Frau wird 1981 in Gütersloh bei der Arbeit erstochen - Polizei ermittelt jetzt wieder

Gütersloh. Es ist furchtbar, wenn die Frau getötet wird, die einem das Leben geschenkt hat. Es ist unerträglich, wenn ihr Mörder nie gefasst wird. Ohne diese Erkenntnis hätten sie vermutlich längst loslassen können. Marco Müther ist zwei Jahre jung, als es passiert ist. Schwägerin Andrea Wellenbrink ist zehn. Mehr als 42 Jahre sind seitdem vergangen. Eigentlich genug Zeit, um mit dem Unbegreiflichen leben zu lernen. Doch das geht nicht. Als am 13. August 1981 die 21-jährige Cornelia Müther am helllichten Tag ermordet wird, steht für die Angehörigen die Welt still. Nichts geht mehr. Zum ersten Mal spricht jetzt der Sohn über das ungeklärte Verbrechen an seiner Mutter. Auch Andrea Wellenbrink kann das Geschehene nicht vergessen. War sie es doch, die zuletzt mit dem Opfer gesprochen hat. Rentner findet Gütersloherin leblos vor Es ist Donnerstag. Die Sonne scheint schon seit Stunden. Es ist heiß. Das Quecksilber steigt auf fast 28 Grad Celsius. Kurz vor 16 Uhr kommt der Rentner Gustav Marx in das kleine Gardinenfachgeschäft an der Isselhorster Straße in Avenwedde. Dort hat Cornelia Müther vor einer Stunde allein ihren Dienst begonnen. Er betritt den Verkaufsraum und starrt geschockt auf eine kurze Treppe: Dort sieht er den leblosen und blutverschmierten Körper von ihr. Sie liegt langgestreckt auf dem Rücken, ein roter Schuh vor ihr, der andere steckt noch halb am Fußgelenk. Unter ihrem Kopf verbirgt sich ein aufgeschlagenes Telefonbuch. Gustav Marx rennt aus dem Ladenlokal und benachrichtigt die 16-jährige Christa M., die gleich nebenan im Friseurgeschäft ihres Vaters arbeitet. Notruf bei der Polizei. Nur Minuten später treffen die ersten Beamten ein. Ein Rettungshubschrauber wird angefordert. Der Notarzt kann nur noch den Tod feststellen. Cornelia Müther ist nicht mehr zu helfen. Aus der Kasse sind 140 Mark verschwunden Großalarm im Ortsteil Avenwedde-Bahnhof. Der Ehemann Harald Müther kommt zum Tatort. Als er vom Tod seiner Frau erfährt, bricht er fast zusammen. Minutenlang sitzt er mit den Händen vor seinem Gesicht auf einem Bordstein und schüttelt immer wieder den Kopf. Er kann es nicht fassen. &bdquo;Es handelt sich wahrscheinlich um einen Raubmord“, sagt damals der Bielefelder Staatsanwalt Hans-Dieter Heidbrede. Denn: die Ladenkasse sei geöffnet, das Geldfach liege leer auf dem Tresen. &bdquo;Ganze 140 Mark sollen sich darin befunden haben. Die sind weg.“ Eine Ringfahndung wird nicht ausgelöst, weil keine Anhaltspunkte über den oder die Täter vorliegen. Nur ein Gerücht macht die Runde: Ein dunkelfarbiger Mercedes Benz, älteres Modell, soll am Vormittag mehrmals auf der Isselhorster Straße auf und ab gefahren sein. Später rückt der Fokus auf ein gelbes Auto, das in der Nähe abgestellt worden war. Doch diese Fahrzeuge können schließlich in Bezug zu dem Verbrechen ausgeschlossen werden. Keine Verbindung. Von einer Tatwaffe fehlt jede Spur Spuren finden die Ermittler im Geschäft reichlich. Nach ersten Erkenntnissen ist die schwangere Cornelia Müther (sechster Monat) erstochen worden. Das bestätigt dann auch die Obduktion: Der Mörder hat 17 Mal in den Oberkörper und in den Hals gestochen. Doch von einer Tatwaffe, einem Messer, fehlt jede Spur. Die Staatsanwaltschaft setzt 3.000 Mark Belohnung für sachdienliche Hinweise aus. Die Tatwaffe findet zwölf Tage später eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei in einem Waldstück an der Friedrichsdorfer Straße in Avenwedde. Eine Spaziergängerin entdeckt dort zuvor einen auffälligen Schlüsselanhänger mit einem großen, verankerten &bdquo;H“. Die Kripo kann feststellen, dass dieser Anhänger vom Täter entwendet wurde. Zudem fehlen noch eine weinrote Geldbörse mit 50 Euro Inhalt und eine Handtasche in gleicher Farbe. Das gefundene Tatmesser hat rote Plastikgriffe und eine Klinge von sechs Zentimetern Länge. Mittels einer Feder springt die Klinge auf Knopfdruck aus der Griffschale heraus. Derartige Messer, das ergeben Recherchen, werden in Fernost hergestellt und von einer in Westfalen ansässigen Firma massenweise in Deutschland vertrieben. In dem Waldgebiet finden die Polizeibeamten noch einen olivgrünen Parka, eine blaue Latzhose, weiße Clogs und ein blaugelbgemustertes Taschentuch. Ob diese Textilien mit dem Mord etwas zu tun haben, steht bis heute nicht fest. 16-jähriger Bielefelder kommt in Untersuchungshaft Dann gibt es eine Festnahme: Bei einem 16-jährigen Jugendlichen aus Bielefeld-Ummeln mit türkischer Staatsangehörigkeit werden nach einem Hinweis an dessen Kleidung massive Blutanhaftungen festgestellt. Er kommt in Untersuchungshaft, wird jedoch einige Tage später auf freien Fuß gesetzt. Spezialisten beim Landeskriminalamt Düsseldorf stellen fest, dass es sich dabei um Tierblut handelt. Gesucht werden außerdem noch zwei Jugendliche, etwa 18 Jahre alt, die am Abend des Tattages in einer Gaststätte in Avenwedde einen 100-Mark-Schein gewechselt haben. Sie werden nie ausfindig gemacht. Fest steht, dass der Täter zwischen 15 und 15.50 Uhr den Mord begangen haben muss. Trotz intensiver Bemühungen der Mordkommission kann der Fall in den nachfolgenden Monaten nicht gelöst werden. Neue Ermittlungsansätze finden sich auch in den nächsten 42 Jahren nicht. Andrea Wellenbrink (52) kann sich noch genau an den Tag erinnern, an dem Cornelia ihr Leben verloren hat. &bdquo;Kurz vor 15 Uhr hat sie ihren kleinen Sohn Marco zu mir gebracht. Ich sollte auf ihn aufpassen, denn er wollte bei der Hitze nicht mit ins Geschäft. Sie wollte ihn dann später abholen. Nicht auszudenken, wenn er wie sonst üblich während der Tat dort gewesen wäre.“ Zwei Wochen später ist ihr dann eine mysteriöse Begegnung eingefallen, die sie auch der Polizei geschildert habe. &bdquo;Am späten Nachmittag des 13. August ist mir ein Mann mit Bundeswehrparka im Hirschweg aufgefallen, der die Kapuze über seinen Kopf gezogen hatte, sodass ich sein Gesicht nicht erkennen konnte.“ Sie habe ihm noch hinterhergerufen, dass es viel zu warm sei in dieser Kleidung. &bdquo;Doch er reagierte nicht und verschwand.“ Hat sie da etwa den Mörder gesehen? Gütersloherin muss erbittert um ihr Leben gekämpft haben Cornelia Müther muss erbittert um ihr Leben gekämpft haben. Abwehrverletzungen sollen von den Gerichtsmedizinern festgestellt worden sein, einige Spuren deuten wohl auch darauf hin. &bdquo;Die Polizei sagte uns, dass sie noch versucht hat, uns anzurufen“, erzählt Andrea Wellenbrink. Denn: &bdquo;Die ersten drei Zahlen unserer Telefonnummer waren auf der Tastatur blutverschmiert.“ Warum Cornelia nicht sofort den Notruf gewählt habe, könne sie heute nicht mehr sagen. &bdquo;Das bleibt rätselhaft.“ Sohn Marco Müther (44) kennt die traurige Geschichte nur von Erzählungen. &bdquo;Das war jahrelang ein Tabuthema in unserer Familie. Mein Vater, der vor zwei Jahren verstorben ist, hat es immer vermieden, mit mir darüber zu sprechen. Der hat das nie richtig verarbeiten können.“ Vielleicht sei es jetzt endlich an der Zeit, Licht in das Dunkel zu bringen. &bdquo;Wir wollen wissen, warum meine Mutter sterben musste und wer das getan hat.“ Und Andrea Wellenbrink ergänzt: &bdquo;Wir verstehen auch nicht, warum dieser Fall in den Schubladen der Justiz verstaubt.“ Beide haben inzwischen erhebliche Zweifel, dass es ein Raubmord war und fragen: &bdquo;Geht so brutal ein Raubmörder vor?“ Gütersloher Mordfall ist zum Cold Case geworden Je länger ein Mordfall ungelöst bleibt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter doch noch gefasst wird. Zeugen sterben, Erinnerungen verwaschen, Beweismittel verschwinden oder werden vernichtet, das Interesse der Staatsanwälte erlischt. Manchmal aber passiert das Unglaubliche, und nach Jahrzehnten stellt jemand Fragen, die lange niemand zu stellen wagte. Man setzt plötzlich Puzzleteile zusammen, die all die Zeit nicht zusammenzupassen schienen. Und gerade das ist die Hoffnung von Andrea Wellenbrink und Marco Müther. &bdquo;Vielleicht steht uns der bewegendste Moment noch bevor, nämlich der, dass irgendwann viel Trost uns die Gerechtigkeit spendet und wir damit abschließen können.“ Auf Anfrage der Neuen Westfälischen hat die Pressestelle der Bielefelder Polizei mitgeteilt, dass die &bdquo;Mordsache Müther“ zu einem Cold-Case-Fall geworden ist. &bdquo;Mehr können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht mitteilen“, erklärt Kriminalhauptkommissarin und Pressesprecherin Hella Christoph. Will heißen: Es gibt neue polizeiliche Ermittlungen in diesem ungeklärten Kriminalfall.

Meistgelesen