15.000 Zuschauer: Ungebrochener Rekord im Gütersloher Heidewald

Gütersloh. Vor wie vielen Zuschauern tritt der FC Gütersloh diesen Sonntag gegen TuS Bövinghausen an? Mehr als tausend? Weil immerhin der Tabellenführer kommt, mit Weltmeister Kevin Großkreutz in seinen Reihen? Für aktuelle Gütersloher Verhältnisse wäre das viel, doch im Vergleich zu früher ist es lächerlich. Vor genau 50 Jahren, am 15. Oktober 1972, brodelte der Heidewald mehr. 15.000 pilgerten damals ins Stadion, bis heute gültiger Zuschauerrekord. Sie hatten allen Anlass dazu. Fünf Monate war das Stadion umgebaut worden, jetzt durften sie erstmals wieder hinein. Was sie zu sehen bekamen, zählt bis heute zu den schönsten Stadien Westfalens. Groundhopper, jene Fußballfans, deren Sammelleidenschaft darin besteht, Spiele in vielen verschiedenen Stadien zu besuchen, haben es gerne auf ihrer Liste. Warum? &bdquo;Weil wir zu denen zählen, die noch Atmosphäre bieten“, sagt Helmut Delker, Vorstandsmitglied beim FC Gütersloh. Keine seelenlose Arena am Ende einer Autobahnausfahrt, kein multifunktionaler Zweckbau, der seine Ödnis mit dem Label &bdquo;Schmuckkästchen“ zu kaschieren sucht, sondern ein reines Old-Fashion-Stadion, dessen leicht morbider Charme jeden Fan sofort an jene glückseligen Zeiten denken lässt, die wir alle ein wenig vermissen: Das ist der Heidewald. Wenig später fegten die Spieler Borussia Dortmund aus ihrem neuen Stadion Womöglich liegt es an seinem Namen, dass es vor 50 Jahren gelang, Deutschlands damals beliebteste Sportlerin zu gewinnen: Heide Rosendahl. Sie hatte bei den Olympischen Spielen in München zwei Goldmedaillen im Weitsprung und als Schlussläuferin der 4x100-Meter-Staffel geholt, als sie nach Gütersloh kam – die Heide im Heidewald. Zweimal führte sie den Anstoß aus: erst zu einem Promi-Kick, dann zu einem besonderen Punktspiel. Die SVA Gütersloh traf auf den DSC Arminia Bielefeld, nach zehneinhalb Jahren endlich wieder ein Ostwestfalen-Derby, in dem es um Punkte ging. Und wie! Beide Mannschaften kämpften in der Regionalliga, vergleichbar der heutigen 2. Liga, um den Anschluss. &bdquo;Es war eine enge, verbissene Partie“, erinnert sich Volker Peschke, Verteidiger und Stammkraft der SVA. 1:1 ging sie aus, &bdquo;leistungsgerecht“, wie Peschke findet. Für die Zuschauer sei es vermutlich zäh gewesen, anders als später das Spiel gegen Borussia Dortmund, das von den SVA-Mannen regelrecht aus dem Heidewald gefegt wurde. &bdquo;Das war eine Hammerzeit damals“, sagt Peschke. Gütersloh spielte gegen Spitzenclubs wie Rot-Weiß Essen, Alemannia Aachen, Fortuna Köln oder eben den BVB. Und das gleich doppelt: mit der SVA und der DJK Gütersloh, den &bdquo;Grünen“ und den &bdquo;Blauen“. Dass Gütersloh eine zeitlang mit zwei Vereinen in Deutschlands zweithöchster Liga kickte – ohne Hauptsponsor, ohne Mäzene wie Günter Mast, ohne Finanzjongleure à la Günter Eichberg oder Volker Graul – ist heute angesichts des hartnäckigen Oberliga-Niveaus nur unter Aufbietung ausufernder Fantasie vorstellbar. Höhenflug erzeugte Druck zum Stadionausbau Damals indes erzeugte der Höhenflug den Druck, das Stadion ausbauen zu müssen. Die SVA hatte schon 1959 einen ersten Rekord aufgestellt, als sich 11.000 Zuschauer ein Freundschaftsspiel (!) gegen Rot-Weiß Essen ansehen wollten. Kaum weniger kamen zu Spielen gegen Schalke, den HSV oder Preußen Münster. Doch so richtig in die Bredouille geriet der Verein, als 1969 der örtliche Widersacher, die DJK, (mit Heribert Bruchhagen in ihren Reihen) in die Regionalliga aufstieg und deren Ludwig-Wolker-Platz an der Schledebrückstraße für derart hochklassigen Fußball wahrlich nicht geeignet war. Was tun? Die SVA als Pächterin des Stadions verweigerte der DJK den Einzug in ihre Spielstätte, was dreist und bockig war, da der Traditionsklub plötzlich eine Klasse tiefer kickte als der Emporkömmling. Schließlich sah sich die Stadt zum Einschreiten genötigt. Sie schloss mit dem Besitzer der Anlage, der Gütersloher Schützengesellschaft (siehe Info-Kasten), einen langfristigen Pachtvertrag und stellte die SVA mit einer Abfindung zufrieden. Die neuen Pachtverhältnisse erleichterten das Fortkommen. Als zwei Jahre später auch die SVA in die Regionalliga West aufstieg, Gütersloh verblüffenderweise mit zwei Profi-Vereinen glänzte, beschloss die Stadt, das Stadion auszubauen. Widerstände: keine. Die SVA wich in die TSG-Kampfbahn nach Rheda aus, die DJK ins Stadion Brackwede, dann begann der Umbau. Am 15. Oktober 1972 wurden die Tore wieder geöffnet Er dauerte nur fünf Monate. Das Stadion bekam eine Nord- und eine Südtribüne, neue Umkleiden, Toiletten, Kassenhäuschen. Was es zum Glück nicht wieder bekam, war eine Laufbahn; die Architekten hatten festgestellt, dass für dessen Neuanlage der Platz fehlte. So wurde der Heidewald, einst nach den Wünschen von Leichtathleten und Radsportlern gestaltet, das, was er heute ist: ein reines Fußballstadion. Unten begrenzt vom Rasen, oben von Bäumen. Wie geschaffen für Fußball-Romantik. Dass Spieler und Fans am 15. Oktober 1972 beglückt waren, liegt nahe: Zurück in ihr Stadion, zurück in ihren Tempel! Die Organisatoren hatten es geschafft, einiges aufzubieten: Um 13.30 Uhr ließen sie eine Promi-Auswahl gegen bewährte Gütersloher Recken antreten, um 15 Uhr folgte der Klassiker SVA gegen die Bielefelder Arminia. Beide Spiele stieß die Heide an, Heide Rosendahl. &bdquo;Meine Güte, war da was los“, erinnert sich Jochen Werner, einer der Traditionsspieler. Mit Haudegen wie Joraschkowitz, Hagemann, Brinkmann und Behrend an seiner Seite lief Werner gegen bekannte Ex-Spitzensportler auf: Harald Norpoth, Silbermedaillengewinner von Tokio über 5.000 Meter, Franz-Josef Kemper, Europarekordler über 800 Meter, Manfred Ommer, Deutscher Meister über 100 und 200 Meter (und später der kuriose &bdquo;Macher“ des FC Homburg), Gunther Spielvogel, mehrmaliger deutscher Hochsprungmeister, Claus Schiprowski, Silbermedaillengewinner von Mexiko im Stabhochsprung, etc. All die späteren Ergänzungen konnten dem Charme wenig anhaben Der Berühmteste von allen fehlte aber wohl: Helmut Rahn, der &bdquo;Boss“, Siegtorschütze von Bern. &bdquo;Angekündigt war er, aber ich kann mich nicht erinnern, ihn gesehen zu haben“, sagt Werner. Stattdessen sei Thomas Wessinghage gekommen, die Läufer-Ikone. Auch Volker Peschke, der das Punktspiel gegen Bielefeld bestritt, kann sich nicht entsinnen, Rahn begegnet zu sein, obwohl dieser tags darauf in der abgedruckten Aufstellung der Tageszeitung aufgeführt war. Ob mit oder ohne &bdquo;Boss“: Der Tag verlief außerordentlich. Die Fans fanden sich in ihrer neuen Heimat zurecht, auch in den Folgejahren. Als die SVA 1978 mit der DJK fusionierte – wer hätte das je für möglich gehalten? – , als der neue FCG auf- und aufstieg und kurz sogar an die Tür zur Bundesliga klopfte, als eine Beschallungsanlage, Flutlicht und ein richtiger Spielertunnel folgten, als die Stehränge durch Zäune in Blöcke geteilt und für Gastmannschaften ein eigener Zugang geschaffen werden musste, als Sicherheitsbestimmungen verlangten, die Zuschauerkapazität auf 12.500 zu begrenzen, da war der Gütersloher Fan mit allem einverstanden, weil nichts davon den Charakter dieses Stadions zu verändern vermochte. &bdquo;Es gibt kein Stadion, in dem so oft ins Schwarze getroffen wird.“ Während selbst das Hindenburgstadion in Meppen (das heute Hänsch-Arena heißt, ein ähnlich befremdlicher Name wie Ohlendorf- oder Energieversum-Stadion) mittlerweile grundsaniert ist, verströmt der Heidewald bis heute den Geruch eines authentischen, ehrlichen Fußballplatzes. Und ein bisschen kurios auch: Nirgendwo sonst in Deutschland gibt es ein Stadion, unter dessen Stehrängen ein Schießstand legt: 20 Luftgewehrbahnen, zehn Sportpistolen-Kleinkaliberbahnen und zwei Kleinkaliberbahnen mit 100 Metern Länge. Um mit Matthias Borner, Stadtsatiriker und unerschütterlicher FCG-Fan, zu sprechen: &bdquo;Es gibt kein Stadion, in dem so oft ins Schwarze getroffen wird.“ Wenn das nichts ist.

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