"Das ist Güterslohs schönste Post": Warum dieses Gebäude so neugierig macht

Gütersloh. Es ist endlich ein gelbes Schild an der Hauswand angebracht und seit drei Wochen steht der Briefkasten an seinem neuen Platz vor dem Gebäude. Jetzt sieht es wenigstens ein bisschen aus wie eine Postfiliale. Die Kirchentür steht auf und drinnen hat Wilfried Leichner sich die Dinge zurechtgerückt mit dem, was da ist. Ein schwarzer Thekenhocker dient den Kunden als Ablagefläche für Pakete. Im Gütersloher Ortsteil Blankenhagen ist man wenig verwöhnt. "Hauptsache eine Post", sagt eine Kundin. Über den ganzen anderen Rest wird hinweggeblickt. Seit Ende März steht Wilfried Leichner in den Räumen im Langertsweg 24. Eigentlich ist es der Flur des Alevitischen Gemeindezentrums. Leichner behauptet: "Das ist Güterslohs schönste Post!" "Die Leute sind neugierig auf das Gebäude" Zumindest ist es die interessanteste Postfiliale. "Die Leute sind neugierig auf das Gebäude", berichtet Filialleiter Leichner, "Keiner wusste etwas mit den Aleviten anzufangen. Kein Wunder. Da muss man vorher auf Wikipedia nachgucken." Die Verbindung in den Alltag ist einfach: Bundestagsabgeordnete Elvan Korkmaz-Emre (SPD) - aufgewachsen in Blankenhagen - gehört zur Alevitischen Gemeinde. Ihr ist es konkret zu verdanken, dass die Gemeinde die Post als Untermieter aufgenommen hat. "Die Aleviten nutzen ihr Gebäude nur von Freitag- bis Sonntagabend. Wir stören uns gegenseitig nicht und das Gebäude wird wenigstens genutzt", eine Win-Win-Situation findet Leichner. Keiner wollte die Postfiliale in Blankenhagen aufnehmen Letztes Jahr um diese Zeit war ihm anders zumute. Drüben aus dem Gebäude neben der Polizei musste die Postfiliale verschwinden, weil das Gebäude saniert wird. Ende des Jahres sollte Schluss sein. "Ich habe mir die Hacken wund gelaufen, damit wir die Post in Blankenhagen irgendwo halten können." Leichner ging es um beides: seinen Job und um die Postfiliale. Der Combi-Markt lehnte ab so wie viele andere Vermieter auch. "Für mich ist das hier existenziell", sagt der 62-Jährige, "für die Leute in Blankenhagen aber auch." Täglich von 10 bis 12 Uhr ist offen. Einen Scanner hat Leichner an seiner Kasse nicht. "Hier geht auch nur Barzahlung", für jede verkaufte Briefmarke muss er eine Quittung ausfüllen und die Originale nach Berlin schicken. "Haben Sie noch gelbe Säcke", fragt ein junger Mann in Jogginghosen. Leichner greift in eine Kiste und reicht ihm eine Rolle. Der Vorgang wiederholt sich am Morgen. "Seitdem der Supermarkt als einzige Ausgabestelle keine gelben Säcke mehr verteilt, weil sie damit wohl' ne Menge Ärger hatten, gibt es nirgendwo in Blankenhagen welche." Leichner kümmert sich. Er organisiert die Rollen mit den gelben Säcken mit Hilfe des Bürgervereins. Die haben ein Auto und holen die Kartons vom Bauhof an der Goethestraße. Die Polizei ist auch auf der Suche nach neuen Räumen Er ist der Meinung, keine gelben Säcke zu bekommen, das könne man vor allem den alten Menschen hier nicht zumuten. "Wenn man in Blankenhagen bei der Post arbeitet, ist man immer auch ein bisschen Streetworker." Leichner macht das gerne. Die Umstände aber machen ihn sauer, denn dass sich selbst einfachste Versorgungsleistungen aus dem Ortsteil fortschleichen, scheint niemanden so richtig zu interessieren. "Wir hatten in Blankenhagen früher eine Apotheke, zwei Supermärkte, eine Fahrschule, Ärzte, zwei Banken, einen richtigen Bäcker, einen Frisör, zwei Kneipen, einen Imbiss", davon sei lediglich ein Supermarkt noch übrig geblieben. "Ich verstehe gar nicht, dass hier niemand einen Imbiss aufmacht." Auch die Polizei gegenüber in der Leipziger Straße hat inzwischen ihre Kündigung bekommen und muss ihre Station Ende des Jahres räumen. Die Umzugskartons werden bereits gepackt. Den Beamten geht es indes nicht besser als Wilfried Leichner vor einem Jahr: es werden verzweifelt neue Räume gesucht. Sonntags fährt kein Bus in Blankenhagen "Ich habe dort drüben in der obersten Etage gewohnt. 24 Jahre lang", erklärt Post-Kundin Ruth Plonus und zeigt auf das Gebäude an der Leipziger Straße, das in Blankenhagen das "Tönnies-Haus" genannt wird. "Es fehlt hier an vielem. Mir persönlich am meisten die Jakobuskirche", sagt die 85-Jährige, "aber ich möchte nicht woanders leben." 20 Jahre lang war sie Küsterin in der Jakobuskirche, die 2007 entwidmet wurde. Für Besorgungen steigt sie in die Linie 211 und fährt in die Gütersloher City. Gerne würde sie sonntags auch zum Gottesdienst fahren."Aber Sonntags fährt kein Bus in Blankenhagen." Plonus' Wunsch wäre die Fertigstellung des geplanten Bürgerzentrums. "Damit auch wir Älteren wieder eine Anlaufstelle haben. Aber es passiert ja gar nichts." Seit drei Jahren stehen sämtliche Pläne. "Blankenhagen war schon immer der vergessene Ortsteil von Gütersloh", jeder der hier aufgewachsen sei, kenne die Stigmatisierung, die man als Kind spätestens in der weiterführenden Schule erlebt, sagt Willy Leichner. Dabei sei hier alles ziemlich friedlich, die Kriminalität kein bisschen höher als anderswo, auch wenn die Leute weniger kaufkräftig seien. Leichner zuckt die Schultern. "Was soll's. Ich bin erst mal dankbar, dass es hier überhaupt noch läuft."

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