Gütersloh. Stefan Etgeton ist Theologe – und Pflegeexperte bei der Bertelsmann-Stiftung. Er kennt die Schwachstellen im Pflegesystem und arbeitet in Projekten, die Qualität und Bedingungen in Zukunft verbessern sollen. Im Gespräch mit nw.de erläutert er die Probleme, die viele Pflegeheime haben.
Herr Etgeton, was läuft falsch in der Pflege?
Stefan Etgeton: Das Hauptproblem ist der Personalmangel. Der Fachkräftemarkt ist praktisch leer gefegt. Einige Häuser haben hier mehr Schwierigkeiten als andere, das hängt aber nicht nur mit der Bezahlung, sondern auch mit dem jeweiligen Arbeitsklima und der Führungskultur zusammen. Wir müssen den Pflegeberuf in Deutschland generell aufwerten, da haben wir einen großen Nachholbedarf.
Was macht die Pflege in Deutschland denn so teuer?
Etgeton: Zum einen werden die Menschen immer älter und mit zunehmendem Alter nimmt auch die Wahrscheinlichkeit der Pflegebedürftigkeit zu. Hinzu kommt, dass wir immer mehr auf professionelle Pflege angewiesen sind, weil aus verschiedenen Gründen – etwa Berufstätigkeit der Kinder – die Pflege innerhalb der Familie abnimmt. Hauptkostentreiber sind jedoch die Personalkosten, hier gibt es starke regionale Unterschiede. NRW ist eine eher hochpreisige Region. Das ist eine zweischneidige Sache, denn einerseits werden die hohen Kosten beklagt, andererseits sagen wir, dass die Pflege besser bezahlt werden muss – aber wir können mit dem ganzen Geld nichts anfangen, wenn keiner mehr den Job machen will.
Aber ein großer Teil der Beiträge bleibt doch in den Kassen der Betreiber. Ist es grundsätzlich in Ordnung, dass gewinnorientierte Unternehmen mit Pflegeheimen Geld verdienen?
Etgeton:Ich finde das nicht per se falsch, die Frage ist vielmehr, wie hoch die Renditeversprechen an die Kapitalgeber sind. Bei zweistelligen Renditen muss man sich schon fragen, wo denn dieses Geld generiert werden soll.
Ein großer Posten bei den Rechnungen für Pflegeheimplätze sind die Investitionskosten, die alleine vom Betreiber festgelegt und nicht aufgeschlüsselt werden müssen. Kritiker sagen, das käme einem Selbstbedienungsladen gleich.
Etgeton: Das ist für viele Betroffene tatsächlich ein Quell der Ärgernisse. Diese Kosten lassen sich häufig nicht nachvollziehen und mit der Qualität des Heimes in Verbindung bringen.
Der „Pflege-TÜV" soll die Qualität von Pflegeheimen beurteilen, aber er steht wegen mangelnder Aussagekraft in der Kritik. Wann wird er abgelöst?
Etgeton: Im November soll eine neue Prüfsystematik vorliegen, aber eine Umsetzung in der Praxis, also konkrete Prüfergebnisse, halte ich vor 2020 nicht für realistisch.
Was passiert in der Zwischenzeit? Wer kümmert sich um die Qualität der Heime, insbesondere der Demenzstationen?
Etgeton:Man muss darüber diskutieren, wie man den Zeitraum bis zur Umsetzung gestaltet. Die Heime und auch die Demenzstationen werden regelmäßig vom Medizinischen Dienst und der Heimaufsicht geprüft, aber mit einer einmaligen Begutachtung ist die dauerhafte Qualität nicht sichergestellt. Hier ist die Frage, was der neue Pflege-TÜV bringt. Wenn in der Pflege etwas schief läuft, sind es bislang häufig die Angehörigen, die Alarm schlagen – aber nicht alle Angehörigen kümmern sich intensiv.
Sie selbst sind Jahrgang 1963 – können Sie sich vorstellen, Ihren Lebensabend in einem Pflegeheim zu verbringen? Etgeton: Ich kann nicht leugnen, dass auch ich Angst davor habe, pflegebedürftig zu werden oder demenziell zu erkranken. Ich gehöre zu den geburtenstarken Jahrgängen und wir werden den Pflegebedarf schon in wenigen Jahren nicht alleine mit Heimplätzen abfedern können. Deshalb rate ich auch in meinem persönlichen Umfeld allen Leuten: Sorgt euch beizeiten um euer soziales Umfeld, dass später jemand nach euch schaut. Wir werden im Alter so leben, wie wir davor gelebt haben. Das heißt auch: Man kann nicht erwarten, dass andere sich um mich kümmern, wenn ich mich mein ganzes Leben nur um mich gekümmert habe. Solidarität ist eben keine Einbahnstraße.