BIELEFELD

"Wein muss Freude sein"

DAS INTERVIEW: Michel Fischer (51) und Kai Walther (46) vom Weinhandel Maison du Vin

05.09.2012 | 05.09.2012, 00:00
Kai Walther stößt mit einem Roten an, Michel Fischer mit einem Weißen. Ihr Tipp: junge Winzer. - © FOTO: KURT EHMKE
Kai Walther stößt mit einem Roten an, Michel Fischer mit einem Weißen. Ihr Tipp: junge Winzer. | © FOTO: KURT EHMKE

Bielefeld. Der Weinmarkt ist eröffnet – und da ist es wieder: das gefährliche Halbwissen über Weine. Im Gespräch mit den Weinkennern Michel Fischer und Kai Walther bedient NW-Redakteur Kurt Ehmke viele Klischees und lernt, dass alles gesagt werden darf. "Es gibt ja auch keine Schnitzelfachsprache", sagt Walther.

Im Urlaub fließt der Merlot aus dem Tetrapak – schmeißen Sie mich jetzt raus?
MICHEL FISCHER: Nein, warum? Für einen leichten, süffigen Wein ist das nicht schlecht, im Gegenteil. Wein aus dem Schlauch ist praktisch, auf Reisen oder auf dem Boot. Da klappert nichts, man kann schön feiern. Nichts schmeckt nach Kork, das passt schon.

Information

Fischer und Walther

Michel Fischer betreibt seit 1995 Maison du Vin am Niederwall 46, Kai Walther kam 2003 dazu.

Fischer, ein Franzose, ist gelernter Koch, Walther Jurist.

Fischer war auch schon Gastronom. kurt

Dann also immer Tetrapak.
FISCHER: Gute alte Weine brauchen schon den Kork, weil sich Luft und Feuchtigkeit da austauschen. Wein aus dem Tetrapak kann Sauerstoff nur ganz kurz atmen, im Glas, nicht vorher. Also: aufmachen, trinken.

Früher war der Schraubverschluss sicheres Zeichen für einen Katastrophenwein – heute ist er salonfähig. Was hat sich verändert?
FISCHER: Eigentlich nichts. Als ich Kind war, gab es schon die Zwölf-Liter-Weine mit Kunststoffkorken – und das war in Ordnung, hat mein Vater gesagt.
KAI WALTHER: Es gibt bei Glas, Kunststoff und Schraubverschluss kein Risiko – das ist erst einmal gut. Nichts kann vom Kork reinbröckeln. Hochwertige Weine aber brauchen Kork, das Naturprodukt.

Muss Wein wirklich tagelang ruhen, bevor er getrunken wird?
FISCHER: Alte Weine mit einem Depot, also Partikeln, die sich unten absetzen, die wollen nicht grob herumgeschüttelt werden – aber bei jüngeren Weinen spielt das keine Rolle.

Umfrage

Für echten Genuss braucht der Weintrinker doch sicher teure Accessoires wie den Aufsatz zum Ausgießen, den bauchigen Dekantierer und den Designer-Korkenzieher.
WALTHER: Vieles davon ist Schnickschnack, der Dekantierer aber nicht.
FISCHER: Ja, der ist wertvoll, da entwickelt sich ein guter Wein noch.
WALTHER: Aber dem Wein ist es vollkommen egal, ob er mit einem Korkenzieher für 2,50 oder für 100 Euro geöffnet wird.

Oft kostet das Glas mehr als der Wein, der aus ihm getrunken wird.
FISCHER: Oh, das Glas wiederum spielt eine sehr große Rolle, teure Weine schmecken aus passenden Gläsern besser. Ich gebe aber zu, dass ich einfache Weine zu Hause auch aus dem Wasserglas trinke.
WALTHER: Naja, es sollte nicht billiges Pressglas mit Rollrand sein, da schmeckt der Wein nun wirklich nicht draus.
FISCHER: Aromen sollten sich im Glas entfalten können ...
WALTHER: ... ja, wir wollen sie mit der Nase fangen, also riechen.

Der Weinmarkt ist eröffnet. Wie kann der Bielefelder einen guten Wein entdecken, ohne erst fünf Gläser trinken zu müssen und Kopfschmerzen zu bekommen?
FISCHER: Ich würde versuchen, eine kompetente Person zu finden und dieser sagen, was ich will. Wer etwas vom Wein versteht, kann seinem Gast den passenden Wein anbieten. Es gilt: Die Farbe muss Freude bereiten, der Wein darf nicht trübe sein und der Geruch sollte angenehm sein. Wein muss Freude sein.
WALTHER: Steht da einer, der meinen Wunsch erfüllen kann? Das ist die zentrale Frage. Und an einem guten Stand darf ich auch mal probieren – und bin so nicht gleich betrunken.

Manch Weinkenner gurgelt vernehmlich beim ersten Schluck, zieht den Wein durch die Zähne und ist dann empört oder fasziniert – große Show oder Weg zur Erkenntnis?
FISCHER: Immer schön auf dem Boden bleiben, so etwas ist oft Angeberei. Und Weine sollten nun wirklich nicht empören.
WALTHER: Vieles ist Show, ein bisschen berechtigt ist das aber auch. Der Wein wird so im Mund belüftet, seine Aromen werden verwirbelt und steigen in die Nase auf – das ist das Ziel. Aber das geht auch leise und dezent.

Hilfe: Wieso kann Wein trocken sein – aber nicht herb, sauer oder bitter?
WALTHER: Das kann er. Es hat sich in einigen Köpfen so eine Weinfachsprache festgesetzt, die einfach Unsinn ist. Einfachste Begriffe wählen – das ist in Ordnung. Natürlich kann ein Wein bitter sein: Wer einmal die Kerne einer Weintraube zerbissen hat, weiß, dass das bitter schmeckt. Jeder soll den Wein so bezeichnen, wie er ihm schmeckt. Es gibt doch auch keine Schnitzelfachsprache.
FISCHER: Jedes Geschmacksempfinden ist möglich, auch beim Wein.

Wein kann leicht sein und schwer – wer soll das denn verstehen?
FISCHER (lacht): Na, es geht um den Abgang.

Abgang, ach so.
WALTHER: Wir meinen damit, ob der Wein intensiv ist, komplex – ob er lange nachwirkt.
FISCHER: Ich habe einmal mit drei Freunden einen 78er Château Margaux getrunken – zehn Minuten später sind wir ins Auto gestiegen und waren da fasziniert, dass wir alle noch immer den Wein schmecken konnten, seine Aromen. An diesen Abgang erinnere ich mich noch heute.

Es gibt kluge Sätze zum Wein, lassen Sie uns zwei überprüfen: In vino veritas – was für Wahrheiten finden Sie denn so im Wein?
FISCHER: Wein macht mich hip, bereitet Freude, das ist doch auch eine Wahrheit. Manchmal plaudern Leute Sachen aus, die sie sonst nicht sagen würden. Aber ich vergesse auch Wahrheiten, ich genieße, ohne zu denken.

Rotwein macht müde. Doch es heißt: Wein, Weib und Gesang – welcher Wein passt denn dazu?
WALTHER: Weißwein.
FISCHER: Nee, Champagner, es prickelt da... Und jede Frau, die das Prickeln mag, liebt auch Champagner ...
WALTHER: ... es kommt natürlich aber ganz auf die Frau an.