Finanzskandal in Gütersloher Gemeinde: Treten noch mehr Menschen aus der Kirche aus?

Gütersloh. Wenige Tage nach Bekanntwerden des Finanzskandals in der katholischen Kirche in Gütersloh dauern die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft an. Der im Fokus stehende Pfarrer Elmar Quante, der private und kirchliche Gelder in sechsstelliger Höhe an eine Internet-Bekanntschaft im Ausland überwiesen haben soll, befindet sich seit Samstag nicht mehr in Gütersloh. Doch welche Auswirkungen hat sein Fall? Fast 30.000 Katholiken gibt es im Stadtgebiet: Schnellt die Anzahl der ohnehin schon auf Rekordhöhe liegenden Kirchenaustritte durch die Geschehnisse jetzt zusätzlich in die Höhe? "Diese Frage lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht konkret beantworten, da wir die Termine für die Kirchenaustritte ausschließlich online vergeben. Dafür wird grundsätzlich zum Monatsanfang ein Kontingent freigeschaltet, das 40 Termine pro Woche umfasst. Die Termine sind derzeit ausgebucht und die Austrittszahlen generell steigend", erklärt Silke Bergstermann, stellvertretende Direktorin am Amtsgericht Gütersloh. Kirchenmüde Christen aus Gütersloh, Verl und Harsewinkel haben sich an die Behörde zu wenden, wenn sie austreten wollen - und dafür scheinen sie derzeit buchstäblich Schlange zu stehen. Viele Christen scheinen endgültig den Glauben verloren zu haben: Denn insgesamt bewegt sich die Anzahl an Menschen im Einzugsgebiet des Amtsgerichts Gütersloh, denen die Mitgliedschaft in der katholischen oder evangelischen Kirche überdrüssig geworden zu sein scheint, in noch nie erreichtem Ausmaß. Dem Jahr 2019 mit 1.051 Austritten (der beiden großen christlichen Konfessionen) folgte 2020 ein "Corona-Knick" mit 823 Abgängern. In den Folgejahren stieg die Zahl wieder drastisch an - auf 1.125 Fälle in 2021 und 1.511 im vergangenen Jahr. "Das ist Rekord", verdeutlicht Amtsgerichtssprecherin Silke Bergstermann. Negativer Trend hält an: 897 Menschen sind bis Ende Juni in Gütersloh ausgetreten Raus und Amen! Auch im ersten Halbjahr 2023 hält der negative Trend aus Sicht der Kirchen an. "897 Menschen sind zwischen dem 1. Januar und dem 30. Juni am Amtsgericht Gütersloh aus der Kirche ausgetreten", bestätigt Silke Bergstermann. Zum Termin sind Ausweispapiere mitzubringen, zudem muss eine Austrittsgebühr von 30 Euro entrichtet werden. Die Entwicklung in Gütersloh entspricht dem Bundestrend: Erst am Mittwoch vergangener Woche hatte die Deutsche Bischofskonferenz die dramatische Zahl von 522.821 Austritten aus der katholischen Kirche für das vergangene Jahr veröffentlicht - so viele wie nie zuvor. Missbrauchsgutachten, Lügenvorwürfe und Rechtsstreitigkeiten - vor allem etliche Skandale werden für die Austrittswelle verantwortlich gemacht. Ob der am vergangenen Sonntag öffentlich gewordene Fall um Pfarrer Elmar Quante in Gütersloh in dieser Hinsicht für spürbare Auswirkungen sorgt, vermag sein kommissarischer Nachfolger als Leiter des Pastoralen Raumes Gütersloh noch nicht einzuschätzen. "Ich hoffe nicht", sagt Dechant Thomas Hengstebeck im Gespräch mit der "Neuen Westfälische". Er verweist für weitere Fragen auf die Zuständigkeit des Erzbischöflichen Generalvikariats in Paderborn. Vom Erzbistum am Domplatz äußert sich am Donnerstag Sprecherin Heike Meyer: "Natürlich bedauern wir zutiefst die Beunruhigung der Gemeinde, die ein solcher Vorfall unausweichlich nach sich zieht. Die für die Aufklärung der Sachverhalte zuständigen Stellen arbeiten intensiv daran, Klarheit herzustellen." Alle dazu notwendigen Schritte seien eingeleitet. "Bis die Ergebnisse vorliegen wird jedoch noch Zeit vergehen", so Heike Meyer, "deshalb können wir im Moment nur darum bitten, diese abzuwarten und keine Vorverurteilungen vorzunehmen." Pfarrer Elmar Quante äußert sich nicht Für Bekundungen über Auswirkungen der Verunsicherungen, auch hinsichtlich potenziell steigender Austrittszahlen, ist es aus Sicht des Erzbistums Paderborn derzeit ebenfalls der falsche Zeitpunkt. "Um es aber nochmals deutlich zu sagen: Alle negativen Auswirkungen, die durch solche Vorfälle für die Gläubigen vor Ort entstehen, tun uns sehr leid", sagt die Sprecherin des Erbistums. Pfarrer Elmar Quante, der nach Aussagen eines Bekannten gegenüber der "NW" selbst zum Betrugsopfer geworden sein soll, hatte Selbstanzeige erstattet und war am 1. Juli als Leiter des Pastoralen Raumes zurückgetreten. Noch am Samstagmorgen hatte er in Avenwedde seine letzte Messe gehalten. "Ich werde mich nicht äußern", erklärte der 64-Jährige am Mittwochabend in einem Telefonat mit der "Neuen Westfälischen". In der katholischen Innenstadt-Pfarrgemeinde St. Pankratius, wo der Geistliche wirkte und sich die Auswirkungen des Finanzskandals am ehesten vermuten lassen, zählt das Erzbistum nach letztem Stand 17.245 Gläubige. "392 Personen sind bedauerlicherweise im Jahresverlauf ausgetreten", sagt Sprecherin Heike Meyer. Ob die Zahl in den kommenden Wochen drastisch ansteigt, wird sich noch zeigen.

Meistgelesen