Jöllenbeck/Schildesche

Serie: Skurrile Orte - die "Spenger Schlacht"

Fast vergessen (10): Vor 125 Jahren war bei Jöllenbeck die Konfrontation von Schildescher Sozialdemokraten mit Spenger Bauern ein politisches Ereignis im Kaiserreich

09.08.2016 | 09.08.2016, 06:05
Irgendwo hier muss es gewesen sein: Zwischen Jöllenbeck und Schildesche gerieten Schildescher Sozialdemokraten und Spenger Bauern derart aneinander, dass im Kaiserreich darüber diskutiert und in den USA berichtet wurde. - © Kurt Ehmke
Irgendwo hier muss es gewesen sein: Zwischen Jöllenbeck und Schildesche gerieten Schildescher Sozialdemokraten und Spenger Bauern derart aneinander, dass im Kaiserreich darüber diskutiert und in den USA berichtet wurde. | © Kurt Ehmke

Jöllenbeck/Schildesche. Sozialdemokraten liefern sich bei Jöllenbeck mit Bauern aus Spenge eine Schlacht, bei der Blut fließt? Eine Schlacht, über die in den USA berichtet wird? Kaum zu glauben, aber wahr - und exakt heute 125 Jahre her. Die vom Volksmund "Spenger Schlacht" genannte Auseinandersetzung fand am 9. August 1891 statt.

Dabei gerieten etwa 500 Sozialdemokraten mit 1.500 Angehörigen konservativer Kreise, vornehmlich Bauern und Knechten unter der Führung des Gohfelder Pastors Karl Iskraut, in massive handgreifliche Auseinandersetzungen.

Zahlreiche blutige Nasen und Beulen an den Köpfen waren zu beklagen, die wenigen Gendarmen im Kampfesgebiet waren im Großeinsatz. Für die Menschen damals vor 125 Jahren waren die Ereignisse derart weitreichend, dass sogar in Amerika darüber berichtet wurde.

Ein Findling in Spenge erinnert an 1891. - © Kurt Ehmke
Ein Findling in Spenge erinnert an 1891. | © Kurt Ehmke

Wie konnte es soweit kommen?

Die Wiederbegründung der SPD 1890
Ende September 1890 lief das Sozialistengesetz aus. Die SPD konnte nun also wieder Ortsvereine begründen. So trafen sich beispielsweise am 13. September des Jahres in der Wirtschaft Hülsmann in Schildesche eine Gruppe Arbeiter, um den sozialdemokratischen Verein zu gründen. Frauen waren nach dem preußischen Vereinsrecht nicht als Gründungsmitglieder zugelassen. Die Zielsetzungen des jungen Vereins waren recht deutlich: Verbesserung der Arbeits- und Lebensverhältnisse, Werbung für die sozialdemokratischen Ideale in der ländlichen Umgebung und Einfluss auf die Gemeindeparlamente für sozialen Fortschritt.

Amtlicher Stadtplan - © Vermessungs- und Katasteramt
Amtlicher Stadtplan | © Vermessungs- und Katasteramt

Zur Verbesserung der Versorgung schritt man in Zusammenarbeit mit den Bielefelder Genossen 1891 zur Selbsthilfe: Aus Protest gegen die hohen Kartoffelpreise mietete man einen Bauernwagen samt Pferd und holte selbst die Kartoffeln zu günstigen Preisen bei einem Bauern aus Ummeln ab. Das war der Anfang der Konsumgenossenschaft, die in den folgenden Jahren kleine Läden errichtete und die Arbeiterfamilien mit Lebensmitteln versorgte. Für die Verbreitung der sozialdemokratischen Ideen benutzte man neben den Gesprächen am Arbeitsplatz vor allem die sofort 1890 wieder gegründete Zeitung Volkswacht, einen Vorläufer der heutigen Neuen Westfälischen.

"Agitation" auf dem platten Lande
Man glaubte 1890 nun, dass man auch die Landarbeiter würde sehr schnell überzeugen können. Hier stieß man aber bald an die Grenzen der jungen Bewegung. Immer wieder versuchte man am Sonntag in kleinen Trupps zu den Höfen vorzudringen, um die Volkswacht verteilen zu können. Die christlich-konservativen Bauern aber wehrten sich, nicht selten wurden die Hunde freigelassen und auf die "Sozis" gehetzt. Dies kulminierte dann in der sogenannten "Spenger Schlacht" am 9. August 1891. Schildescher Sozialdemokraten waren über Jöllenbeck nach Spenge gewandert, um auf dem Acker des Zigarrenarbeiters Borgstädt eine Versammlung abzuhalten. Dort wurden sie aber vom Pfarrer Iskraut und den christlichen Posaunen- und Jünglingsvereinen erwartet, die sie unter Posaunenblasen in die Flucht jagten. Es gab mehrere Verletzte, die Presse berichtete auch vom Verlust einer Bierpumpe in Lenzinghausen. Der Vorfall beschäftigte ferner das Preußische Abgeordnetenhaus, wurde aber gerichtlich nicht weiter verfolgt.

Die Folgen für die Parteiarbeit
Die "Spenger Schlacht" hatte gezeigt, dass man mit sozialdemokratischem Auflauf auf dem Lande nichts erreichen konnte, deshalb wandten sich die Sozialdemokraten wieder ihrer Stammklientel zu, der Industriearbeiterschaft. Es wurde sich um die Kommunalpolitik und um die kleinen Verbesserungen im Alltag gekümmert. Schwerpunkt waren die Sozialpolitik und Infrastruktur, der Ausbau des Kanalnetzes, der schulischen Einrichtungen, die Wohnungsbaupolitik, aber auch Sportstättenbau - wie beispielsweise 1914 das Freibad. In Spenge erinnert am Krusenplatz ein schwerer Findling unter großen Bäumen an die "Spenger Schlacht".
Zitat: "Nie wieder."

Information

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  • Heute ist das Thema: die Spenger Schlacht.
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