Wegen rassistischer Biografie: Forderung nach Umbenennung dieses Wegs in Gütersloh

Gütersloh. Der Nettelbeckweg soll wegen der rassistischen Biografie des Namengebers umbenannt werden. Das fordert eine Schulklasse des Evangelisch Stiftischen Gymnasiums in einer Eingabe an den Hauptausschuss. Die Klasse hat sich im Schuljahr 2022/2023 im Zuge des Wettbewerbs der Bundeszentrale für politische Bildung mit den Namensgebern von drei Straßen in Gütersloh befasst: Hermann Simon, Paul Westerfrölke und Joachim Nettelbeck. Die Ergebnisse dieser Untersuchung wurden in der Sitzung der 7. Gütersloher Geschichtswerkstatt öffentlich präsentiert. Das Ergebnis ist die Forderung: &bdquo;Der 1964 benannte Nettelbeckweg wird umbenannt.“ Die Schülerinnen und Schüler argumentieren, dass Joachim Christian Nettelbeck (1738 – 1824) als Obersteuermann niederländischer Sklavenschiffe am Menschenhandel zwischen Westafrika und Amerika aktiv beteiligt war. Später habe er sich als Kolonialpropagandist noch lange vor Beginn der deutschen Kolonialaktivitäten betätigt. &bdquo;Erst im Zuge des Verbots distanzierte er sich vom Sklavenhandel“, heißt es in der Begründung. Wie es zur Namensgebung des Nettelbeckwegs in Gütersloh kam Die Klasse hat sich auch damit beschäftigt, wie es überhaupt zur Namensgebung kam. In der Kulturausschusssitzung am 23. April 1964 wurde sich demnach für den Nettelbeckweg entschieden. Die Begründung damals lautete: &bdquo;Nettelbeck machte sich im Jahre 1807 als Bürger von Kolberg bei der Belagerung dieser Stadt durch die Franzosen verdient.“ Diese Argumentation wollen die Schüler nicht gelten lassen. Sie fuße auf einem Mythos, der nicht den historischen Tatsachen entspreche. Dieser Mythos sei durch Paul Heyses Drama &bdquo;Colberg“ und dem 1943 auf Geheiß des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels entstandenen Durchhaltefilm &bdquo;Kolberg“ von Veit Harlan befördert worden. &bdquo;Für die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt Gütersloh, in der Menschen aus 127 Ländern der Erde leben, ist es nicht weiter zumutbar, dass sie mit der unkommentierten Würdigung einer höchst fragwürdigen Person der deutschen Geschichte konfrontiert sind“, heißt es in dem Antrag. Mit einem Brief habe sich die Klasse bereits an die Anwohner des ca. 120 Meter langen Nettelbeckwegs gewandt und diese über das Vorhaben der Umbenennung informiert. Der Weg ist als Stichstraße der Brinkstraße eine Sackgasse, die nördlich parallel des Nordrings verläuft. Gütersloh ist nicht die einzige Stadt, in der über die Umbenennung einer nach Joachim Nettelbeck benannten Straße diskutiert wird. In Erfurt kämpfte die Initiative &bdquo;Decolonize Erfurt“ einige Jahre für die Umbenennung des dortigen Nettelbeckufers – indes erfolglos. Dort weist nun ein Schild auf den biografischen Hintergrund Nettelbecks hin – eine höchst umstrittene Lösung. Erfolgreicher war die Initiative in Dortmund, wo aufgrund ihrer Unterstützung 2020 beschlossen wurde, eine Nettelbeckstraße umzubenennen. Und auch in Berlin-Wedding ist man derzeit auf der Suche nach einem neuen Namen für den Nettelbeckplatz. Hat die Schulklasse auch einen alternativen Namen parat? Ein Vertreter der Erfurter Initiative, Urs Lindner (Philosoph am Max-Weber-Kolleg der Uni Erfurt), hatte in einem Interview in der &bdquo;NW“ im März 2021 auf die Existenz des Nettelbeckwegs in Gütersloh aufmerksam gemacht. Das setzte offenbar auch hier die Diskussion über die Straßenbenennung in Gang. So wurde Urs Lindner zu diesem Thema als Referent der 4. Geschichtswerkstatt im Gütersloher Stadtarchiv eingeladen. Eine Erkenntnis aus diesem Treffen lautete damals: &bdquo;Zusatzschilder sind angebracht zur Kontextualisierung ambivalenter Namensgeber; als Mittel der Entehrung taugen sie nicht, sondern sie führen die Ehrungsfunktion ad absurdum.“ Eine Namensalternative benennt die Klasse in ihrem Antrag nicht. Sie macht aber einen Vorschlag. &bdquo;Bei einer Neubenennung sollte eine Frau berücksichtigt werden, möglichst mit einem dekolonialen Bezug.“ Der Hauptausschuss soll laut Beschlussfassung den Antrag an den zuständigen Ausschuss für Kultur und Weiterbildung weiterleiten.

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