Welthospiztag: Was wollen Menschen essen, die bald sterben?

Gütersloh. Reibeplätzchen wahlweise mit Apfelmus oder Lachsschmand werden an diesem Mittag serviert. Es war der Wunsch eines Gastes, wie die Menschen genannt werden, die im Gütersloher Hospiz an der Hochstraße 19 leben. Bernadette Dirkorte (53) aus Harsewinkel schält also Kartoffeln, schneidet Zwiebeln, brät das Gericht aus Kartoffeln später in der Pfanne an. Der verführerische Geruch verteilt sich bald in der Küche und von dort aus in den übrigen Räumen des Gebäudes. &bdquo;Der Duft macht viel aus. Das hat etwas mit Erinnerungen, Kindheit und Heimeligkeit zu tun", sagt Waltraud Gehlhaar (51) aus Rheda-Wiedenbrück. Gehlhaar und Dirkorte sind zwei von vier hauptamtlichen Hauswirtschafterinnen im Gütersloher Hospiz. Wie ist es, für Menschen zu kochen, von denen man weiß, dass sie bald sterben werden? "Man bekommt unglaublich viel Dankbarkeit zurück" Gehlhaar erzählt, während sie im Inneren der lichtdurchfluteten Küche steht. &bdquo;Man bekommt unglaublich viel Dankbarkeit von den Gästen zurück, es sind tolle Begegnungen", sagt sie. Die gelernte Ökotrophologin hat zuletzt sieben Jahre im integrativen Café Anker Villa in Rheda-Wiedenbrück gearbeitet, wollte sich anschließend noch einmal neu orientieren. Die Stelle im Gütersloher Hospiz klang interessant, aber auch nach einer Herausforderung – sie bewarb sich und arbeitet seit 2018 im Hospiz. &bdquo;Man muss sehen, dass das Sterben zum Leben dazugehört", sagt sie über die tägliche Schwierigkeit, Menschen in ihren letzten Momenten des Lebens zu begleiten. An diese Herausforderung erinnern sieben Schmetterlinge, die aus rotem, grünem oder violettem Papier gefaltet sind und auf einer Fensterbank stehen. Darauf sind die Namen und die jeweiligen Zimmernummern der Gäste zu lesen, die aktuell die Einrichtung bewohnen. Einen ersten Einblick in deren Essgewohnheiten bekommen die Hauswirtschafterinnen bereits bei deren Einzug ins Hospiz. Per Fragebogen ermittelt das Team, ob Allergien vorliegen, welches Brot sie sich wünschen und ob es eher Butter oder Margarine sein soll. Den Überblick behalten sie durch eine Tafel in der Küche, an der die Notizen mit den jeweiligen Wünschen für Frühstück, Mittag- und Abendessen angeschlagen sind. Sie bildet die Grundlage für die Essenszubereitung. "Im Hospiz ist viel Leben, dort passiert auch ganz Normales" Den Menschen hinter diesen Zetteln lernen die Hauswirtschafterinnen später intensiver kennen, teils auch durch Gespräche mit den Angehörigen in der Küche. &bdquo;Wir sind nah an ihnen dran und erfahren, wie das Befinden des Gastes ist", sagt Gehlhaar. Sie wissen etwa, wenn sich die Angehörigen Sorgen darüber machen, dass ihr geliebter Mensch nicht mehr richtig essen kann. Manchmal geht es um Profanes. Ein Kochrezept, so etwas. Sie sagt: &bdquo;Im Hospiz ist viel Leben, dort passiert auch ganz Normales". Gekocht worden ist auf Wunsch der Gäste schon so einiges. Die Bandbreite bei den Hauptgerichten aus der eigenen Komposition reicht über Kohlrouladen bis hin zu Tomate Mozzarella. Gehlhaar erinnert sich an einen Gast, der im vergangenen Jahr mit dem Geweih eines Tieres einzog. Die Befürchtung der 51-Jährigen: Der ehemalige Jäger würde sich einen Wildschweinbraten zum Mittagessen wünschen. &bdquo;Tatsächlich wollte er gern Pfannkuchen wie von seiner Oma", sagt Gehlhaar und muss bei der Erinnerung daran schmunzeln. Sie glaubt, dass die Wünsche der Gäste sich langfristig dahingehend verändern werden, dass fleischreduzierter und auch mit mehr Gemüse gekocht wird. Auch deshalb, weil die Gesellschaft sich dahin entwickele. Die Hauswirtschafterinnen bereiten zweimal pro Woche ein eigenes Gericht zu, an den übrigen Tagen kommt das Mittagessen vom Gütersloher Klinikum. Der Nachtisch – an diesem Tag eine Mischung aus Mascarpone, Crème fraîche und Himbeeren – bereiten die Mitarbeiterinnen jeweils immer selbst zu. Die Schmetterlinge bleiben ein Teil der Einrichtung Wann und wo die Gäste ihre Mahlzeiten einnehmen, bestimmen sie selbst. Das ist genauso individuell wie deren Vorlieben beim Essen. So passiert es, dass kurz bevor die Reibeplätzchen in der Pfanne landen, noch ein Brötchen zum Frühstück geschmiert wird. Für das Team der Hauswirtschafterinnen um Dirkorte, Gehlhaar und Co. ist das natürlich kein Problem. Bei der Zubereitung der Mahlzeiten sind die Frauen in ihren Früh- und Spätschichten auf Abruf. Unterstützung erfahren die in Teilzeit beschäftigten Mitarbeiterinnen von einem vielköpfigen Team aus Ehrenamtlichen, das jeweils an den Wochenenden das Abendessen zubereitet und einspringt, wenn das Stundenkonto der Hauptamtlichen voll ist. Neben der Arbeit in der Küche säubern die Mitarbeiterinnen auch die Einzelzimmer der Gäste und die Gemeinschaftsräume der Einrichtung. Und die Schmetterlinge? Stirbt einer der Gäste, wird das geflügelte Wesen mit dem Namen und dem Todestag des jeweiligen Gastes an einer Korkeiche im Eingangsbereich angebracht. Darunter eine Laterne angefacht, als sichtbarer Hinweis auf einen Verstorbenen. Auch vor dem Zimmer des Gastes wird ein Grablicht entzündet, später mit zum Leichenwagen getragen und dann in eine Stele im Außenbereich gestellt. Bis das Licht irgendwann erlischt. Der Text wurde im Februar 2020 erstmal veröffentlicht.

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