Bürgermeisterkandidat Norbert Morkes: "Gütersloh braucht wieder ein Wir-Gefühl"

Herr Morkes, warum stellen Sie sich zum vierten Mal zur Wahl für das Bürgermeisteramt? Norbert Morkes: Ich habe lange überlegt, ob ich nochmal antrete. Normalerweise sagt man, alle guten Dinge sind drei, diesmal sind es vier. Ich habe mit vielen intensiv darüber geredet, denn die Frage, die sich stellt, ist, hast du überhaupt eine Chance? Vor fünf Jahren war es eine Riesensensation, in die Stichwahl zu kommen. Da kam damals aus dem tiefschwarzen Avenwedde 21,1 Prozent. Ich dachte, das kann nicht sein, das ist ein Zahlendreher. Das hat sich dann aber potenziert auf alle Wahlkreise. Dass ich seitdem immer wieder gefragt wurde, ob ich nochmal antrete, war die Motivation. Zum Ersten Mal gehe ich in die Wahl, mit dem Ziel, die Stichwahl zu erreichen. Die BfGT konnte ja tatsächlich seit 1999 kontinuierlich zulegen und ist im Rat neben den Grünen drittstärkste Kraft. Was macht den Verein anders? Morkes: Das kann ich als Erfolgsstory bezeichnen. Mit der BfGT kam Bürgerbeteiligung nach Gütersloh. Das wird von den etablierten Parteien zumeist ignoriert. Es sei denn, es gibt Vorhaben, bei denen der Bürger beteiligt werden muss. Wir sind das Sprachrohr der Bürger. Wir haben angefangen mit den Menschen zu reden und nicht erst, wenn sie Probleme haben. Wir haben Bürgerbegehren im Rat eingebracht, als es in Gütersloh noch gar nicht bekannt war. Wir unterstützen Initiativen im Hintergrund und sagen nicht, wir machen das für euch. Wir beraten sie bei ihrer Idee, statt sie zu klauen. Was sind die drängendstes Themen in Gütersloh, die Sie als Bürgermeister im Falle der Wahl in Angriff nehmen wollen? Morkes: Viele Entscheidungen kann ein Bürgermeister nur mit der Politik zusammen machen. Bei dem, was ein Bürgermeister alleine kann, wäre für mich wichtig, die Verwaltungsstruktur zu ändern und transparenter zu machen. Dass wir den Bürgern nicht einfach etwas überstülpen, sondern mit auf die Reise nehmen. Deshalb habe ich den Slogan: zusammenführen statt bevormunden. Denn die Politik bevormundet ja gerne. Bei Wahlen bekommst du um 17:55 Uhr noch eine Rose und nach Schließung der Wahllokale ist der Bürger eine Minute später schon wieder vergessen. Welche konkreten Ideen haben Sie für die Umsetzung? Morkes: Ich möchte einen Bürgerrat einrichten, den ich bereits vor zehn Jahren gefordert habe. Es soll einen Wirtschaftsbeirat geben, unabhängig von der Politik, damit wir wirklich kompetente Menschen haben, die sich miteinbringen können im Sinne der Stadt. Wir müssen dafür sorgen, dass die bestehenden Beiräte viel ernster genommen werden, sei es Seniorenbeirat, Jugendparlament, Stadtschulpflegschaft oder Jugendamtselternbeirat für die Kitas. Die müssen wir mit ins Boot holen und Gespräche im Vorfeld führen, bevor die Politik irgendwelche Entscheidungen trifft. Das sind für mich die wichtigen Aufgaben. Das sind tragende Säulen unserer Gesellschaft, die sonst nicht zu Wort kommen. Die Vereine in den Ortsteilen darf man nicht außer acht lassen, denn die leben ja vor Ort. Die Politik sieht manchmal nicht, was da wirklich passiert. Soweit die Form, um Politik für die Bürger zu machen. Aber welches inhaltliche Problem brennt Ihnen auf den Nägeln? Morkes: Die Gesundheitsversorgung in Gütersloh. Wir müssen das Klinikum weiterhin zukunftsorientiert ausrichten. Es stehen hier bis 85 Millionen Euro im Raum, um das Klinikum weiter voranzubringen und zu modernisieren. Wir müssen uns jetzt nach der geplatzten Fusion mit dem Elisabeth-Hospital auf das Klinikum konzentrieren. Die Fusion selbst sieht die BfGT skeptisch. Das Elisabeth-Hospital hätte 51 Prozent. Wir hätten dabei ein großes ethisches Problem. Bei den Katholen darfst du zum Beispiel nicht abtreiben. Wirtschaftlich wäre es ganz interessant, das hängt dann von den Verträgen ab. Denn beim Elisabeth-Hospital darfst du keinen Betriebsrat haben, wie sieht es dann mit den Mitarbeitern aus? Welche Themen noch? Morkes: Die Verkehrswende und der Klimaschutz sind genauso wichtig. Hier komme ich wieder auf zusammenführen statt bevormunden zurück. Es kann nicht sein, dass die Fahrradlobby sagt, alle Autos raus aus der Innenstadt, das geht nicht. Wir haben Fußgänger, Fahrradfahrer und Autofahrer, die müssen wir alle an einen Tisch bringen und eine Mobilitätswende herbeiführen, die auch bezahlbar ist. Die BfGT hat die Idee für ein 1-Euro-Ticket nach Gütersloh gebracht. Wir haben einen Arbeitskreis, der kommt nicht von der Stelle. Monheim hat sogar einen kostenlosen ÖPNV. Auch muss der Busfahrplan den Bedürfnissen der Bürger angepasst werden, nach 20 Uhr ist hier tote Hose. Wir haben Ältere, die auf das Auto angewiesen sind, deshalb müssen wir genauso Parkraum vorhalten. Da muss auch der Einzelhandel miteinbezogen werden, der sagt, ohne Autofahrer stirbt die Innenstadt aus. Deshalb halte ich es für eine absolute Fehlentscheidung, dass man den &bdquo;Schulz-Park", wie ich ihn nenne, vor dem Rathaus gebaut hat. Der letzte, wirklich gute Vorschlag war, hier halb Grünfläche halb Parkplatz zu bauen. Stichwort Infrastruktur. Morkes: Überflüssig ist auf jeden Fall die geplante Trasse zwischen Marienfelder und Herzebrocker Straße für das geplante Gewerbegebiet auf dem Flughafen. Damals waren hier 6.000 Engländer, die täglich dorthin mussten und das hat auch so geklappt. Es wäre ein unglaublicher Einschnitt in die Natur und würde den Ortsteil Pavenstädt durchschneiden. Das wäre kontraproduktiv zum Klimaschutzkonzept der Stadt Gütersloh, für das alle Fraktionen gestimmt haben. Ein anderes Problem in Gütersloh sind die Schulen. Was würden Sie anders machen? Morkes: Der Bedarf an Grundschulplätzen ist seit acht Jahren bekannt. Ausgerechnet jetzt kommt Herr Schulz mit der Modulbauweise kurz vor den Wahlen um die Ecke. Was ich hart kritisiere. Er war ja schließlich auch mal Stadtbaurat. Die Idee ist nicht neu, das gab es schon 1920 in der Schweiz mit Modulholzbau zu erweitern. Und das stand Ende vergangenen Jahres in der Bauzeitschrift, wo er es für die Ausschussvorlage abgeschrieben hat. Bei der Heidewaldschule gibt es bereits einen fertigen Bauentwurf, da brauchen wir keine Holzmodule, damit würden wir nur mehr Zeit verlieren. Da könnte man theoretisch sofort anfangen. Bezahlbarer Wohnraum ist schwer zu finden. Wie wollen Sie die Situation verbessern? Morkes: In Gütersloh suchen etwa 2.600 Menschen Wohnraum. Und die Geschichte um die Britenhäuser halte ich schon für einen kleinen Skandal. Denn die stehen zum Großteil seit zwei Jahren leer. Man hätte längst aktiv werden können. Im Herbst vergangenen Jahres hieß es endlich, die Bima vermietet die Wohnungen, doch da ist immer noch nichts passiert. Jetzt hat die Stadt Wohnungen angemietet und als Supercoup gefeiert. Ist es aber nicht. Wir waren leider die einzigen, die dagegen gestimmt haben, die Parseval-Siedlung mit 55 Wohneinheiten, in denen momentan Flüchtlinge wohnen, abzureißen trotz Wohnungsmangels. Es hätte den Kohl nicht fett gemacht, zwei Hektar weniger an Gewerbefläche zu haben, die dort geplant ist. Wir entziehen durch Abriss dem Markt Wohnungen, das ist irgendwie alles hirnverbrannt, was da passiert. Welche Entwicklung bräuchte es konkret? Morkes:Wir brauchen mehr Mehrfamilienhäuser. Was ja auch gemacht wird. In Gütersloh werden zur Zeit pro Jahr ungefähr 500 bis 600 neue Wohnungen gebaut. Laut Prognose benötigen wir bis zu 7.000 Wohnungen bis 2035, denn Gütersloh entwickelt sich demografisch anders als andere Städte durch Zuzüge durch den Arbeitsmarkt mit Bertelsmann und Miele. Ob das anhält, weiß man nicht. Bei der Frage, wo können wir neue Wohngebiete ausweisen, muss man drauf achten, dass nicht ein Ortsteil überfordert und zugebaut wird, sondern es eine gleichmäßige Verteilung gibt. Denn Gütersloh hatte mal den Anspruch, Stadt im Grünen zu sein. Lieber in die Höhe bauen, als in die Natur zu gehen, die müssen wir als wichtige Lebensgrundlage erhalten. An der Digitalisierung kommt keiner vorbei. Wie schafft die Stadt den Wandel? Morkes: Digitalisierung ist wichtig, aber es darf nicht überdigitalisiert werden. Denn in der Verwaltung arbeiten Menschen und die Bürger sind Menschen. Wir müssen sensibel mit den Menschen umgehen, die gar nicht so Computer- und Handy-affin sind. Jeder Bürger muss die Möglichkeit haben, längere Gespräche mit Verwaltungsmitarbeitern zu führen. Denn Probleme kannst du nicht nur über Formulare erledigen. Bangen um Karstadt und Leerstände, selbst an den attraktiven Stellen, wie bleibt die Innenstadt zukunftsfähig? Morkes: Das fängt schon bei dem Cinestar an, eine Kreisstadt ohne Kino ist undenkbar. Und Karstadt wird definitiv zumachen. Die Lücke wird man nicht von heute auf morgen schließen können. Dann haben wir ein riesengroßes Problem in der Innenstadt. Wir als BfGT finden deshalb, man sollte über eine Ansiedlung der Fachhochschule nachdenken. Herr Schulz will die ja in den Mansergh-Barracks unterbringen. Aber das würde dann doch vor sechs, sieben Jahren nicht fertig. Hagedorn hat vorgeschlagen Flächen wie am Güterbahnhof vorzuhalten, das könnten die in ein, zwei Jahren umsetzen. Und wenn junge Menschen in die Innenstadt kommen oder in die Randzone, dann würde das auch die Innenstadt beleben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich dann auch neue Geschäfte ansiedeln würden. Was fehlt für junge Menschen? Morkes: Es kann nicht angehen, dass das Parkbad und das Wapelbad um 22 Uhr schließen. Sollen Anwohner doch klagen, da braucht die Stadt den Mut zum Risiko. Es kann doch nicht sein, dass die Interessen Einzelner über das Allgemeinwohl gehen. Da möchte ich juristische Klarheit haben. Auch wird viel in die Kulturprogramme der Stadt gesteckt, eine Unterstützung der freien Kulturszene fehlt mit absolut, besonders jetzt in Corona-Zeiten. Apropos Corona: Wie sehen die Herausforderungen für den Bürgermeister aus? Morkes: Da kritisiere ich das Krisenmanagement der Stadt. Her Schulz hat sich als oberster Dienstherr hingestellt und in Videobotschaften das abgelesen und vorerzählt, was Landesregierung und Bundesregierung vorgegeben haben. Wo ist die Eigeninitiative geblieben? Das THW hat vollen Einsatz gezeigt und alle freiwilligen Helfer mit Essen versorgt. Da hätte doch Herr Schulz mal hinkommen können. Einen Antrag, die unter Quarantäne gestellten Tönnies-Mitarbeiter in den Mansergh-Barracks unterzubringen, hat er uns im die Ohren gehauen. Dabei wissen wir aus gut unterrichteten Kreisen, dass man die Wohnungen nur ans Netz anschließen müsste. Stattdessen wurden sie an der Töpferstraße untergebracht. Ein Bürgermeister muss den Leuten klar sagen, was auf sie nach Corona zukommt. Und das sind Schulden. Was muss angepeilt werden, damit Gütersloh zukunftsfest ist? Morkes: Dafür brauchen wir eine funktionierende Stadtgesellschaft. Verkehrswende, Wohnraum, Klimaschutz und Gesundheitsversorgung, dass können wir nur erreichen, wenn die Menschen sagen, wir machen mit. Gütersloh braucht wieder ein Wir-Gefühl. Nicht nur, wir haben ein Problem, weil wir ein GT-Kennzeichen haben, wie beim Lockdown, sondern wir sind stolz auf diese Stadt, weil wir sie mitgestalten.

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