Gütersloh

Blut- und Wasserorgie im Gütersloher Theater

Das Thalia Theater beeindruckt mit der Fassung von „Moby Dick“. Nicht nur die Schauspieler sind den Strömen ausgesetzt. Auch ein paar Gütersloher Statisten gehen am Ende baden

Szene aus „Moby Dick" nach dem Roman von Herman Melville in einer Fassung von Antú Romero Nunes und Sandra Küpper. | © Krafft Angerer

03.06.2019 | 03.06.2019, 16:41

Gütersloh. Nein, diese Seefahrt ist nicht lustig. Die paar Faxen, die Antú Romero Nunes und Sandra Küpper in ihre Bühnenfassung von Herman Melvilles Roman „Moby Dick" eingebaut haben, sind nur Atempausen auf der Jagd nach dem Weißen Wal. Es sind nur Ablenkungen für die Mannschaft der „Pequod" auf ihrer Walfangfahrt von Nantucket bis ins Meer vor Japan, bei der sie eigentlich ihr Leben in den Griff zu bekommen, das Dasein überhaupt zu begreifen suchen.

Verwegen: Gütersloher Statisten bei den Proben zu „Moby Dick“ auf der Studiobühne. Foto: Theater GT - © Theater Gütersloh
Verwegen: Gütersloher Statisten bei den Proben zu „Moby Dick“ auf der Studiobühne. Foto: Theater GT | © Theater Gütersloh

Die Anstrengungen dieser existenziellen Reise, dieser letztlich irrationalen Tour in den Tod, ließ das Hamburger Thalia Theater in Nunes’ Inszenierung von 2013 auch die Besucher der beiden Gütersloher Vorführungen zum Saisonausklang spüren.

Eine Maske des Unheimlichen

„Der Wal war weiß – und das entsetzte mich mehr als alles andere." Zu Beginn ruft mit rauer Stimme einer der Schauspieler – im Buch der Erzähler Ismael, hier aber gilt: Einer für alle, alle für einen – die Bedeutungen von Weiß auf: von Schönheit, Erhabenheit und Reinheit bis zum Schrecken der Nicht-Farbe als einer Maske des Unheimlichen und Bösen, das in dem Roman so exzessiv diesem Pottwal-Albino zugeschrieben wird, dass der Mensch, in Gestalt des Kapitäns Ahab, fast zum instinktgetriebenen Tier wird, indem er es vermenschlicht. Kreaturen beide.

Doch Ahab, der verbissen den Weißen verfolgt, der ihm einst ein Bein wegsäbelte, steht gar nicht so im Zentrum. Ahab sind alle. Humpelnd deuten sie hin und wieder die Behinderung des Kapitäns an, einzeln oder in der Gruppe. Sie sind auch die Mannschaft, die angesichts der fixen Idee des Fanatischen auch mal schwankt wie ihr Schiff auf den Wogen. Und immer wieder sprechen, schreien sie im Chor, fließen, schießen sie zu einer lebendigen Skulptur zusammen.

Kaum je dürfte so viel Wasser geflossen sein

Das sind Höhepunkte der Aufführung. Auch ein Unwetter mit Regen, Blitz und Donner kann die Seebären, anders als die Zuschauer, nicht beeindrucken. Sie schütteln sich, baden heiß und wechseln die Klamotten. Das tun sie wiederholt, kaum je dürfte so viel Wasser geflossen, so viel (Theater-) Blut gespritzt sein auf dieser Bühne. Unterdessen trägt einer unverdrossen alles, alles über Wale vor, auch dies, wie die Begegnung mit dem deutschen Waljäger-Schulschiff „Jungfrau", eine der heiteren Passagen.

Doch es überwiegt die Mühsal der Walfängerei, das Schuften für den Tran, für das Öl der Lampen, das alltägliche Schlachten vor der letzten großen Schlacht. Da wird gerudert und harpuniert, was das Zeug hält. Und dem einen oder anderen Besucher wird bei dieser pausenlosen Plackerei das sture Sitzen wohl ein wenig anstrengend. Aber für die Besatzung nimmt das Unternehmen dabei immer ernstere Formen an, eine schon verzweifelte Liturgie der Waljagd als Lebenskampf und Daseinsbewältigung klingt an, im „Kyrie", aber auch „in nomine patris et diaboli".

Starker Beifall am Ende

Schließlich, zum letzten, tödlichen Tanz mit dem weißen Unterwasserriesen („Die Hand des Schicksals hatte alle Seelen gepackt"), füllt die gesamte Mannschaft die Bühne: Gütersloher Statisten, die teils schon in heimischen Produktionen mitgewirkt haben, kommen hinzu. Alle gemeinsam schaffen sie starke, stimmige Schlussbilder des Untergangs.

Starker Beifall für alle, besonders für die Leistung von Julian Greis, Mirco Kreibich, Daniel Lommatzsch, Thomas Niehaus, Jörg Pohl, Rafael Stachowiak, André Szymanski und Sebastian Zimmer.