Gütersloher Notgeld: Was steckte dahinter?

Gütersloh. Was wäre das schön: Eine Lizenz zum Gelddrucken! Gütersloh, diese Stadt, die selbst Einheimische für reich halten, die in Wahrheit aber seit Monaten scharf an der Haushaltssicherung vorbei manövriert, wäre mit einem Mal aller Sorgen ledig. Einfach nur die Druckmaschine anwerfen! Keine Schulden mehr! Aus Nobby Morkes Dagobert Duck machen! Ach, wenn es so einfach wäre. Vor exakt 100 Jahren, am 16. August 1923, war die Lage jedenfalls alles andere als das. Die Zeiten, sie waren nicht rosig, sondern grau. Gütersloh hatte zwar die staatliche Genehmigung bekommen, in eigener Regie Geld zu drucken. Jedoch nur, weil es nichts mehr wert war. Wer damals im Lokal einen Schoppen Wein bestellte, musste sieben Millionen Mark auf den Tisch legen. Es war die Zeit der Hyperinflation. Gütersloh durfte Geld drucken, weil die Reichsbank nicht hinterher kam. Die staatlichen Druckereien hatten weder genug Papier noch genug Personal, um all die Noten zu drucken, die die Bürger brauchten, um beim Bäcker an der Ecke noch ihr Brot kaufen zu können. Die Reichsbank kapitulierte. Gütersloh und all die anderen Städte bekamen die Lizenz, weil sich dort noch Druckereien fanden, die Produktionsreserven hatten und weil der Staat verzweifelt versuchte, zumindest den Anschein eines Währungssystems aufrecht zu halten. Wie viel davon in Umlauf war, weiß keiner Das Stadtarchiv hütet noch einige dieser Scheine. Eine Million Mark, fünf Milliarden Mark, einhundert Milliarden Mark: Es sind aberwitzige Zahlen, die auf diesen Scheinen abgedruckt sind. Sie sind gelb, grün, rosa, blau, sie sind mit Denkmälern und Stadtsilhouette verziert. &bdquo;Hübsch, oder? Das hatte doch durchaus künstlerischen Anspruch“, sagt Stadtarchivarin Julia Kuklik. In ihrer rechten Hand hat sie fünf Scheine aufgefächert. Alle fünf tragen deutlich sichtbar den Vermerk: &bdquo;Gütersloher Notgeld“. Dieses Notgeld war im Grunde nur ein Geldersatz. Es ersetzte die regulären, nicht verfügbaren Scheine. Wie viele davon in Gütersloh in Umlauf waren, ist in keiner Veröffentlichung beschrieben. Unstrittig ist indes, dass es das verbreitetste Zahlungsmittel gewesen sein dürfte. In ganz Deutschland bestand zu jener Zeit 84 Prozent des Geldscheinumlaufs aus Notgeld. &bdquo;Gütersloh war mit der Erlaubnis zum Drucken recht spät dran“, sagt der heimische Münzhändler Dirk Strothotte. &bdquo;Rietberg und Wiedenbrück hatten schon Monate vorher ihre Druckpressen anwerfen dürfen, aber Gütersloh war damals noch ein kleines Städtchen.“ Als dann die Erlaubnis für den 16. August eintraf, klangen die abgedruckten Beträge gleich gewaltig. Zwei Scheine gab die Stadt heraus: einen blauen mit 500.000 Mark und einen rosafarbenen mit einer Million Mark. Lesen Sie auch:Auktionator im Kreis Gütersloh - vielleicht sind Sie reicht und wissen es gar nicht? Vier Monate später folgte die nächste Serie Doch die Inflation galoppierte derart, dass selbst diese Beträge nicht lange reichten. Am 25. Oktober 1923 gab die Stadt eine zweite Serie heraus, diesmal mit drei Scheinen: einen gelben mit fünf Milliarden Mark, einen blauen mit zwanzig Milliarden und einen grünen mit 100 Milliarden. Der Text blieb, abgesehen von den Zahlen, stets der gleiche: &bdquo;Fünf Milliarden Mark zahlt die Stadtkämmerei Gütersloh dem Einlieferer dieses Scheines. Gütersloh, den 25. Oktober 1923. Der Magistrat der Stadt Gütersloh.“ Darunter die Unterschriften von Bürgermeister Tummes und des 1. Beigeordneten Dr. Brinkmann. Was die Scheine wert waren? Wenig. In einem Artikel in den &bdquo;Gütersloher Beiträgen zur Heimat- und Landeskunde“ schrieb der Arzt und Medizinhistoriker Axel Hinrich Murken 1967, der Betrag von einer Billion Mark habe damals gerade mal den Gegenwert eines US-Dollars gehabt. Die Leute hatten viel Geld in der Tasche, aber sie waren arm. Wollten sie was kaufen, machten sie das frühmorgens, denn später am Tag galt der Schein noch weniger. In Gütersloh war es die Druckerei Ludw. Flöttmann, die die Scheine im Offsetdruck produzierte. Der Lithograph Wilhelm Heumann hatte sie entworfen. Ob er dabei freie Hand hatte, weiß man nicht. In anderen Orten erschienen Geldscheine, auf denen Märchen und Sagen abgedruckt waren, manchmal auch kernige Merksprüche in Plattdeutsch. Heumann hingegen, ein Gütersloher, entschied sich für heimische Motive: Wappen, altes Rathaus, Veerhoffhaus, Osthushof, Alter Kirchplatz, Stadtsilhouette. Schlummert in den Gütersloher Schubladen noch Notgeld? Wann exakt die Ausgabe des Gütersloher Notgeldes endete, ist nirgends verzeichnet. &bdquo;Auch mir ist da kein konkretes Datum bekannt“, sagt Münzhändler Stothotte. Tatsache indes sei, dass den Kommunen noch im selben Jahr die Erlaubnis wieder entzogen wurde, also auch Gütersloh. Strothotte nimmt an, dass die meisten Gütersloher ihr Notgeld anschließend weggeworfen haben. &bdquo;Gewiss schlummert auch in vielen Schubläden noch so einiges.“ Heute seien die Notgeldscheine allenfalls noch für Heimatkundler und Währungssammler interessant, so Strothotte. Geld, reelles Geld lasse sich damit nicht machen. Wer welches kaufen will, wird auf Ebay fündig, es scheint reichlich davon zu geben. Wertvoller, aus kaufmännischer Sicht, sind andere Varianten von Gütersloher Notgeld: die Münzen und Scheine etwa, die während des Ersten Weltkrieges im Offiziers-Gefangenenlager auf dem Gelände des heutigen LWL-Klinikums verbreitet waren. Oder jene Münzen, die die Heilanstalt selbst als Zahlungsmittel nutzte. Irreführende Bezeichnung Diese Gütersloher Münzen sind seltener, es könnte sich lohnen, damit zu handeln. Allerdings tragen sie auch einen anderen Charakter: Nur Entrechtete konnten damals etwas damit anfangen, sei es, weil sie gefangen waren, sei es, weil man sie als Patienten entmündigt und der Willkür unterworfen hatte. Der Gebrauch war rein intern, bezogen aufs Gelände. &bdquo;Die Bezeichnung Notgeld finde ich irreführend. Es war eher ein Lagergeld“, sagt Strothotte.

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