Diskussion um Flüchtlingsunterkunft: "Gezeter, das die Stadt nicht braucht"

Gütersloh. In der Bundespressekonferenz im August 2015 äußerte sich Angela Merkel hinsichtlich der Flüchtlingskrise in Deutschland und der daraus resultierenden politischen Auseinandersetzung folgendermaßen: &bdquo;Ich sage ganz einfach: Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das! Wir schaffen das, und dort, wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden, muss daran gearbeitet werden.“ Daraus wurde verkürzt ein &bdquo;Wir schaffen das!“, was der damaligen Bundeskanzlerin beinahe das politische Genick brach. Heute, sieben Jahre später, stehen wir an genau derselben Stelle, nur das die Situation eine grundlegend andere ist. Wir erwarten einen enormen Flüchtlingsstrom. NRW-Ministerpräsident Henrik Wüst (CDU) traut sich, den oft verpönten Merkel-Satz in den Mund zu nehmen und verspricht: &bdquo;Wir schaffen das!“ Und Güterslohs Bürgermeister Norbert Morkes fügt zu seinem Optimismus ein Wörtchen hinzu: &bdquo;Wir schaffen auch das!“ Schon 200 Flüchtlinge in Gütersloh angekommen 2015 sind rund 890.000 Asylsuchende nach Deutschland gekommen. Wie viele es jetzt werden, weiß niemand. Es gibt kaum Grenzkontrollen. Im Fall der Ukraine durften Staatsbürger ohnehin bislang visafrei in die EU einreisen. Migrationsforscher sagen uns voraus, dass es sich um die &bdquo;am schnellsten wachsende Flüchtlingskrise in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg“ handelt. Zwei Millionen Menschen haben die Ukraine schon verlassen, zehn könnten es werden. Laut Sozialdezernent Henning Matthes sind seit Anfang der Woche rund 200 geflüchtete Menschen aus der Ukraine in Gütersloh registriert worden. Täglich werden es mehr.Auch Bielefeld zählte Mitte der Woche schon über 700 Geflüchtete, viele Kinder und Frauen und etwa 30 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. &bdquo;Das Tempo, in dem die Menschen zu uns kommen, ist wirklich krass“, sagt Bielefelds Sozialdezernent Ingo Nürnberger. &bdquo;Das sind jetzt schon mehr Geflüchtete, als wir im gesamten Jahr 2016 aufgenommen haben. Wir wollen helfen, aber das ist eine Mammutaufgabe für uns alle.“ Lesen Sie auch: Newsblog zum Ukraine-Krieg - alle Auswirkungen auf den Kreis Gütersloh Städtische Unterkünfte sind seit Jahren randvoll Die Kommunen wollen nicht nur, sie müssen helfen. Kriegsflüchtlinge sind schutzbedürftig und müssen versorgt werden. Deswegen hat die Stadt Gütersloh in den vergangenen Tagen nichts unversucht gelassen und gefragt: &bdquo;Wer kann noch Wohnraum zur Verfügung stellen?“ 100 Optionen sind auf diese Weise entstanden. Immerhin. Aber es reicht nicht. Die städtischen Unterkünfte sind seit Jahren randvoll.&bdquo;Was ist denn mit den Britenhäusern? Die stehen doch leer!“ Ja, das stimmt. Aber sie gehören nicht der Stadt. Bürgermeister Morkes hat dafür keinen Haustürschlüssel, der hängt bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben BImA. Es heißt, der Bund prüfe gerade, ob er von seinen Immobilien auch Gebäude mietfrei als Flüchtlingsunterkünfte bereitstellen kann. Das wird der Bund ganz klar tun. Wenn nicht jetzt, wann dann.Die oft gelobte Hilfsbereitschaft ist binnen weniger Sekunden gekippt Bielefeld meldet, mit der BImA sei bereits geklärt, dass 106 ehemalige Britenhäuser genutzt werden können. So weit ist Gütersloh noch nicht. Und selbst wenn das Okay kommt, braucht es Vorlaufzeit, um die seit vielen Jahren abgeklemmten Versorgungsleitungen wieder in Gang zu setzen. Wir reden über mindestens zwei Wochen. Vielleicht vier.Die Stadt ist Eigentümerin der Dreifachsporthalle in Spexard. Sie hat am Donnerstag das getan, was sie tun muss: Sie hat entschieden, die Halle vorübergehend als Flüchtlingsunterkunft zu nutzen. Nein, sie hat es nicht mit dem SV Spexard als Hallennutzer besprochen, sie hat es mitgeteilt, weil es jetzt schnell gehen muss, und zugleich Hilfe angeboten bei der Suche nach alternativen Sportplätzen für den Verein. Es ist der Punkt, an dem die oft gelobte Hilfsbereitschaft gegenüber den Ukraine-Flüchtlingen binnen weniger Sekunden gekippt ist. Warum? Weil es jetzt ernst wird. Der Verein zeigt sich &bdquo;geschockt“, empfindet die Entscheidung als &bdquo;Schlag ins Gesicht“ und vergreift sich damit gehörig in der Wortwahl. Natürlich müssten die Flüchtlinge untergebracht werden, &bdquo;aber doch nicht bei uns.“ Und es seien vor allem ihre Kinder, auf deren Rücken die Entscheidung gefällt worden sei. Die müssten nun nach Flüchtlingswelle Nr. 1 und Pandemie ein drittes Mal innerhalb kürzester Zeit auf ihr Sportprogramm verzichten.Der SV Spexard hat sich mit der Reaktion keinen Gefallen getan Auch Hans Feuss, Vorsitzender des Kreissportbundes, springt auf und moniert reflexartig die Verfahrensweise der Stadt. Man hätte das mit dem Verein gemeinsam erarbeiten müssen. Nein, hätte man nicht, denn wenn’s brennt, handelt man und diskutiert nicht. Der SV Spexard hätte sich wohl auch bei einer freundlichen Ansprache gewehrt und auf die Sporthalle in Friedrichsdorf verwiesen. Mit dieser Reaktion hat der SV Spexard sich selbst und der Gesamtsituation keinen Gefallen getan. Gerade der Sport könnte einer ohnehin angespannten Gesellschaft zeigen, wie Team-Spiel funktioniert und wie man Hindernisse sportlich nimmt. Der Angriff auf die Ukraine ist noch nicht einmal drei Wochen alt. Wir stehen ganz am Anfang dieser allumfassenden Bedrohung. Aus dem Rathaus werden noch weitere unliebsame Entscheidungen kommen. Wie schön wäre es, wenn die Stadtgesellschaft etwas länger und etwas mehr zusammenhalten könnte. Natürlich schafft die Stadt Gütersloh (auch) diese riesen Herausforderung. Aber nicht, wenn wir uns nach diesen paar Tagen schon geohrfeigt und geschlagen zeigen.

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