Gütersloher Expertin erklärt: So schützen wir unsere Kinder vor Drogen

Frau Ogan, als Drogenpräventionsbeauftragte der Polizei gehen Sie regelmäßig in die Schulen, um dort die Schüler vor Rauschmittelkonsum zu warnen. Was bringt das so?Vanessa Ogan: Durch den Streifendienst habe ich viele Jugendliche erlebt, denen es aufgrund von Drogen- und Alkoholmissbrauch richtig schlecht ging. Ich spreche also aus Erfahrung. Solche Berichte sind für andere Jugendliche natürlich spannend. Viele wollen nicht glauben, was Drogenkonsum für Folgen haben kann. Darüber muss man aufklären. Natürlich kann man nicht alle erreichen, man muss es aber zumindest versuchen. Aus Großstädten wie Hamburg oder Berlin hört man, dass dort zum Teil schon Zehnjährige regelmäßig kiffen und Pillen nehmen. Wie sieht es bei uns aus?Ogan: Was wir klar sagen müssen, ist, dass das Alter deutlich nach unten geht. Zehnjährige haben wir bei uns in der Region wissentlich nicht, aber ja, es geht schon teilweise mit 13 los. Wir sprechen hier vom Kindesalter. Kann man diese Kinder überhaupt noch erreichen?Ogan: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Bei 13-Jährigen sind wir ja erst am Anfang einer möglichen Suchtkarriere. Da wir eng mit der Drogenberatung der Caritas und den Gütersloher Fachkliniken zusammenarbeiten, haben wir einige Möglichkeiten, einzugreifen. Mit welchen Rauschmitteln beginnen die jungen Leute?Ogan: Grundsätzlich ist Alkohol interessant. Daher bin ich froh, dass das Jugendschutzgesetz den Konsum entsprechend reglementiert. Damit das eingehalten wird, führen wir Jugendschutzkontrollen durch, wie jetzt wieder verstärkt zu Karneval, aber auch regelmäßig am 1. Mai an den Dalkeauen. Da ist Alkohol ein Riesenthema. Wie sieht es mit Zigaretten, Cannabis oder Ecstasy aus?Ogan: Ecstasy oder Amphetamine sind zumindest bei meiner Zielgruppe der Siebt- bis Zwölfklässler kaum ein Thema, das beginnt eher im Studentenalter. Rauchen spielt eher eine Rolle, allerdings ist eine Verschiebung hin zu E-Zigaretten und Shishas zu beobachten. Laut Jugendschutzgesetz ist beides erst ab 18 erlaubt, der Konsum beginnt aber deutlich früher, was vor allem bei Shishas bedenklich ist, weil man deutlich größere Mengen Nikotin raucht. Da die Shishabars unter das Gaststättengesetz fallen, ist der Zutritt schon ab 16 möglich. Sie dürfen dann nur nicht rauchen. Beim Cannabis gibt es eine Studie, die besagt, dass 30 Prozent der 12- bis 25-Jährigen Erfahrungen mit Cannabis haben. Allerdings ist diese Studie schon zehn Jahre alt. Was ist denn so gefährlich beim Cannabis? Das gilt doch eigentlich als weiche Droge.Ogan: Der Wirkstoffgehalt des psychoaktiven THC hat sich in den vergangenen 40 Jahren massiv verändert. In den 70ern lag dieser bei fünf bis sechs Prozent, wohingegen der Cannabidiolwert CBD anteilig recht hoch war. CBD gilt als schmerzstillend, entspannend und als Schutz vor Psychosen. Weil sich das Verhältnis aber umgekehrt hat, beobachten wir seit einigen Jahren bei Jugendlichen einen enormen Anstieg von Psychosen. Außerdem ist das Suchtpotenzial viel höher. Sind Energydrinks auch ein Thema? Man hört von Jugendlichen, die diese schon vor Schulbeginn trinken.Ogan: Ich habe neulich von einer 13-Jährigen auf Klassenfahrt gehört, die sich unmittelbar nach dem Konsum von einer größeren Menge Energydrinks wegen Herzrhythmusstörungen im Krankenhaus wiedergefunden hat. Viele Schulen haben diese Getränke mittlerweile verboten. Erfahrung damit haben aber viele. Wenn ich in den Klassen frage, wer noch nie Energydrinks getrunken hat, melden sich höchstens fünf. Wie gestalten Sie im Allgemeinen Ihre Aufklärungsarbeit in den Schulen?Ogan: In den siebten Klassen arbeiten wir in der Gruppe im Stuhlkreis. Hierfür sind je nach Thema ein bis zwei Schulstunden eingeplant. In der Oberstufe hat das Ganze dann schon eher einen Vortragscharakter mit Fragestellung und entsprechenden Beiträgen. Das Thema &bdquo;Gefahr von Energydrinks" nimmt meistens schon eine Zeitstunde ein, wenn wir dann noch über Alkohol, Nikotin und Cannabis sprechen, kommen wir schnell auf zwei Stunden. Die brauchen wir mindestens, besser wären mehr. Gibt es je nach Schulform unterschiedliche Resonanzen bei den Schülern?Ogan: Das kann man nicht pauschal sagen. Ich bin immer wieder erstaunt, auf welch großes Interesse das Thema stößt, wie gut die Mitarbeit funktioniert und welche Fragen gestellt werden. Sie hatten eingangs die Zusammenarbeit mit der Drogenberatung der Caritas erwähnt. Wie muss man sich diese vorstellen?Ogan: Diese Zusammenarbeit läuft sehr gut. Sie macht Sinn, weil wir die gleichen Ziele und das Fachwissen haben. Eines der wesentlichen Ergebnisse ist das von uns gemeinsam mit den Schulen erarbeitete Handlungskonzept, wo es darum geht, wie man in den Schulen mit Drogen konsumierenden Schülern umgeht. Hört sich bürokratisch an.Ogan: Nein, gar nicht. Das Ganze ist anhand von zwei Szenarien beschrieben und ist in dieser Form wichtig, weil die Thematik komplex ist. Auf der einen Seite sind viele Lehrer unsicher, beispielsweise, was sie rechtlich dürfen. Was macht man mit einem Schüler, der auf dem Schulhof dealt, dürfen die Lehrer das Tütchen mit Marihuana wegnehmen? Machen sie sich damit strafbar, wann sollte die Polizei informiert werden und was ist mit der Schweigepflicht? Oder wie erkennt man Anzeichen für Drogenkonsum, um dann gezielt handeln und auch die Eltern informieren zu können. Auf der anderen Seite ist natürlich die Prävention wichtig. Hier biete ich unter anderem Elternabende und Lehrerfortbildungen an. Mittlerweile machen viele Schulen im Kreis mit. Wie holt man die Eltern mit ins Boot? Viele ahnen wahrscheinlich nicht, was der Nachwuchs treibt.Ogan: Oft merken die das erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, heißt, wenn die Leistungen in der Schule schlechter werden oder die Schule sich meldet. Oder die Polizei kommt, weil ein Ladendiebstahl begangen wurde. Illegale Geschichte ziehen ja oft weitere illegale Handlungen nach sich. Insofern kann man Eltern nur raten, sehr aufmerksam zu sein. Bei meinen Elternabenden gebe ich Tipps, worauf sie achten sollen und bringe typische Gebrauchsutensilien wie Crusher oder Grinder mit. Die sehen aus wie Bluetoothlautsprecher oder Türstopper, dienen aber dazu, Marihuana zu zerkleinern. Wenn Eltern vermuten, dass das Kind Drogen nimmt, sollten sie idealerweise das Gespräch suchen. Wie gelingt das, ohne dass es gleich knallt?Ogan: Am besten ist es, ruhig und sachlich zu bleiben. Es ist wichtig, die Sorge in den Vordergrund zu stellen, aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger oder mit Bestrafungen. Was können Eltern präventiv tun, damit es dazu gar nicht kommt?Ogan: Eine ganze Menge. Aufmerksam sein, aufklären, klare Regeln aufstellen und gewisse Werte vorleben. Eltern haben eine Vorbildfunktion, die Kinder orientieren sich an ihnen. Außerdem mit den Kindern reden und Angebote für gemeinsame Aktivitäten machen. Und natürlich die Persönlichkeit stärken. Selbst wenn ich eine Verfügbarkeit von Rauschmitteln habe – wenn ich eine starke Persönlichkeit bin, dann werde ich auf diese Dinge nicht zurückgreifen, denn ich habe ja Alternativen. Wie reagieren Ihrer Erfahrung nach die Schüler, wenn sie von Ihnen oder den Lehrern angesprochen werden?Ogan: Man muss schon mit Feingefühl ran gehen Es geht ja primär darum, dass wir helfen wollen. Wir schauen im Gespräch nach der Motivation. Denn die ist ja nicht unbedingt, durch Drogenkonsum etwas Illegales zu machen, sondern oft sehr traurig belegt, wie zu Hause ständig Streit oder Stress in der Schule. Stress ist übrigens ein Hauptmotivator für Cannabiskonsum, sagen mir immer wieder Jugendliche. Manche schildern, dass sie unmittelbar vor Klausuren konsumieren, um entspannter zu sein. Man darf nicht vergessen, dass das Schülerleben deutlich stressiger geworden ist. Viele kiffen aber auch nur zum Spaß mit Kumpels in der Clique.Ogan: Ja, grundsätzlich ist Kiffen ein Gruppenphänomen, aber wie gesagt, die Grundmotivation ist in erster Linie Stress. Und ob beim Kiffen wirklich der Spaß im Vordergrund steht, weiß ich nicht. Eher Gruppenzwang. Wenn ich mich in solchen Kreisen bewege, mach ich das auch. Sind bestimmte Gruppen oder Milieus gefährdeter als andere?Ogan: Das kann man pauschal nicht sagen. Wir haben das in allen gesellschaftlichen Schichten und es hat auch immer etwas mit dem Einzelnen zu tun. Jeder Mensch ist unterschiedlich. Der eine verpackt Schicksalsschläge oder einschneidende Veränderungen anders als andere. Gibt es ein Alter, ab wann Entwarnung gilt?Ogan: Wenn man Körper und das Gehirn in seiner Entwicklung betrachtet, kann man sagen ab dem 23. Lebensjahr. Wenn mans bis dahin geschafft hat, kann man tief durchatmen. Das gefährliche Alter ist zwischen 12 und 17. In der Zeit passiert so viel im Gehirn, und der Körper strukturiert sich hormonell um. Substanzen jeglicher Art haben dramatische Folgen. Ist Aufklärung für Sie die beste Prävention?Ogan: Nein, sie ist nur ein Baustein, bei dem ich fundierte Informationen weitergebe. Das Schlimmste ist, wenn sich Jugendliche unwahre Infos aus dem Internet holen und auf falsche Wahrnehmung oder Berichte von Freunden vertrauen. Und natürlich werde ich mit meinen 90 Minuten nicht verhindern, dass gewisse Dinge ausprobiert werden, das gehört zum Erwachsenwerden dazu. Ich möchte aber vermitteln – und das ist mir wirklich wichtig –, dass man immer die Kontrolle über sein Leben behalten muss. Und nicht, dass mir die Drogen die Kontrolle abnehmen.

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