Mit vielen Fotos: Eine Tour durch unvergessene Kult-Kneipen in Gütersloh

Gütersloh. Wenn alle Gäste wären wie Olaf, hätten die Kneipen kein Problem. Seit 10.30 Uhr, sagt Olaf, sitze er am Tresen des &bdquo;Hieronymus“, jetzt ist es 22.50 Uhr. Die Striche auf seinem Bierdeckel gehen beinah einmal rum, bezahlt hat er den Deckel schon. Doch statt nach Hause zu gehen, wie er es vor einer halben Stunde vorhatte, bleibt Olaf (52) sitzen. Denn: So viel Gesellschaft wie heute hatte er lange nicht mehr. Der Laden, seine Stammkneipe, ist bumsvoll. Auf einen Schlag. Die Leute von der &bdquo;Kaschemmentour“ sind da. Eine Busladung, knapp 40 Gäste. Der Abschluss einer Tour, die sie um 15 Uhr vorm Bermpohl antraten und die sie jede Stunde woanders hinführte, lenkt sie ins Hieronymus. Das war wohlüberlegt. Die Kneipe an der Eickhoffstraße, Ecke Stohlmannplatz, war ewig eines der Lieblingslokale der Briten, sie hat schon Einfälle ganz anderer Horden überstanden. Da wird sie mit dieser fröhlichen, zivilisierten Gütersloher Gruppe allemal fertig. Hoch die Tassen! Die &bdquo;Kaschemmentour“, sie ist ein besonderer Trip. Nostalgie, Neugier, Gemeinschaftserlebnis, Kneipenliebhaberei, da kommt einiges zusammen. Ins Leben gerufen hat sie Jürgen Vogelpohl, besser bekannt als Vogi. &bdquo;Ich mach das nicht für mich“, sagt der Bermpohl-Wirt, &bdquo;sondern für die anderen. Es gibt so viele tolle und interessante Kneipen in Gütersloh, und keiner kennt sie. Das ist schade.“ Das Gasthaus Zum Jöppken wurde zuletzt geschlossen Anfangs, vor etlichen Jahren, war nur eine Handvoll Leute dabei. Doch das änderte sich rapide. Vogi orderte einen Bus, zwischenzeitlich sogar Gelenkbus, schloss die Anmeldelisten binnen weniger Tage und klapperte einmal im Jahr die dollsten Kneipen ab. &bdquo;Irre, was es da alles gibt.“ Acht- oder neunmal startete er die Tour, keine Kneipe steuerte er doppelt an, mit einer Ausnahme: Gaststätte Upmann, Berliner Straße, 1835 gegründet. &bdquo;Das musste einfach sein, Richard Upmann war ein toller Wirt.“ Upmann gibt es nicht mehr, heute ist dort ein Italiener, Hey Fratelli. Immerhin. Viele andere Gasthäuser sind geschlossen. Badschänke, Büsker Eck, Zum Goldenen Hahn, Deele, Fasan, Kiek in, Neue Mühle, Parkschänke, Zum Lütken Winkel, Alte Dohle, Rolandseck, Sundernklause, TWE-Gaststätte, Zum Löschteich, Müterthies, usw.: Die Liste ist lang und wird ständig länger. Der jüngste Eintrag: Zum Jöppken. Viele Kneipen vergangener Touren gibt es inzwischen nicht mehr Die Wirtin Hannelore Schüttforth ist erkrankt, sie schafft’s nicht mehr. Dabei war die Kneipe an der Nordhorner Straße beliebt. Vor 134 Jahren von Jakob (&bdquo;Jöppken“) Schüttforth gegründet, kehrte hier das Avenwedder Landvolk ein, lange Zeit war sie Vereinskneipe des SV Avenwedde. Training nebenan auf der Wiese, Umkleide in der Kneipe, Bierchen dabei. Auch ein Friseur war mal zusätzlich drin. Wer sich von ihm die Haare schneiden ließ, bekam ein Bier dazu. Vorbei. Geschichte. Wie so viele. &bdquo;Von den Kneipen, die wir in den all den Jahren aufgesucht haben, existieren kaum noch welche“, sagt Vogi. Dramatisch sei das, verstärkt durch das Sich-Einhausen während Corona. Als Leute ihn im Winter ansprachen, &bdquo;Hey, Vogi, wie wär’s mal wieder mit einer Kaschemmentour?“, habe er nicht lange überlegen müssen. Werbung machte er nicht, sprach vielmehr von sich aus die Leute an. &bdquo;Das muss schon ein bisschen passen bei so einer Tour.“ Start, 15 Uhr, Altes Gasthaus Bermpohl Sammeln. Allgemeines Begrüßen. Die meisten kennen sich. Vogi erzählt, wo es hingeht – aber vor allem, worum es ihm geht. Nicken. Wer hier mitmacht, weiß, wozu Kneipen gut sind. 15.30 Uhr, Bierquelle Die sprudelt nur zwei Häuser weiter, 40 Meter entfernt. Die Getränkekarte hängt handgeschrieben rechts neben dem Eingang. Sie ist unterteilt in vier Felder: Alkoholfreie Getränke/Bier/Magenbitter/Schnaps. In Summe 20 Getränke, davon acht Schnäpse. Zu essen gibt es hier nichts. Empfangen werden wir von Georgios Tachias (62) und dessen Schwester Eleni Tachia (58). Sie sind im Bilde. Vogi fragt bei allen Kneipen vorher an, weil sonst die Wirte gar nicht wissen, wie ihnen geschieht. Tachias und seine Schwester sind routiniert, es geht ratzfatz. Die Einrichtung: zweckmäßig, nicht ungemütlich. Tachias lebt von 20 bis 30 Stammkunden, die Zahl schrumpft, viele sind über die Jahre gestorben. Ob es die Bierquelle, Gründungsdatum 1987, in fünf oder zehn Jahren noch gibt? &bdquo;Wer weiß das schon“, sagt Tachias. 16.40 Uhr, Alte Heuwaage Stand gar nicht auf dem Zettel. Dennoch, wie jeder anständige Gütersloher weiß, ein Klassiker und zum Überbrücken trefflich geeignet. Überbrücken? Ja, Bremer Schüssel macht erst um 17 Uhr auf. 17.02 Uhr, Bremer Schlüssel Na also. Aktuell die Gütersloher Kultkneipe schlechthin. Kneipensterben? Da lachen sie hier drüber. &bdquo;Der Bremer Schlüssel ist ein Phänomen“, sagt Vogi. &bdquo;Jung und Alt, hier ist immer was los.“ Doch warum ist das so? Wirtin Ewa Pampuch, &bdquo;die Ewa“, wie alle sagen, die es vielleicht erklären könnte, ist nicht da. Sie guckt in Dortmund zu, wie ihr BVB Eintracht Frankfurt vom Rasen fegt, auch nicht schlecht. Susanne Bollweg und Karin Lawrenz vertreten sie großartig. Die beiden Damen haben den Laden im Griff, die Stimmung ist blendend, die Schlagzahl hoch. Dass es den &bdquo;Bremer Schlüssel“ schon seit 1724 gibt, dass er urig ist, gemütlich, traditionell, unmiefig, sieht man ihm von außen nicht an. Klasse. 18.12 Uhr, Altdeutscher Hof Beckord Renate Beckord und Paul Bussmeier wissen, wie man die Runde empfängt: die Musik mal kurz lauter drehen, Herzlichkeit, Jubel, das halb vorgezapfte Bier parat. Dass Beckord keine klassische Kneipe mehr ist, sondern Hotel-Restaurant, 18 Betten, feine Speisekarte, fällt nicht auf. Das Bier gibt es in Gläsern, die bauchiger sind und eine kurzen Stil haben, seit Jahrzehnten sind solche nicht mehr zu bekommen, dabei sind sie auf den Tabletts viel standsicherer. An den Wänden hängt Werbung auf Blechemaille: Elmendörfer, Strothmann, Schroeder, Jückemöller, Spökenkieker, Schlichte. Manche Gäste linsen hinter einen Stoffvorhang: Dort, einige Stufen tiefer, liefen bis vor ein paar Jahren noch Tanzpartys mit Disco-Mucke. Erinnerungen werden wach. Hier, bei Beckord, gibt’s auf dieser Tour das erste und einzige Mal feste Nahrung: Volker Beckord hat Bockwürstchen heißgemacht, dazu Brötchen und Senf. Während sie essen, erzählen Bernd (53) und Olaf (54), zwei Gäste dieser Tour, wie cool sie das alles finden. &bdquo;Wir sind riesige Kneipenfans.“ Einmal im Jahr fliegen sie mit einem weiteren Kumpel und ihren Knobelbechern nach Dublin, nur der Pubs wegen. Einmal waren sie in Liverpool, einmal in Edinburgh. &bdquo;Wir lieben das. Da treffen sich wirklich alle, die Bevölkerung, die Menschen, die Generationen. Schade, dass wir das in Deutschland nicht so haben.“ 19.30 Uhr, Spexarder Stuben Den Spexarder Krug kannten wir, aber Spexarder Stuben? Sie liegen links neben der Pizzeria, Betreiber ist Fehmi Büyüksal. In einer Sitzgruppe haben sich Raphael und Volker niedergelassen, Vater und Sohn. &bdquo;Ich dachte, ich zeige meinem Jungen mal, was wir in Gütersloh so alles an schönen Kneipen haben.“ Ihnen gegenüber sitzt Uwe, alle aus Sundern. Man schwelgt über die Parkschänke mit der Wirtin Marga Holtkamp, man erinnert sich mit Freuden an die Sundernklause. Auch Dirk sitzt in der Runde, ein Gütersloher Getränkelieferant. Sie alle bedauern &bdquo;eine Kultur, die wegbricht. Wieso gehen die Leute nicht mehr in Kneipen, wenigstens samstags? Wir können doch nicht alle nur auf den Sofas hocken.“ Volker, der Sohn, erinnert sich, dass sein Opa sonntags gerne in die Gaststätte Zur Reitbahn ging. Die existiert zum Glück immer noch, floriert sogar. Wegen der drei Dartclubs, die dort spielen, und zwei Knobelrunden war sie ausgebucht, erzählt Vogi, sonst hätte er sie mit in den Tourplan genommen. 20.38 Uhr, Bus Es wird gejubelt und gesungen, mehrfach. Loblieder auf Vogi und allgemeines deutsches Liedgut. Unverzichtbar: &bdquo;Der letzte Cowboy kommt aus Gütersloh“. Die Gruppe erweist sich als textsicher, beherrscht mehrere Strophen. Busfahrer Dimitrie Lengle (55), ein stämmiger Kerl mit beeindruckendem Bizeps, ist entspannt. &bdquo;Das ist eine fröhliche Gruppe, die sind in Ordnung. Willingen ist schlimmer.“ Die Rückfahrten vom Sauerland-Stern, die seien hart. &bdquo;Dagegen ist das hier pures Vergnügen.“ 20.45 Uhr, Münchner Kindl Okay, logistisch ist die Tour eine Katastrophe. Das Münchner Kindl, Bockschatzweg, liegt nur einen Steinwurf von Beckord entfernt. Aber wie sehr würde das Versammeln im Bus mit dem gemeinsamen Vortrag von Liedern fehlen! Vorm Kindl sitzen die einzigen drei Gäste, sie rauchen sich eine und gucken erstaunt, als der Bus hält. Was ist denn jetzt los? Normalerweise seien sie eher unter sich, erzählen Nils (33), Felix (32) und Michael (43), aber schön, dass der Laden jetzt mal brummt. Die Wirte hätten es verdient. &bdquo;Das sind gute Leute“, sagen sie. Scheint zu stimmen. Kalli und Niko Damianidu, Mutter und Sohn, bringen das Gasthaus seit einiger Zeit in Schwung. Sie haben den Biergarten neu gestaltet, sie haben es innen nett gemacht. Als wir reinkommen, läuft Simon & Garfunkel, rechts neben dem Eingang steht eine Jukebox, die sogar noch funktioniert, gegenüber hängt ein Sparfach, wie man sie kaum noch sieht, seit es keine Sparclubs mehr gibt, ums Eck steht ein Kickertisch, alles tipptopp. Auf der Karte stehen &bdquo;Schnitzel mit Zitrone“ für 8,50 Euro und ein paar andere Leckereien. Er habe das Münchner Kindl unbedingt auf der Tour dabei haben wollen, erzählt Vogi, das sei so eine der Kneipen, die sich anstrengten, die mit Herz bei der Sache seien. Nils, Felix und Michael, die drei Stammgäste, bestätigen das. &bdquo;Das hier ist eine gute Gaststätte in einem Arbeiterviertel. Manche Leute gehen hier nach der Schicht hin und freuen sich darauf. Das Essen ist locker, die Bewirtung super, auch immer mehr junge Leute kommen.“ 22.05 Uhr, Hieronymus Das Finale. Ein, zwei Ausfälle sind bis hierhin zu beklagen, ansonsten ist die Gruppe noch gut beieinander. Drinnen empfängt uns Stefanos Kesketzidis, der Wirt, plus zwei Angestellte. Das Hieronymus entspricht am ehesten der Vorstellung, die man sich von einer Kaschemme macht, aber hat es das verdient? &bdquo;Früher, als die Engländer hier waren, ging es hier hoch her“, sagt Stammgast Olaf, der mit den vielen Strichen auf dem Bierdeckel. Das habe sich gemäßigt, nein geändert. Stefanos, der Wirt, zugleich sein Trauzeuge, habe den Laden im Griff. &bdquo;Hier sind jetzt auch normale Leute.“ Was man von außen nicht ahnt: Das Hieronymus hat einen Innenhof. Dort sitzt Bastian Eggert (47), Gütersloher, Teilnehmer der Tour und Außendienstler der Firma Jägermeister. Rund 300 Kneipen habe er in seiner Betreuung, sagt Eggert. Dass in Gütersloh die Kneipenszene kränkelt, bedauert er. &bdquo;Aber: Man darf das nicht zu schlecht reden, und man muss unterscheiden. Die Szene-Gastronomie etwa funktioniert, siehe Alex, Bankery, Green’s. Wo es ordentliches Essen gibt, läuft es sowieso besser. Dazu die Perlen wie Bremer Schlüssel, Heuwaage oder Blue Fox.“ Man müsse halt genauer hingucken, in Gütersloh verteile sich die Gastronomie. In Paderborn reiche es, durch die Innenstadt zu ziehen, da bekomme man alles auf engem Raum geboten, in Gütersloh und auch Bielefeld sei das anders. Derweil hat Stefanos drinnen etwas in den Gastraum geschoben, was viele seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben: einen Nagelbalken. Ist das wahr? Der sei noch aus der Zeit mit den Briten übrig, sagt der Wirt, manche Gäste kämen jetzt nur deswegen. Stefanos verteilt Nägel, das Spiel erklären muss er hier niemandem. Der Hammer.

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