Lost Place im Kreis Gütersloh: Was steckt hinter dieser geheimnisvollen Ruine?

Borgholzhausen. Die Bergstraße in Borgholzhausen im Kreis Gütersloh ist Bewohnern der Stadt und Wanderern bestens bekannt. Sie führt aus dem Ort zunächst hoch zum Bönker'schen Steinbruch. Wer zu Fuß noch weiter hinauf will, erreicht über zahlreiche Wege die Höhen auf dem Hollandskopf. In etwa auf halber Strecke zwischen Parkplatz und Eingang zum Bönker'schen Steinbruch liegt linker Hand - ein wenig versteckt oberhalb des Weges - eine Betonruine. In der Nähe des dortigen Funkmastes drückt eine circa zehn Meter große Betonplatte eine runde Mauer scheinbar in den Berg. Seitlich versetzt verlaufen weitere Mauern, die eine unten von einem Maschendrahtzaun parallel zur Bergstraße. Die andere - weiter oberhalb, aber direkt an der Straße - bohrt sich senkrecht in den Berg. Viel ist von diesen Ruinen nicht mehr zu sehen. Die Natur nimmt immer mehr Besitz von diesen "Lost Places". "Umso wichtiger ist es, dass die Erinnerungen an solche Orte nicht verloren gehen", sagt Harald Schumacher, stellvertretender Vorsitzender des Heimatvereins: "Schließlich gehören diese Orte zur Geschichte von Borgholzhausen." Lesen Sie auch: Seltene Einblicke in Atomraketen-Basis im Kreis Gütersloh Stellung für Raketen? Das ist ein Irrtum! Irrtümlicherweise existieren zu beschriebener Ruine im Internet bei Google Maps Hinweise auf eine Nike FlaRak-Stellung, also auf eine Stellung für Raketen. Die hat es zwar in Pium gegeben, allerdings an einer anderen Stelle. Von 1963 bis 1983 befand sich auf dem Hollandskopf eine Feuerleitstelle, die so genannte "Integrated Fire Control" (IFC). Diese gehörte zu einer niederländischen Nike-Hercules-Raketenstation auf der gegenüber liegenden Seite von Borgholzhausen an der Sundernstraße. Die dort stationierten Raketen sollten von der Leitstelle aus mittels analoger Radarfunkbefehle gesteuert werden. Harald Schumacher kann sich an die Raketen noch genau erinnern: "Die wurden täglich mehrmals rausgefahren, sichtbar für alle. Wir haben dann immer gesagt: Guck mal, jetzt müssen die wieder ihre Raketen putzen." Ähnlich detailgetreu sind Schumachers Erinnerungen an die Ruine an der Bergstraße. "Dort standen die beiden großen Kalköfen. In denen wurde der abgebaute Kalk aus dem Steinbruch gebrannt." Schumacher (im Jahr 1948 geboren) hat dort oberhalb der Stadt als kleiner Junge regelmäßig gespielt und viele Jahre gewohnt. "Das war schon spannend", sagt er: "Da war viel los. Es gab täglich Sprengungen, mit denen die Arbeiter die Steine aus dem Berg geholt haben." Diese wurden dann vor Ort im Steinbruch zerkleinert und in Loren verladen. Altes Foto aufgetaucht Über eine Schienentrasse - die ist heute lediglich noch als Waldweg erkennbar - wurden die fahrbaren Container per Hand etwa 75 Meter zu den Öfen gefahren. Dort wurden die Steine von oben in die Öfen gekippt. Fertig gebrannt wurden diese auf Höhe der Bergstraße entnommen, in Lkw verladen und schließlich zur Kalkmühle in der Nähe gefahren. Von Harald Schumacher, Enkel des Fotografen Ludwig Schumacher, existiert aus der Zeit Mitte der 1950er-Jahre ein Foto. Auf dem ist er zu sehen, wie er als kleiner Junge ("Da muss ich so sieben oder acht Jahre alt gewesen sein") auf der Wiese vor dem gewaltigen Kalkofen steht und mit einem Fernglas über die Felder späht. Im Hintergrund befindet sich der Bönker'sche Steinbruch. Von dem riesigen Kalkofen sind heute nur noch die große Betonplatte sowie ein paar Relikte der runden Mauer darunter erkennbar. "Den Rest hat man zugeschüttet und schließlich der Natur überlassen, als sich der Kalkabbau nicht mehr rentierte", berichtet Schumacher. Man habe am Ende versucht, die Reste des Ofens zu sprengen, um sie besser abtransportieren zu können. Fast täglich gab es Sprengungen "Doch das Ding war einfach nicht kaputt zu kriegen", sagt Martin Kansteiner und lacht: "Deutsche Wertarbeit eben." Kansteiner (Jahrgang 1939) ist genauso wie Schumacher in den 1950er-Jahren an der Bergstraße groß geworden. "Meine Eltern hatten hier seit 1957 einen kleinbäuerlichen Betrieb", so Kansteiner. Seine Erinnerungen und Schilderungen decken sich mit denen von Harald Schumacher. Besonders beeindruckend fand Kansteiner die Sprengungen: "Es kam des Öfteren vor, dass bei uns das Geschirr auf dem Tisch geklappert hat, oder dass der Putz von der Wand rieselte, wenn es da oben zur Sache ging. Und wenn wir auf den Feldern unterhalb des Steinbruches gespielt haben, mussten wir manchmal aufpassen. Denn es konnte passieren, dass nach einer Sprengung dort ein paar Steine angeschossen kamen." Auch von den großen Transportwagen auf Schienen war Kansteiner als Jugendlicher fasziniert: "Das Be- und Entladen wurde alles von Hand gemacht, ohne technische Hilfsgeräte. Man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen, was das für eine Plackerei gewesen sein muss." In dem Moment, in dem er diese Worte spricht, zeigt er vom Eingangstor des Steinbruches auf den Waldweg, auf dem sich früher die Trasse befand. Kansteiner sagt beinahe erleichtert: "Zum Glück hatte die Bahn ein leichtes Gefälle." Heute nur noch ein kleiner Zugangsweg Durch die Schilderungen der beiden Zeitzeugen beim Gesprächstermin vor Ort wird die Geschichte von dem alten Kalkbergwerk mit seinen Öfen kurzzeitig wieder greifbar. Wenn sie erzählen, kann man den Lärm der Sprengungen beinahe hören. Den Widerhall des Schalls. Die Rufe der Arbeiter, wenn sie eine Lore anschieben. Das Klacken der Spitzhacken, wenn sie sich in die Steine bohren. Das Schlürfen der Schaufeln, wenn sie die Steine aufnehmen. Man spürt die Hitze der Öfen. Doch dann holt einen die Realität ein. Die Bergstraße ist heute lediglich ein kleiner Zugangsweg hoch zum Bönker'schen Steinbruch. Der wurde nach Ende der Abbauarbeiten schrittweise touristisch erschlossen. Es ist sehr friedlich an diesem Morgen. Kein Lärm. Lediglich ein Specht tackert auf Holz. Die Ruine der Kalköfen liegt unaufdringlich, ein bisschen versteckt, im Hang. Erinnerungsfoto nach knapp 70 Jahren Harald Schumacher stellt sich zum Erinnerungsfoto nach knapp 70 Jahren wieder auf die Wiese, wo er als kleiner Junge schon gestanden hat. In seinem Rücken hat sich Martin Kansteiner auf eine Bank gesetzt. Eingerahmt werden die beiden Männer von sehr viel Grün. In ihren Köpfen bleiben die Erinnerungen an ihre Jugend und die Kalköfen von der Bergstraße sehr präsent.

Meistgelesen