Gericht, wenn es zu einem Prozess käme, werde dies wichtig sein. Originalteile werden zur Rekonstruktion des Unfalls am Westring genutzt Um den Unfall so exakt wie möglich nachzustellen, sind Originalteile zum Westring gebracht worden. Etwa der Wagen des jungen Fahrers sowie ähnliche, dunkle Kleidung des Unfallopfers. Sie werden einer Puppe übergestreift, die den Verunglückten darstellt. Auch sein Fahrrad wird mit einbezogen. &bdquo;Lichttechnische Untersuchungen sind häufig bei Fußgänger- oder Radunfällen in der Dunkelheit erforderlich“, berichtet Hellkamp. Nach umfangreichen Recherchen des Verkehrskommissariates Gütersloh muss der 16-Jährige zu Fuß sein Fahrrad über die Straße geschoben haben. Durch die lichttechnische Untersuchung werde überprüft, wann der Fußgänger derart sichtbar gewesen sei, um eine Reaktion des Pkw-Fahrers auslösen zu können. &bdquo;Die Erkennbarkeit wird dabei in der Annäherung an die Unfallörtlichkeit in mehreren Positionen ermittelt. Hierbei wird das Originalfahrzeug mit Beleuchtung, ein Dummy mit vergleichbarer Kleidung sowie die zum Unfallzeitpunkt vorherrschenden lichttechnischen Bedingungen berücksichtigt.“ Spezielles Verfahren ermittelt die Erkennbarkeitsentfernung Bei den lichttechnischen Untersuchungen wird durch die DEKRA ein neuartiges Präzisionsleuchtdichtemessgerät eingesetzt. Dabei wird die Leuchtdichte des Messpunktes mit Hilfe des auf dem lichtempfindlichen Empfänger vorhandenen Lichtstromes bestimmt. Der Messwertaufnehmer ist zudem fein an die spektrale Helligkeitsempfindung des menschlichen Auges angepasst. Die Messung der Leuchtdichte erfolgt für den Körper und die nebenstehend gezeigten Messpunkte jeweils in Bezug zur Umgebung. Anschließend wird jeweils ein Auffälligkeitswert errechnet. Ist der Auffälligkeitswert positiv, ist der gemessene Punkt sichtbar; andernfalls ist dieser Punkt für den Betrachter nicht erkennbar. Durch dieses Verfahren wird die Erkennbarkeitsentfernung ermittelt. Es geht um die Frage, was der Verdächtige wahrnehmen konnte &bdquo;Die Problematik des Dunkelheitsunfalls darf nicht in die Reaktionsdauer integriert werden. Das heißt, dass bei Dunkelheitsunfällen die Ermittlung der Erkennbarkeitsentfernung erforderlich ist und dabei die Frage der Assoziationsdauer berücksichtigt wird“, erläutert Alexander Harder, Dekra-Unfallsachverständiger. Wann dieses Erkennen im Einzelfall jedoch stattfinde, könne nur durch ein fundiertes lichttechnisches Gutachten geklärt werden. So wird am Freitagabend um 20.15 Uhr auf dem Fahrersitz des mutmaßlichen Unglücksautos eine spezielle Messkamera befestigt, die Fotos schießt und die das Auge des Fahrers simuliert. Auf dem Rücksitz nimmt Harder mit einem Computer Platz und steuert das Gerät. &bdquo;Beides ist wichtig, mein subjektiver Eindruck genauso wie das, was der Computer erarbeitet.“ Eine spezielle Software würde in den nächsten Tagen rekonstruieren, was der Verdächtige wahrgenommen hat, genauer, was er überhaupt wahrnehmen konnte. Wäre der Unfall zu vermeiden gewesen? Alexander Harder stellt sich die Frage, ob der Unfall vermeidbar gewesen wäre. Zu diesem Zweck lässt er den Pkw am sogenannten Reaktionspunkt halten, also jenem Ort, wo der Unfall noch zu verhindern gewesen wäre. Von dort aus nähert sich der Wagen am Donnerstag schrittweise, alle fünf Meter, der auf der Fahrbahn stehenden Puppe mit Fahrrad. Später gibt es noch Vollbremsungs-Versuche. Gegen 21.30 Uhr gibt die Polizei die B61 wieder frei. Erste Ergebnisse der Rekonstruktion, so Harder, seinen in sechs Wochen zu erwarten. Das Rätsel des 9. Juli: Vielleicht ist man ihm ein Stück nähergekommen.

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