Als Gütersloh sein Südtor öffnete und die Epoche des Autos begann

Gütersloh. Für den autogerechten Ausbau Güterslohs gab es früher verblüffende Argumente. Eines lautete: Wenn an der Blessenstätte die Fachwerkhäuser abgerissen seien, komme der Alte Kirchplatz mit der Apostelkirche als idyllische Oase umso besser zur Geltung. Ein anderes: Seien die Straßen breiter, zögen die Autos und mit ihnen die Auspuffgasse leichter ab. Vor 50 Jahren, beim Ausbau des sogenannten &bdquo;Südtores“, argumentierte man exakt so. In Zeiten allumfassenden Fortschritts- und Mobilitätsglaubens kam das prima an. Und so hatten die Planer freie Bahn: Sie gestalteten die Achse Blessenstätte / Unter den Ulmen / Berliner Straße radikal um und nahmen dafür in Kauf, eine komplette Gebäudezeile mit alten Fachwerkbauten zu schleifen. Gütersloh öffnete sich dem Autoverkehr – und machte tabula rasa. "Das trägt entscheidend zur Verschönerung des Stadtbildes bei" Binnen weniger Tage rissen die Bagger im August 1972 das Eckhaus Blessenstätte/Unter den Ulmen ab, danach die Häuser Blessenstätte 5, 7, 9 und 11. Sie machten Platz für fünfspurige Fahrbahnen und einen Parkplatz. &bdquo;Die verbreiterte Kreuzung trägt entscheidend zur Verschönerung des Stadtbildes bei“, jubelte Stadtrechtsrat Bernhard Westerfellhaus, und Stadtbaurat Helmut Krieg – geflügeltes Wort: &bdquo;Was der Krieg nicht geschafft hat, schafft Herr Krieg“ – pflichtete ihm voll und ganz bei. Der Verkehr, so die beiden Stadtoberen, werde es fortan leichter haben. Gütersloh als rasch wachsende Boomtown wollte sich modern und verkehrsgerecht präsentieren. Das Stahlsche Haus, dieses prächtige ehemalige Standesamt, hatte man bereits ein Jahr zuvor ins Freilichtmuseum nach Detmold transloziert, andere Bauten wie das Schmuckgeschäft Müscher oder der alte &bdquo;Bremer Schlüssel“ waren abgerissen. Die Grundlage für all das schuf der Bebauungsplan Nr. 22 &bdquo;Domhof / Blessenstätte“ von 1960: Er regelte die Neuordnung im Stadtgebiet rund um Domhof, Blessenstätte, Dalkestrasse, Berliner Straße, Münsterstraße, Göbenstraße und Unter den Ulmen. Dass später genau dort die typenprägende, raumgreifende Vorzeige-Bibliothek entstehen sollte, ahnte man zwar noch nicht, ergab sich aber passend. Oberste Priorität: Der Verkehrsfluss darf nicht stocken Im Grunde verstanden die Politiker und Stadtoberen den Südtor-Ausbau als &bdquo;konsequente Fortführung“ des Bebauungsplanes Nr. 16 (Kaufhaus Hertie). Während jener Plan das Zentrum umfasste und die Weichen für die wenig später (Ende 1972) eröffnete Fußgängerzone stellte, ging es an der Südseite der Innenstadt darum, den ständig zunehmenden Verkehr aufzufangen und abzuleiten. Die Grundlage dafür bildete ein Gutachten, erstellt von Prof. Dr. Schlums von der TU Hannover. Es war, um es in einem Wort zu bündeln, autofreundlich: Städte müssten, um zu prosperieren, ihre Infrastruktur so gestalten, dass sie die Autofahrer locken – und zugleich darauf achten, dass der Verkehrsfluss nicht stockt. Schlums Gutachten deckte sich mit den Grundzügen der Gütersloher Stadtplanung. Dieser galt die Umwandlung der Innenstadt in ein modernes, verkehrsgerechtes Zentrum als vorrangiges Ziel. Was dem im Weg stehe, so die damalige Denkweise, müsse weg. Dass sich die alten Fachwerkbauten an der Blessenstätte in kümmerlichem Zustand befanden, machte die Entscheidung für den Abriss umso leichter. Den Ladeninhabern bot man Ersatzquartiere an Es gab zwar auch in der 1960er Jahren vereinzelt Politiker und Architekten, die sich als Mahner hervor taten, doch fanden sie kaum Gehör. Und so begann im August vor fünfzig Jahren am Eckhaus Unter den Ulmen 2 der Abbruch einer ganzen Häuserzeile entlang der Blessenstätte. Sämtliche Grundstücke waren in den Besitz der Stadt übergegangen, die Verhandlungen hatten sich keineswegs einfach gestaltet, für die Ladenbetreiber musste Ersatz gefunden werden. Die Geschäfte Ruhenstroth und Platz etwa wichen ins städtische Haus Berliner Straße 15 aus, wo zuvor noch Knipschild Ausweichsquartier gefunden hatte. Die Blessenstätte, sie wurde fünfspurig, ein regelrechter Boulevard. Auf dem Gelände des Domhofes, dort, wo nun die Bibliothek steht, richtete die Stadt einen Parkplatz her: 40 Autos konnten dort stehen, von Grünstreifen umschlossen. &bdquo;Dadurch erreichen wir eine Art Auflichtung“, frohlockte Stadtbaurat Krieg, die verbreiterte Kreuzung mit dem Grün dazwischen trage entscheidend zur Verschönerung des Stadtbildes bei. Nun passten doppelt so viele Autos hindurch Als die NW im Januar 1973 über den Abschluss der Arbeiten berichtete, fiel das Fazit positiv aus. &bdquo;Am wohl wichtigsten Gütersloher Knotenpunkt sind die Voraussetzungen für eine verhältnismäßig schnelle Fahrt durch diesen Teil der Innenstadt geschaffen worden“, so die Zeitung. Es könne nun die doppelte Menge an Autos das Südtor passieren. Der Verkehr werde auf bestmögliche Weise geleitet, Staus träten nur in erträglichem Maße auf, und auch die Abgase machten sich nicht bemerkbar, &bdquo;weil alle einmündenden Straßen über eine in Großstädten übliche Breite verfügen und außerdem noch genügend große Grünanlagen die Abgase aufsaugen“.

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