
Gütersloh. Akrobatik hat Jahrtausende alte Tradition in China. Und am Samstagabend wurden die Früchte dieser Arbeit in der Stadthalle höchst eindrucksvoll zur Schau gestellt.
"Ein chinesischer Artist macht keinen Handstand", kündigte schon die Ticket-Webseite an, "ein chinesischer Artist ist der Handstand." Solche Sätze kennt man sonst nur von Chuck Norris, dessen virales Internet-Spagat-Video am Samstag von der Zirkus-Besetzung in Gütersloh in den Schatten gestellt wurde. Das zwar nicht mühelos, aber gerade etwa die beim einarmigen Balanceakt zitternden Baumstammarme eines besonders muskulösen Artisten stellten eindrucksvoll zur Schau, welche körperlichen Höchstleistungen da auf der Stadthallenbühne vor leider nicht ausverkauftem Haus vonstattengingen.

Bühne, nicht Manege, denn der Chinesische Nationalcircus ist nicht ganz das, was man sich auf den ersten Blick darunter vorstellen könnte. Ganz ohne Elefanten und Clownsnasen, dafür auf turnerischem Weltniveau tourt das wechselnde Akrobaten-Ensemble seit knapp einem Vierteljahrhundert durch Europa. Tatsächlich ist der Zirkus nicht aus dem fernen Osten zu Gast, sondern eine westfälische Produktion: In Billerbeck nahe dem münsterländischen Coesfeld trainieren einige der besten Akrobaten, die aus chinesischen Artistenschulen hervorgehen. Einige von ihnen wohnen schon lange in Westfalen, andere fliegt Organisator Raoul Schoregge dank Kontakten ins chinesische Kulturministerium jeweils für eine Saison des jährlich wechselnden Zirkus-Programms nach Deutschland ein.
Aktuell tourt die Truppe unter dem Show-Namen "The Grand Hong Kong Hotel" durch Europa. Und so verpackten die Protagonisten ihre Kunst in eine lose Rahmengeschichte um zwei Westler, die die chinesische Hafenstadt besuchen. Dabei brauchten sie nicht lange, um im alterstechnisch bunt durchgemischten Publikum jede Menge "Oh!" und "Ah!" durch die Stadthalle tönen zu lassen. Später dann auch einige erschreckte Aufschreie, als etwa zwei Akrobatinnen in knapp fünf Metern Höhe auf einem halben Dutzend ineinander verkeilter Stühle turnten oder ihre Kollegen sich schwere Porzellanvasen zuwarfen - von einer Stirn zur anderen.
Aufgelockert wurde der Nervenkitzel durch sympathische Sketche und kleine Witzeleien mit der ersten Zuschauerreihe, bevor wieder Teller jongliert wurden - kopfüber auf dem Kopf einer anderen Artistin balancierend - oder gleich eine ganze Wagenladung Straßenabsperrungen auf der Stirn eines einzelnen Künstlers verweilte. Sowohl bei den halsbrecherischsten Stunts als auch bei den raffiniertesten Jonglier-Tricks war stets offensichtlich, wie gut austrainiert und eingespielt die Künstler für sich und in der Gruppe sind. Dass die Stadthalle dafür nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt war, ist schade, denn Akrobatik auf diesem Niveau sieht man nicht alle Tage mit eigenen Augen.
Die am Samstag anwesenden Zuschauer jedenfalls schienen ihr Kommen nicht zu bereuen und waren begeistert von der zweistündigen Show, bei der von Muskeln über Musik bis hin zu Grenzgängen in Sachen Schwerkraft, Körperspannung und Flexibilität für jeden etwas dabei war.