
Gütersloh. Auch drei Wochen später sitzt Ruth Prior-Dresemann der Schock noch in den Knochen. In den Mittagsstunden des 29. August saß die seit März amtierende Geschäftsführerin der Gütersloher Tafel am Schreibtisch des Bürocontainers an der Kaiserstraße, als um sie herum das Chaos hereinbrach.
Bei Abbrucharbeiten des ehemaligen Bürotraktes auf dem Areal des benachbarten Roten Kreuzes stürzte plötzlich eine komplette Giebelwand auf die drei Bürocontainer der Lebensmittelsammler. Bereits eine Stunde zuvor waren die Balken des Giebels auf die Container gedonnert. Prior-Dresemanns Proteste und Forderungen nach baulicher Absicherung ignorierte der Baggerfahrer des Abbruchunternehmens Wimmelbücker nach ihrer Aussage komplett.
"Die Grundstücksgrenzen sind bekannt. Es gab keinen Fangzaun oder andere Sicherheitsmaßnahmen", sagt die Tafel-Chefin erbost. "Ich bin zwar keine Abbruchexpertin, aber für mich sind da einige Fehler passiert." Bilder von dem spektakulären Zwischenfall hat sie noch auf ihrem Handy: Die Bilder sehen aus wie nach einem Bombentreffer. In den Containern herrscht pures Chaos: Risse und Holzsplitter in der Decke, zwischen abgerissenen Leitungen und umgekipptem Mobiliar liegen Scherben. Vor der Tür türmen sich Steine und Schutt.
Die Eingangstür war so verzogen, dass sie sich nicht mehr öffnen ließ. Nur durch Glück wurde kein Mensch verletzt: Eine Mitarbeiterin hatte kurz vor dem Zwischenfall ihren Arbeitsplatz verlassen. Dennoch ist der Schaden immens. Von den drei, erst 2012 für 120.000 Euro angeschafften und hochwertig ausgestatteten mobilen Büro-Räumen, müssen laut Ruth Prior-Dresemann "zwei auf alle Fälle ausgetauscht werden. Die sind komplett schief und verzogen". Die Kosten für die Neuanschaffung belaufen sich auf 60.000 Euro.
"Da hat jemand einen Fehler gemacht und die Lage komplett falsch eingeschätzt"
Weil der Container-Lieferant ein halbes Jahr Vorlaufzeit hat, können die neuen Unterkünfte "frühestens im April 2018 installiert werden". Bis dahin muss die Tafel improvisieren. Ein Elektriker hat die losen Kabel abgeklemmt, Strom und Heizung funktionieren wieder, die Fenster sind notdürftig mit Holzbrettern und Planen abgedeckt - und der Winter steht vor der Tür. Zur Schadensregulierung setzt Ruth Prior-Dresemann auf eine gütliche Einigung mit der Versicherung des Rietberger Abbruchunternehmens Wimmelbücker.
Doch die kann dauern. Bevor beispielsweise die zerstörten Fenster ersetzt werden können, muss erst das Gutachten des Sachverständigen vorliegen. Darauf wartet die Tafel-Chefin händeringend. Dem Vorstand des Roten Kreuz ist der Vorfall sichtlich unangenehm, das DRK hilft, wo es kann. Auch Ludger Wimmelbücker, Chef des Rietberger Unternehmens, ist der Mauerfall bei der Gütersloher Tafel sichtlich peinlich. Er übernimmt die volle Verantwortung: "Da hat jemand einen Fehler gemacht und die Lage komplett falsch eingeschätzt. Das durfte niemals passieren. Wir stehen dafür gerade, dass alles wieder in Ordnung kommt."
Die Fehleinschätzung des erfahrenen Baggerfahrers erklärt der Firmenchef mit der schwierigen Statik des Gebäudes: "Der vordere Gebäudeteil bestand aus massiven Steinen, nach hinten wechselte es zu Fachwerk, dass mit einer Mauer umgeben war". Um dies zu entdecken "hätte man mit dem Vorschlaghammer einige Löcher in die Wand hauen müssen". Sobald man bei dieser Ausgangslage mit dem Bagger vorne "etwas zwicke, halten die Gefache nicht mehr, der Druck wird nach hinten weiter gegeben, und die hintere Mauer kommt in Bewegung".
Aufgrund der Lage des Grundstückes sei keine andere Arbeitsweise als von vorne nach hinten in Frage gekommen. "Der Bagger braucht einen sicheren Stand", so Wimmelbücker. "Bei einem komplett massiven Gebäude wäre niemals etwas passiert". Ruth Prior-Dresemann ist trotz der Erläuterung angefressen: "Wenn man sieben Monate improvisieren muss, ist das kein schönes Gefühl. Das ganze kostet und Zeit, Nerven und Energie, die wir lieber in andere Projekte stecken würden." Gesucht wird nun eine Lösung für den Übergang.
"Bis die neue Bodenplatte gegossen, Entwässerung und Elektronik installiert sind, werden einige Wochen vergehen", so die Tafel-Chefin. "Wo arbeiten wir währenddessen? Der Betrieb muss ja weiter gehen. Wir können 3.800 Menschen schlecht sagen, ihr bekommt ein paar Wochen keine Lebensmittel." In dem ganzen Chaos hat sie nur einen Trost - der ist aber äußert wichtig: "Zum Glück ist niemandem etwas passiert."