Maskenpflicht behindert Verständigung: Gehörlose sind plötzlich hilflos

Kreis Gütersloh. Einkaufen, Shoppen und Bus-und Bahnfahren ist derzeit nur erlaubt, wenn Mund und Nase bedeckt sind. Seit einigen Tagen gilt auch im Kreis Gütersloh die Maskenpflicht. Ob mit einer selbst genähten oder gekauften Maske oder auch mit einem Tuch bzw. Schal als Behelf ist egal. Viele Bürger sind kreativ geworden und haben sich aus bunten Stoffen selbst welche hergestellt, andere greifen auf die schlichten Varianten aus der Apotheke zurück. Der Anblick vieler vermummter Menschen im Kreisgebiet scheint immer normaler zu werden. Für Menschen, die nichts und kaum etwas hören wird die Maskenpflicht allerdings immer mehr zum Alptraum. Gehörlose und Hörgeschädigte versuchen von von den Lippen und der Mimik ihres Gegenübers abzulesen, was der- oder diejenige sagt, wenn kein Gebärdensprache-Dolmetscher zugegen ist. Dann haben Betroffene kaum eine Chance Das funktioniert aber in Zeiten von Corona im öffentlichen Leben jetzt plötzlich nicht mehr. Die Lippen und Münder der Menschen sind verdeckt, die Mimik fast gänzlich verschwunden. Die Verständigung zwischen Hörgeschädigten und Menschen, die einwandfrei hören können, sei eh schon schwer genug, sagt Pfarrerin Heike Kerwin aus Rheda-Wiedenbrück. Sie ist Seelsorgerin für Gehörlose und kennt die Hürden und Hindernisse. "Nur ein Drittel aller Laut sind überhaupt über die Lippen ablesbar. Der Rest muss erraten werden." Wenn diese Möglichkeit jetzt auch wegfalle, hätten Betroffene kaum noch eine Chance. Außerdem seien die Mimik und das Mundbild auch für integrativer Bestandteil der Gebärdensprache. "Es fehlt durch die Maske also immer ein Teil der Sprache, selbst wenn man Gebärdensprache benutzt. Und ohne Gebärdensprache fehlt auch noch diese letzte Verständigungsmöglichkeit" Sind Masken mit Sichtfenster hilfreich? Eine hilfreiche Alternative zur undurchsichtigen Maske könnten Varianten, mit Sichtfenster sein, die in einigen Geschäften bereits im Einsatz sind. "Ein Hörgeschädigter hat mir schon per WhatsApp ein Foto von einer Maske mit Sichtfenster geschickt, mit dem Hinweis, dass ich soetwas bräuchte, wenn wir uns wieder treffen können", berichtet Heike Kerwin. Sie habe bislang aber keine Erfahrungen mit solchen Modellen gemacht. Ganz unumstritten sind sie nämlich nicht. Vom Deutschen Gehörlosen-Bund heißt es bereits, die Sichtfenster würden in der Praxis zu schnell beschlagen und so die Ablesequalität erschweren. Der Bund empfehlt diese Art der Maske nur unter Vorbehalt, betont aber, dass er keinem Betroffenen widerspreche, der damit gut zurecht kommt. Mehr Dolmetscher gefordert Für essenzielle und vor allem in Corona-Zeiten lebenswichtige Gespräche, etwa mit medizinischem Personal, fordert der Bund trotzdem, dass Dolmetscher etwa über Videotelefonie einbezogen werden. "Alternativ bzw. ergänzend kann bei kurzen Gesprächen das Herunterziehen des Mund-Nase-Schutzes unter Wahrung der Abstands- und Hygieneregeln helfen." Sigrun Grunwald vom Gütersloher Integrationsfachdienst an der Schulstraße hat die Masken mit Sichtfenster bereits ausprobiert. Sie steht normalerweise regelmäßig in persönlichem Kontakt zu gehörlosen oder hörgeschädigten Menschen. Sie hilft ihnen etwa bei der Jobsuche oder bei Schwierigkeiten am Arbeitsplatz. Derzeit gibt gilt dort allerdings auch ein persönliches Kontaktverbot, sodass keine Termine mit Betroffenen vereinbart werden können. Robert-Koch-Institut denkt auch an Hörgeschädigte "Ich stehe aber per Mail und WhatsApp in Kontakt, um dringende Fragen zu klären. Ich hoffe sehr, dass wir kommende Woche wieder in einen normaleren Umgang kommen." Um demnächst dann eine gute Kommunikation vor Ort zu gewährleisten tragen sie und ihre Kollegen aus Plexiglas angefertigte Visiere, die eine Kommunikation auch mit Erkennen des Mundbildes und der Mimik zulässt. Seelsorgerin Heike Kerwin weist über die Maskenpflicht hinaus noch auf ein ganz anderes Problem hin. "Als es mit der Pandemie losging, wurden kaum Dolmetscher eingeblendet. Per Mail habe ich einen Aufruf bekommen, eine Petition zu unterzeichnen, die den Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern bei Informationen zum Coronavirus forderte. Inzwischen gibt es zum Beispiel bei Informationen des Robert-Koch-Instituts Dolmetscher." Auf der Internetseite des Deutschen Gehörlosen-Bunds werden immer wieder aktuelle Entwicklungen veröffentlich - und als Video mit Gebärdensprache hochgeladen. Insgesamt habe sich die Situation für Gehörlose im Laufe der Zeit verbessert, sagt Pfarrerin Kerwin. Es gebe inzwischen mehr Dolmetscher und sie würden auch immer häufiger wirklich eingesetzt. Die Technik helfe enorm, indem etwa im Fernsehen Untertitel zugeschaltet oder im Internet Sendung mit Dolmetscher geschaut werden können. "Trotzdem gibt es noch nicht genug. Das stelle ich immer wieder fest, wenn ich mal einen Dolmetscher für Gehörlose bestellen muss zum Beispiel für kirchliche Handlungen wie Beerdigungen." Heike Kerwin wünscht sich, dass Gehörlose und ihre Probleme verstärkt und immer wieder in den Blick genommen werden, damit das Verständnis für sie wächst und die Bereitschaft zu Kompromissen besteht. "Ich denke das geht am Besten, wenn man auf die Betroffenen und ihre Interessenvertretungen hört und mit ihnen im Gespräch ist."

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