Wichtige oder total überflüssig: Sind Wahlplakate noch zeitgemäß?

Gütersloh. Dass in wenigen Wochen die Kommunalwahl ansteht, ist in Gütersloh kaum noch zu übersehen. Etliche Wahlplakate zieren Straßenlaternen und Bäume. Aber ist diese Form der Wahlwerbung überhaupt noch zeitgemäß? Zwei NW-Autoren, zwei Meinungen. "Ohne Plakate wäre die Wahl unvollständig" Max Maschmann Nennen Sie mich ruhig altmodisch, aber mit den Wahlplakaten ist es bei mir so wie mit dem guten, alten Weihnachtsbaum. Sobald die Pappschilder an den Straßen hängen oder die Tanne in der Stube steht, bedeutet das für mich so viel wie: Bald ist es wieder so weit. Ab ins Wahllokal, Kreuzchen machen. Ein Urnengang ohne die bunten Wahlplakate? Wäre für mich unvollständig. Fast so wie ein Weihnachtsfest ohne Baum. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ihren Wert für die Demokratie beziehen die Plakate nicht daraus, dass sie echte Inhalte oder Lösungsansätze transportieren. &bdquo;Keine Experimente! Konrad Adenauer" (CDU-Slogan zur Bundestagswahl 1957) oder &bdquo;Arbeit muss sich wieder lohnen" (FDP-Slogan für die Bundestagswahl 2009). Formulierungen wie diese sind schnell aus den Augen und aus dem Sinn. Ein Wahlplakat wird im Schnitt ohnehin nur für zwei Sekunden angesehen. Kommunikations- und Meinungsforscher kommen zu dem Ergebnis, dass kaum jemand durch die Plakate zu einem Einstellungswechsel bewogen wird. An ihnen vorbei kommt auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule aber auch niemand. Und das ist gut so. Das Plakat schafft durch das Porträt eines Wahlkreiskandidaten, Bürgermeisteranwärters oder prominenten Spitzenpolitikers Identifikation und Nähe – weckt womöglich Neugierde. Welche Pläne hat die Partei des abgebildeten Kommunalpolitikers? Wer sich im Nachgang die Frage stellt und beginnt, sich mit den Inhalten zu beschäftigen, bei dem hat das Plakat funktioniert. Zugegeben: Die Ressourcen, die aufgewendet werden, um die Botschaften erst aufs Plakat und dieses wiederum an einen Laternenpfahl zu bekommen, stimmen nachdenklich in Zeiten, in denen richtigerweise viel über den Schutz des Klimas nachgedacht wird. Längst hat sich der Kampf um Stimmen zudem stärker ins Netz verlagert als früher. Nicht nur coronabedingt, sondern weil Social Media jüngere Wählergruppen erreicht. Nicht außer Acht lassen sollte man dabei allerdings, dass das Internet Studien zufolge inzwischen genauso viel wie oder mehr CO2 freisetzt als die globale Luftfahrt. Vielleicht sollten analoge und digitale Wahlwerbung für einen verträglichen Mittelweg auch darum Hand in Hand gehen. "Überflüssig und total altmodisch" Lena Vanessa Niewald Es sind noch fast drei Wochen bis zur Kommunalwahl 2020 und mir reicht es jetzt schon. Ich kann die Plakate nicht mehr sehen: Egal, wo ich hinschaue: Wahlwerbung, die heutzutage niemand mehr braucht. Wenn wir mal ehrlich sind, sieht doch eh jedes Plakat gleich aus. Die Kandidatin oder der Kandidat schmeißt sich in eine Bluse oder ein Jackett und legt das allerschönste Zahnpasta-Lächeln auf. Das Foto wird ordentlich bearbeitet und bekommt noch das Parteilogo und einen schmissigen Spruch verpasst. Am liebsten mit einer Alliteration oder möglichst allgemein verfasst. Nach dem Tenor: Mit mir wird alles besser. Na klar... Möglichst viel, möglichst überall und gerne auch an mehreren Laternen hintereinander das gleiche Motiv. Viel hilft viel. Und dann braucht es nicht mal einen Tag, bis der erste Bürgermeisterkandidat zwei schwarze Schneidezähne hat und die erste Ratskandidatin einen Bart. Vielleicht landet das Plakat aber auch im nächsten Bach oder wird mit Farbe besprüht. Alles wie immer – jedes Mal wieder nervig und unwitzig. Umweltverschmutzung, Vandalismus und durch Poster abgelenkte Autofahrer und Passanten – das alles könnte man sich doch sparen. Viele Parteien sind bereits in den Sozialen Netzwerken aktiv. Immer mehr Politiker haben ihre eigenen Kanäle, auf denen sie die Bürger nicht nur politisch überzeugen möchten, sondern auch private Einblicke geben. Bitte mehr davon. Viel mehr. Denn das ist genau das, wir brauchen. Wir wollen sehen, was das für ein Mensch ist, der kandidiert. Wie lebt er? Was zeichnet ihn aus? Die Möglichkeiten für innovativeren Wahlkampf sind jetzt größer denn je – tatsächlich auch wegen Corona. Telefon-Gespräche mit Bürgern, Chats, Video-Interviews, Online-Sprechstunden: Innerhalb kürzester Zeit wurde in den vergangenen Monaten technisch so viel möglich gemacht, dass davon auch die Wahlwerbung noch mehr profitieren könnte. Wofür also noch die alten Plakate, die nach dem 13. September eh allesamt im Müll landen? Wahlkampf braucht keine langweiligen Plakate. Wahlkampf braucht Menschen, die überzeugen – und das nicht durch eintönige Fotos mit Zahnpasta-Lächeln und gut gemeinten Sprüchen. Versucht es doch mal ohne, liebe Politiker. Es wird Euch nicht schaden. Im Gegenteil.

Meistgelesen