Tönnies gesteht Handlungsbedarf zur Korrektur in Tierställen ein

Münster/Rheda-Wiedenbrück."Herr Tönnies, Sie standen im letzten Sommer enorm im Fokus. Was haben Sie eigentlich daraus gelernt?" Die Einstiegsfrage von Top Agrar-Chefredakteur Matthias Schulze Steinmann kam überraschend frontal daher. Clemens Tönnies schien damit gerechnet zu haben, ging auf die Fragestellung gar nicht ein und wiederholte Sätze wie schon zuvor im RTL-Interview: "Mir hat das persönlich sehr weh getan. Vor allem für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tat es mir ein Stück weit leid." Inzwischen seien, so Tönnies, eine Million Corona-Test gemacht worden und drei Impfstraßen im Konzern eingerichtet, damit man bald sagen könne: "Die Pandemie haben wir sehr leidgeprüft überstanden." Der Geschäftsführende Gesellschafter von Europas größtem Schlachthof wollte nicht nach hinten blicken, er war nach Münster ins Verlagsgebäude gekommen, um nach vorn zu blicken. Der landwirtschaftliche Verlag Top Agrar hatte zur Gesprächsrunde "Wirtschaft im Dialog" geladen. Thema diesmal: "Mehr Tierwohl in den Ställen und bessere Arbeitsbedingungen an den Schlachthöfen." Aldi und Lidl kneifen als Gesprächspartner 1.200 Zuschauer verfolgten am Mittwochabend den Livestream im Internet. Zugeschaltet war unter anderem die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner aus Berlin. Aldi und Lidl als Vertreter des Handels waren auch geladen. "Sie sind aber die Kneifer des Abends und haben uns eine Abfuhr erteilt", so Schulze Steinmann. Clemens Tönnies schien das weder zu wundern noch zu missfallen. Er forderte, dass das brutale Preisdiktat sowie die Lippenbekenntnisse des Handels endlich aufhören. Stattdessen übte Tönnies, der nach eigenen Aussagen von 11.600 Fleischerzeugern beliefert wird, den Schulterschluss mit den Landwirten. "Die Zeit der Mega-Schlachthöfe ist vorbei", zitierte der Moderator eine Aussage des Tönnies-Konkurrenten Vion und bat den Rheda-Wiedenbrücker um seine Einschätzung, ob man in Deutschland zukünftig zu kleineren Schlachtstrukturen zurück kommen werden. "Ich bin persönlich nicht dagegen", so Clemens Tönnies, "es wird eine Vielzahl kleiner Schlachthöfe geben, die ihre Berechtigung haben und sich jetzt bilden werden." Er sei jedoch gespannt, ob der Verbraucher bereit sei, die Mehrkosten dafür zu zahlen. Im Sessel neben ihm - nur eine Corona-Länge entfernt - saß Reinhild Benning, Referentin für Landwirtschaft und Tierhaltung der Deutschen Umwelthilfe, und sprach Sätze wie "Wir brauchen eine Revolution im Stall." Tönnies widersprach nicht. Stattdessen machte er Zugeständnisse: "Wir sehen den Handlungsbedarf zur Korrektur", deshalb kümmere man sich intensiv um Bio. Sehen Sie sich hier das komplette Gespräch mit Clemens Tönnies an: "Wir werden diese Mengen Fleisch wie bisher nicht mehr produzieren. Ich hoffe, dass wir sie auch nicht mehr produzieren müssen." Tönnies betonte, man sei nicht gegen Veränderung. "Ich bin kein Bremser. Wir sind viel weiter als mancher glaubt - auch unsere so genannten Gegnern", womit wohl die Tierschützer gemeint waren, die sich den Kampf gegen das System Tönnies auf die Fahnen geschrieben haben. Der Begriff des Strukturwandels begleite das Unternehmen seit 40 Jahren. "Wir weinen dem Werkvertragsystem keine Träne nach." Tönnies schickt seine Kunden vor. Die Landwirte sollen bei der Politik Antworten einholen. Dass das Tischtuch zwischen Tönnies und der Landesregierung und manch anderem hochrangigen Politiker wie dem heimischen Bundestagsabgeordneten Ralph Brinkhaus (CDU) zerschnitten ist, ist hinlänglich bekannt. Hinter den Kulissen wird weiter gestritten. Es geht um jede Menge Geld, Rückforderungen, Rechtsfragen rund um den desaströsen Corona-Ausbruch im Juni letzten Jahres. Lesen Sie auch: Kommunikation ist alles - was wir aus dem Fall Tönnies lernen können Dazu sollen neue Forderungen von Tönnies vorgetragen worden sein, die strengen Auflagen seit Sommer 2020 in Teilen wieder zu lockern. Also schickte der Unternehmer am Mittwoch seine Kunden vor: die Bauern mögen sich jetzt an die Politik wenden und nachfragen, wo man denn konkret mit der deutschen Landwirtschaft hinwolle. Am besten noch vor der nächsten Bundestagswahl. Er selbst habe Sorge, dass man kollabiere, wenn der Systemwandel überdreht werde. "Ich appelliere an die Landwirte. Geht zu euren Abgeordneten und fragt nach." Dazu der Nachsatz für die Öffentlichkeit: "Ich denke, dazu haben wir ein Recht."

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