Erinnerungen an Massen-Andrang bei Gorbatschow-Besuch in Gütersloh

Gütersloh. Die Nachricht vom Tod Michail Gorbatschows, der im Alter von 91 Jahren starb, sorgt für Betroffenheit. Auch in Gütersloh. 30 Jahre ist es her, dass der Friedensnobelpreisträger und frühere sowjetische Staatschef auf Einladung von Bertelsmann eineinhalb Tage in der Dalkestadt verbrachte. Anderthalb Tage weilten Michail und seine Ehefrau Raissa in Gütersloh. Tage, die vielen Güterslohern im Gedächtnis geblieben sind. Begeistert jubelten sie dem letzten Staatschef der Sowjetunion an jenem 9. März 1992 zu. Das Wetter zeigte sich typisch ostwestfälisch – wegen des dichten Nebels konnte das Flugzeug des Paares nicht in Gütersloh landen, sondern wurde nach Paderborn umgeleitet. Bertelsmann war Gorbatschow "auf vielen Ebenen verbunden" Zur Mittagszeit trafen Michail und Raissa Gorbatschow an der Bertelsmann-Hauptverwaltung ein – begleitet von großem Applaus. Im Konferenzraum wartete Reinhard Mohn auf den Staatenlenker, Liz Mohn, Mark Wössner und Horst Teltschik brauchten eine Weile, um den Gast durch die Menge der jubelnden Bertelsmänner ins Gebäude zu geleiten. &bdquo;Das internationale Medien-, Dienstleistungs- und Bildungsunternehmen war dem Friedensnobelpreisträger eng und auf vielen Ebenen verbunden“, heißt es zum Tode Gorbatschows aus dem Unternehmen. Der Wegbereiter der deutschen Einheit war Autor verschiedener Bertelsmann-Verlage. 2019 veröffentlichte beispielsweise der zur Penguin Random House Verlagsgruppe gehörende Siedler Verlag mit &bdquo;Was jetzt auf dem Spiel steht“ das letzte Buch von Michail Gorbatschow. Liz Mohn würdigt den &bdquo;herausragenden Staatsmann“ Liz Mohn, die das Ehepaar Gorbatschow 1992 zusammen mit ihrem 2009 verstorbenen Mann Reinhard in Gütersloh empfangen hatte, sagt: &bdquo;Mit Michail Gorbatschow verliert die Welt einen herausragenden Staatsmann und Reformer, der sich wie kaum ein anderer für Frieden und Freiheit eingesetzt hat. Er war ein Mann, dessen Geist die europäische Zusammenarbeit und die internationale Politik bis heute prägt. Deutschland hat ihm sehr viel zu verdanken.“ Die Dankbarkeit für die Deutsche Einheit war es auch, die die Menschen vor 30 Jahren vor das Gütersloher Rathaus zog und Polizeidirektor Horst Haase ins Schwitzen brachte: Als Gorbatschow aus dem 560er Mercedes stieg, waren die Leute nicht zu halten. Polizisten wurden zur Seite gedrängt, Gorbatschow tauchte in der Menge unter, schüttelte Hände, ließ sich drücken. "Eine faszinierende Persönlichkeit", erinnert sich ein damaliger Gütersloher Ratsherr Ovationen auch im Ratssaal. Stadtdirektor Gerd Wixforth und Bürgermeister Karl-Ernst Strothmann standen Spalier, als sich der berühmte Gast vor den Augen von 200 Repräsentanten des öffentlichen Lebens ins Goldene Buch eintrug. Noch heute blickt Bürgermeister Norbert Morkes mit Stolz auf diese Seite. &bdquo;Mit Michail Gorbatschow ist ein Mann gegangen, ohne den Deutschland nicht das wäre, was es jetzt ist“, sagt er. &bdquo;Er war eine faszinierende Persönlichkeit“, erinnert sich Siegfried Betlehem, der damals als junger Ratsherr beim Besuch Gorbatschows dabei war. &bdquo;Wenn man in der Zeit des Kalten Krieges aufgewachsen ist, dann war das Ehepaar Gorbatschow ganz anders als die Politiker, die man in der Zeit erlebt hatte – zugänglich, empathisch“, sagt er. In der NW sei sogar berichtet worden, wer Raissa Gorbatschow die Haare gemacht hatte- Ursula Seidel und Karin Brüggemann vom Salon Seidel. &bdquo;Die Gorbi, Gorbi-Rufe in Gütersloh, das war damals der Zeitgeist“, so Betlehem. Er war schließlich der Staatsmann, der die Deutsche Einheit ermöglicht hatte. Es sei weltpolitisch tragisch, dass er im eigenen Land als Zerstörer der alten Sowjetunion wahrgenommen werde. &bdquo;Viele Menschen meiner Generation hatten gehofft, dass Russland eine ganz andere Wendung nimmt, als wir es jetzt erleben“, so Betlehem. Frie erinnert sich an aufregende Tage in der Klosterpforte Miele und Mohndruck waren weitere Stationen beim Gorbatschow-Besuch in Gütersloh vor 30 Jahren, danach gab es erst einmal eine Verschnaufpause im Gütersloher Parkhotel. Dort erinnert heute noch eine &bdquo;Michail-Gorbatschow-Suite“ an den Besuch des ehemaligen Präsidenten. &bdquo;Als ich von seinem Tod gehört habe, hat mich das schon getroffen“, sagt Reinhold Frie, Inhaber der Hotel Residence Klosterpforte in Marienfeld. BEi ihm war Michail Gorbatschow am Abend des 9. März zu Gast. &bdquo;Das war eine spannende Sache“, erinnert sich Frie, &bdquo;allein die Sicherheitsvorkehrungen“. Schon Tage vorher seien Experten mit Sprengstoffspürhunden durchs Haus gegangen. Kellner der Klosterpforte erlitt Schwächeanfall bei Gorbatschow-Aufenthalt Ein wenig später als geplant kamen die Gorbatschows in Marienfeld an. Der damalige NRW-Ministerpräsident Johannes Rau überbrückte die Zeit gekonnt, animierte das Jagdhornbläserkorps des Hegerings Harsewinkel und die Volkstanzgruppe Marienfeld, den wartenden 2.000 Zaungästen schon mal ihre Künste zu präsentieren. Bei der Ankunft freuten sich die hohen Gäste über die ostwestfälische Folklore. Beim Dinner – Freilandhuhn in Gemüsegelee, Möhneseezander auf Schnippelbohnen, geschmorter Ochsenschwanz mit Bitter-Biersoße und Rahmwirsing – unterhielten sie sich mit Rau, Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe, mit Minister Wolfgang Clement, Krupp-Chef Gerhard Kromme, den Fraktionschefs Hans-Ulrich Klose (SPD) und Helmut Linssen (CDU). Auch Lew Kopelew, russischer Schriftsteller und Dissident, saß mit am Tisch. &bdquo;Wir hatten einen Kellner, für den war der ganze Trubel zu viel. Der hatte an dem Abend einen Schwächeanfall. Da mussten wir dann einspringen“, erzählt Frie. Noch heute erinnert der Eintrag im Gästebuch der Klosterpforte an diesen denkwürdigen Besuch. &bdquo;Er war einer, der die Welt geformt hat“, sagt der Hotelier über den nun Verstorbenen. Gorbatschow war später sogar noch einmal Gast in der Klosterpforte. &bdquo;Da hat er bei uns gegessen, als er auf dem Weg nach Münster war, wo seine Frau im Krankenhaus lag.“

Meistgelesen