
Kreis Gütersloh. Fernfahrer - ein geradezu für gestandene Mannsbilder geschaffener Job, möchte man meinen. Denn neben dem Klischee vom romantischen Truckerleben hält sich nach wie vor das vom kräftigen Brummilenker, der gleichermaßen knurrig wie kumpelhaft ist. Ein Stereotyp, das Carina Finke ad absurdum führt: Seit 2015 absolviert die 21-Jährige ihre Ausbildung zur Berufskraftfahrerin bei Tevex, einem Tochterunternehmen des Fleischgiganten Tönnies - und wirkt im Schatten der imposanten Lastwagen alles andere als knurrig. Vielmehr macht die junge Frau einen glücklichen Eindruck, was sicherlich auch an ihrem vermeintlich so männlichen Beruf liegt.
Wer zu Deutschlands größten Schlachtbetrieben zählt, muss dafür sorgen, dass Schnitzel und Würste zum Verbraucher gelangen. Das erledigt bei Tönnies das Transportunternehmen Tevex, das für die komplette Logistik des Fleischkonzerns verantwortlich zeichnet und wie so viele Speditionen mit der Personalknappheit im Bereich der Lkw-Fahrer zu kämpfen hat - obwohl es sich bei den meisten Fahrten nur um Tagestouren handelt.
Den Kopf stecken die Verantwortlichen aber nicht in den Sand, sondern setzen auf engagierten Nachwuchs: Seit 2012 bildet das Unternehmen jährlich drei Berufskraftfahrer aus. Aus gutem Grund, erläutert Tönnies-Sprecher André Vielstädte: "Diese Entscheidung war eine Reaktion auf den Markt. Wir befinden uns im Wettbewerb mit anderen Firmen - und brauchen Fahrer." Oder, etwas präziser formuliert: Fahrerinnen und Fahrer.
Ursprünglich ging Carina Finke nach dem Schulabschluss einen klassischen Weg und absolvierte eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau. Doch so ganz ihr Ding war das nicht, erzählt sie lächelnd.
"Als Kauffrau macht man jeden Tag fast das gleiche. Da reizt mich der neue Beruf einfach mehr." Zumal sie familiär vorbelastet ist: "Unsere Familie ist motorsportbegeistert; ich selbst bin Kart gefahren und besitze einen Mazda 6 - und das ist keine Knutschkugel." Doch wie sollte sie die Leidenschaft für Autos und Motoren beruflich nutzen? Die Antwort auf diese Frage erhielt die junge Frau, als sie bei Bekannten im Lastwagen mitfuhr und beim Be- und Entladen half: "Das hat unheimlich viel Spaß gemacht." Schließlich sah sie eine Anzeige, in der Tevex nach Azubis zum Berufskraftfahrer suchte, fand Gefallen an der Idee, in einem Familienunternehmen mit Aufstiegschancen zu arbeiten, bewarb sich - und wurde angenommen.
Am 1. August des vergangenen Jahres begann Carina Finke ihre Ausbildung, die deutlich mehr beinhaltet, als bloß den Lkw-Führerschein zu machen und ein überdimensionales Gefährt von einem Ort zum anderen zu steuern. Drei Jahre lang lernt die 21-Jährige alles über Beladung, Streckenplanung, Technik, Disposition, Ausstellen der Papiere, Infektionsschutz, Hygienevorschriften, aber auch über vorausschauende Fahrweise und Wirtschaftlichkeit am Steuer. Derzeit ist sie in der Werkstatt im Einsatz und packt bei Reparaturen mit an. Eine harte und alles andere als saubere Arbeit: "Abends bin ich schwarz. Aber so richtig."
Und einen 40-Tonner durfte Finke unter Anleitung des Fahrtrainers auf dem Betriebsgelände auch schon steuern und stellte fest, dass solch ein Gigant ganz andere Ansprüche an die Fahrerin stellt als ein handlicher Pkw. Ein Erlebnis, das sie prägte. "Nach der Ausbildung möchte ich erst mal richtig auf die Straße", sagt die 21-Jährige - und denkt gleichzeitig schon voraus: "Und abends mache ich dann eventuell meinen Kraftverkehrsmeister." Aber rechnet sie nicht mit kritischen Sprüchen ihrer meist männlichen Kollegen, zum Beispiel an Autobahnraststätten? "Wahrscheinlich wird man zunächst mal komisch angeguckt. Doch da muss man drüber stehen."