Ex-Claas-Manager: "Deutsche gelten im Ausland als besserwisserisch"

Herr Richenhagen, Joe Biden ist vereidigt, Donald Trump als erster Präsident seit 150 Jahren der Machtübergabe ferngeblieben. Sie haben ihn kennengelernt, passte dessen Abgang zum Bild, das Sie von ihm haben? Martin Richenhagen: Er war ja immer sehr anders und egozentrisch. Von daher passt dieser stillose Abgang eigentlich ganz gut zu einem stillosen Präsidenten. Dass er jetzt ein Loser ist, kann er offensichtlich nicht fair verarbeiten. Trump verabschiedete sich am Flughafen von seinen Unterstützern mit den Worten &bdquo;Wir werden euch bald wiedersehen". Was glauben Sie, in welcher Rolle wird die Welt Trump künftig wiedersehen? Richenhagen: Das &bdquo;I will be back" (Anm. d. Red: Ich werde zurückkommen) ist ja fast schon Schwarzenegger-Zitat (Anm. d. Red: Schwarzengger sagt diesen Satz als Terminator im gleichnamigen Film). Bei Trump klingt es wie eine Bedrohung. Ich glaube, dass er sich in den nächsten Wochen und Monaten mit juristischen Problemen beschäftigen muss, die auf ihn zukommen. Er hat das Impeachment vor der Brust. Wenn die Republikaner wollen, können sie verhindern, dass Trump noch mal Präsident wird. Ich hoffe, dass wir ihn als solchen nicht mehr wiedersehen. Nach dem Sturm auf das Kapitol ist Trump der erste Präsident, der zum zweiten Mal ein Amtsenthebungsverfahren erlebt. War die Anstachelung des Mobs das größte Vergehen während seiner vierjährigen Amtszeit? Richenhagen: Es ist natürlich ein Fehler, der in die Geschichte eingehen wird, weil es so etwas noch nie gegeben hat. Dieser undenkbare Vorgang hat viele Leute hier sehr geschockt. Joe Biden hat angekündigt, das Land mit sich versöhnen zu wollen. Kann das gelingen, angesichts des strukturellen Rassismus und der Spaltung in der Gesellschaft? Richenhagen: Da bin ich optimistisch und glaube, dass Biden der richtige Mann ist. Das ist jemand, der Höhen und Tiefen erlebt hat. Mit Umgangsformen, Allgemeinbildung und Humor. Was er in den ersten Tagen nach Amtsübernahme bewegt hat, hat es bisher so nie gegeben. Was muss Joe Biden konkret unternehmen, um das Land wieder zu einen? Richenhagen: Dass das Land so ungeeint ist, erlebt man hier in Georgia eigentlich nicht, wo es einen hohen Anteil schwarzer Bevölkerung gibt. Dass schwarze Amerikaner Rassismus erleben oder Integrationsprobleme haben, liegt daran, dass an der Basis zu wenig getan wird. Es wird wichtig sein, sich um Verbesserungen der Ausbildungsmöglichkeiten für alle Jugendlichen zu kümmern. In Ihrem neuen Buch, das im Frühjahr erscheint, beklagen Sie laut Zeit, dass der kulturelle Graben zwischen Amerikanern und Deutschen größer wird. Ist die Perspektive des gespaltenen Landes aus Ihrer Sicht also eine deutsche? Richenhagen: Die Deutschen haben unter Trump eine kritische Distanz zu Amerika entwickelt. Eigentlich darf es nicht sein, dass eine Person das Verhältnis beider Länder so grundlegend verändern kann. Deswegen bin ich optimistisch, dass es uns gelingt, das Image Amerikas in Deutschland wieder zu stabilisieren. Würde uns Deutschen also mehr Demut gut tun, wenn wir auf Amerika blicken? Richenhagen: Im Ausland werden die Deutschen oft als besserwisserisch und etwas überheblich wahrgenommen. Wir Deutschen, da bin ich selbst nicht ganz anders, haben die Eigenschaft, dass wir fest davon überzeugt sind, wir wüssten alles besser und haben Recht. Deutsche Ingenieure, das habe ich in meiner unternehmerischen Praxis erlebt, wissen immer besser was die Kunden brauchen als die Kunden selbst. Da wäre es schön, wenn Deutsche bescheidener auftreten würden. Nun gilt Bescheidenheit nicht unbedingt als Paradedisziplin der Amerikaner. Richenhagen: Das sind meist auch auffällige Erscheinungen als Touristen. Aber sie sind viel positiver, man hört fast nie eine kritische Bemerkung. Wenn man mit Deutschen über Amerika spricht, gibt es meist eine Reihe kritischer Beobachtungen. Meistens sind die nicht falsch, aber der Denkansatz ist viel negativer als bei den Amerikanern. Wie geht es der amerikanischen Wirtschaft nach der Ära Trump? Richenhagen: Die Wirtschaft hat sich trotz Trump prächtig gehalten und entwickelt. Was ihr gut getan hat, waren die Steuerreform und die neue steuerliche Regelung hinsichtlich der Rückführung der im Ausland generierten Gewinne. Was die Wirtschaft gestört hat, waren die Handelskriege. Besonders auch die Stahlpreissanktionen beziehungsweise die Strafzölle. Das hat auch meine ehemalige Firma Agco etwa 50 Millionen US-Dollar im Jahr gekostet. Welche Auswirkungen hatte speziell der amerikanische Handelsstreit mit China? Richenhagen: Das hat gerade der Landwirtschaft stark geschadet, auch Claas war darüber nicht erfreut. Das Beispiel zeigt, was für ein schlechter Schachspieler Trump war. Er hat nie einen Zug weitergedacht. Denn als er die Sanktionen einführte, haben die Chinesen schnell aufgehört Mais, Sojabohnen, Hühnchen- und Schweinefleisch in den USA zu kaufen – in einem Umsatzvolumen von jährlich 50 Milliarden US-Dollar. Was bedeutet der Abschluss des Freihandelsabkommen RCEP, durch das in Asien die weltgrößte Handelszone entstanden ist, für die Unternehmen im Kreis Gütersloh? Richenhagen: Wenn die Politik dabei hilft, Märkte leichter erschließbar zu machen, ist das für deutsche Unternehmen erstmal ein Vorteil. Wie sich das auf die einzelnen Unternehmen auswirkt, kann ich nicht beurteilen. Claas etwa hat eine Top-Position in Indien, ist in China aber nicht so präsent. Vielleicht entwickelt man ja eine Strategie. Was glauben Sie, welchen Kurs wird die Regierung Biden langfristig gegenüber China einschlagen? Richenhagen: Die Deutschen sind den Chinesen gegenüber ein wenig naiv und blauäugig, akzeptieren die unmöglichsten politischen Entscheidungen. China ist zwar ein großer Markt, aber man muss nicht ausschließlich optimistisch und positiv herangehen, sondern das auch kritisch betrachten. Das machen die Amerikaner etwas vernünftiger. Was Trump nicht gut gemacht hat, war die Diskussion auf die emotionale Schiene zu heben. Da erwarte ich mir von Biden, dass sachlicher diskutiert wird. Aber ich glaube, dass wir uns kritisch mit China auseinandersetzen müssen. Sowohl Amerika als auch Deutschland und die EU. Der Bau der Ostseepipeline Nord Stream II ist mittlerweile zu einem politischen Konflikt zwischen Amerika und Russland geworden, in dem Deutschland eine ungemütliche Rolle hat. Wie geht es damit weiter? Richenhagen: Ich bin der Meinung, die Pipeline muss und soll gebaut werden, aber die Amerikaner sehen unser Verhältnis zu Russland sehr kritisch. Sie sind besonders darüber erstaunt, was der Herr Schröder (Anm. d. Red: Gerhard, früherer Bundeskanzler) da macht. Man muss verstehen, dass die Amerikaner das nicht verstehen können. Das wird uns auch unter Biden begleiten. Immer wieder wird von den Amerikanern thematisiert, dass mehrere europäische Nato-Mitglieder, etwa Deutschland, den Verpflichtungen bei den Verteidigungsausgaben nicht nachkommen. Behält das Thema seinen Stellenwert? Richenhagen: Das wird uns ebenfalls begleiten. Die Amerikaner sind sehr erstaunt, dass wir eine Bundeswehr haben, die dysfunktional ist, da die Ausrüstung im Wesentlichen nicht oder nur ansatzweise funktioniert. Ich glaube, darin liegt eine Chance für Deutschland. Denn es wird sowohl von den europäischen Nachbarn als auch von der Nato aufgefordert, sich mehr zu engagieren. Es ist wichtig, dass wir da ein Stück weit Gas geben und beweisen, dass wir die Bundeswehr in Schuss bekommen können. Denn von der Idee der amerikanischen Weltpolizei müssen wir uns verabschieden. Sollte die EU sich in Fragen der Verteidigungspolitik stärker von Amerika emanzipieren, wie diskutiert wird? Richenhagen: Im Ergebnis sehe ich das so, aber ich würde das nicht Emanzipation nennen, sondern sagen, dass wir einen größeren Beitrag leisten müssen. Um uns da zusammen mit den Amerikanern zu engagieren.

Meistgelesen