14-Jähriger stirbt in Gütersloh: Landgericht verurteilt Anästhesisten

Gütersloh. Das Landgericht Bielefeld hat einen Gütersloher Narkosearzt wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Seine Fehler bei einem Routine-Eingriff am Sankt-Elisabeth-Hospital waren nach Ansicht des Gerichts derart gravierend, dass sie ursächlich zum Tod eines 14-jährigen Jungen führten. Es verurteilte ihn zu einer Bewährungsstrafe von 16 Monaten und 10.000 Euro Schmerzensgeld. Die Richterin fällte in dem Berufungsverfahren damit exakt dasselbe Urteil wie das Gütersloher Amtsgericht vor einem Jahr. &bdquo;Der Tod des Jungen ist dem Angeklagten zurechenbar. Seine Fehler waren kausal.“ Zwar erkannte die Richterin auch Organisationsmängel beim Krankenhaus und grobe Fehler bei später hinzu treffenden Ärzten, diese seien jedoch &bdquo;nicht unmittelbar ursächlich“ gewesen. Exakt diese Frage war in der Mittelpunkt des Prozesses gerückt. Wie schwer wiegt die Schuld des 48-Jährigen? Konnte der eingewanderte Armenier, in seinem Heimatland zwar ein erfahrener Operateur, aber in Deutschland noch mit dem Status eines Assistenzarztes in Ausbildung, seine Fehler überhaupt erkennen? Hatte man ihm genügend beigebracht? War er hinreichend beaufsichtigt? Waren die Gepflogenheiten am Eli-Hop so, dass er sich die Fehler abgeguckt hatte, weil alle anderen sie auch machten? Die Verteidigung hatte das Arbeitsumfeld des Arztes, sein soziales Gefüge, derart hoch gewichtet, dass sie nur auf fahrlässige Körperverletzung plädierte. Gütersloher Richterin: "Grobe Verletzung seiner Sorgfaltspflicht" Die Richterin Beate Hellermann blickte über all das nicht hinweg. Gleichwohl hielt sie dem Angeklagten eine &bdquo;grobe Verletzung seiner Sorgfaltspflicht“ vor. &bdquo;Ein Arzt ist zuständig für die Funktionsfähigkeit der Geräte. Es ist selbstverständlich, dass er das sicherstellen muss.“ Das Krankenhaus habe ihn darauf hingewiesen. Ein solcher Check, I-Check (Immer-Check) genannt, sei seit 2016 verpflichtend, so die Richterin. Doch der Arzt habe sich daran nicht gehalten. Das Opfer, Kevin Fuhr, starb im November 2018, weil eine Krankenschwester die Beatmungsschläuche falsch angeschlossen hatte. Er erstickte. Sein Anästhesist hatte nicht nur das Prüfen des Narkosegerätes versäumt, sondern er war auch nachlässig beim Anreichern der Lunge mit Sauerstoff. Als der Alarm anschlug, reagierte sein Narkotiseur verspätet und deutete die Signale falsch, und während Kevin nach Luft und mit dem Tod rang, vergaß der Arzt eine weitere Grundregel: Den Patienten sofort von den Schläuchen zu trennen und ihn stattdessen mit einem Ambubeutel per Hand zu beatmen. All das sei ihm direkt anzukreiden, so die Richterin. Hätte der Arzt direkt richtig gehandelt, &bdquo;hätte Kevin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überlebt, und zwar ohne neurologische Defizite.“ Kevin war vital und stark, ein kerngesunder Junge. Er boxte seit seinem sechsten Lebensjahr. Ins Eli-Hop war er gegangen, um sich einer Kniespiegelung zu unterziehen. Überlebenswahrscheinlichkeit aus Tierversuchen hergeleitet Ob die Staatsanwaltschaft die Folgeärzte anklagt, prüft sie noch. Die Fachärztin, ein Oberarzt und selbst der später hinzu gerufene Chefarzt hatten das Problem nicht sofort erkannt und zunächst falsch gehandelt. Kevins Überlebenswahrscheinlichkeit, von zwei Prozessgutachtern aus den aufgezeichneten Daten und aus wissenschaftlichen Tierversuchen mit Schweinen abgeleitet, sank derweil immer weiter, von 70 auf 20 Prozent und schließlich bis zum tödlichen Hirnödem. Natürlich hätten die hinzu geeilten Ärzte den Jungen rasch von den Schläuchen trennen müssen, so die Richterin. Allerdings müsse man ihnen neben der Stresssituation zugute halten, dass sie wahrscheinlich davon ausgingen, der Assistenzarzt habe das Beatmungsgerät wie vorgesehen kontrolliert. Es sei somit keine neue Situation, kein neuer Kausalzusammenhang entstanden, die vom Assistenzarzt gestartete Fehlerkette habe sich fortgesetzt. Mängel beim Krankenhaus? Ja, die seien in diesem Fall offensichtlich, so die Richterin, zumal bei den Strukturen und Arbeitsabläufen. So sei es &bdquo;suboptimal“, einen Arzt in Ausbildung selbstständig im ausgelagerten Ambulanten Operationszentrum (statt im Haupthaus) arbeiten zu lassen, ebenso, ihm eine nur angelernte medizinische Fachangestellte (statt einer Anästhesie-Fachkraft) zur Seite zu stellen. Auch ein klareres Notfallmanagement wäre "hilfreich" gewesen, so die Richterin. Staatsanwaltschaft und Verteidigung hatten dem Eli-Hop &bdquo;grobes Organisationsversagen“ vorgeworfen. Krankenhaus-Versicherung hat der Familie aus Gütersloh 130.000 Euro überwiesen Dessen Versicherung hat der Familie Fuhr inzwischen eine Entschädigung von 130.000 Euro gezahlt – 70.000 hatte das Krankenhaus angeboten, weitere 60.000 erstritten die Hinterbliebenen zivilrechtlich. Natalja Fuhr, die Mutter, mit ihrem Mann Viktor gestern bei der Urteilsverkündung und dem gesamten Prozess dabei, sagte im Anschluss, sie sei erleichtert. &bdquo;Uns ging es immer darum, aufzuklären, was da im OP falsch gelaufen ist. Das sind wir unserem Sohn schuldig.“ Die Familie lebt in Gütersloh, Kevin hatte zwei Geschwister. Empört sind die Eltern, dass der Arzt weiterhin eigenverantwortlich am Eli-Hop narkotisiert. &bdquo;Wir verstehen das nicht und hoffen, dass ihm die Ärztekammer die Approbation entzieht.“ Richterin Hellermann hatte in der Urteilsbegründung indes berichtet, der Arzt werde von seinen Kollegen als zuverlässig beschrieben. Der drohende Entzug der Approbation schwebe &bdquo;wie ein Damoklesschwert“ über ihm. Die Ärztekammer entscheidet offenbar unabhängig von dem Urteil. Er wisse keinen Grund, warum sein Mandant nicht mehr als Narkosearzt arbeiten solle, sagte sein Verteidiger Karsten Fehn nach der Urteilsverkündung. &bdquo;Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“ Ein derartiger Fehler werde seinem Mandanten und allen anderen nie wieder passieren. &bdquo;So traurig das ist: Wir haben durch diesen Fall immerhin einen Fortschritt erreicht.“ Die Anästhesisten trainieren nun verstärkt in einem Simulationszentrum Das gilt auch für die Hersteller des Narkosegerätes, ein milliardenschweres, international tätiges Unternehmen. Der Entwicklungsingenieur hatte im Laufe des Prozesses berichtet, die Spezifikationen am Gerät seien nach dem Gütersloher Vorfall so verändert worden, dass ein Verwechseln der Schläuche nicht mehr möglich sei. Zudem hat die Fachgesellschaft für Anästhesie, die 2016 den I-Check als Leitlinie vorgeben hatte, diesen 2019 nochmals spezifiziert; er ist nun als Paf-Test (pressure and flow) bekannt und verpflichtend. Eine Revision gegen das Urteil ist zugelassen. Ob der Arzt und sein Verteidiger vors Oberlandesgericht ziehen, ist offen. &bdquo;Wir prüfen das“, sagte Fehn. Sein Mandant sei für Fehler verurteilt worden, die auch andere Ärzte nicht erkannt hätten. Das Gericht habe die objektive Zurechenbarkeit der Schuld zu wenig gewichtet. &bdquo;Um es vereinfacht zu sagen: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“ Das Elisabeth-Hospital verschickte nach der Urteilsverkündung ein Statement. Darin steht, die Betroffenheit sei beständig groß. &bdquo;Wir bedauern zutiefst, dass individuelle Fehler, technische Fehlkonstruktionen sowie eine Verkettung unglücklicher Umstände zum Tod des Jungen führten.“ Das Team der Anästhesie habe seitdem verstärkt Ausnahmesituationen dieser Art mit hohem Stressfaktor im hauseigenen Simulationszentrum trainiert. &bdquo;Abläufe werden laufend optimiert, um in Notfallsituationen schnell und zielgerichtet zu reagieren. Damit wollen wir in Zukunft Ereignisse mit dieser Tragweite vermeiden.“ Im AOZ würden alle Qualitätsvorgaben &bdquo;selbstverständlich und vollumfänglich erfüllt“ und vom TÜV regelmäßig zertifiziert.

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