Kampf um bessere Entlohnung: Bielefelder Bethel-Werkstätten hoffen auf Politik

Bielefeld. Martin Wöhler ist ein Realist. &bdquo;Der allgemeine erste Arbeitsmarkt kann sehr brutal sein“, sagt der studierte Biologe und schiebt hinterher: &bdquo;Ich habe meine Erfahrungen gemacht“. Vor einigen Jahren erhielt er nach gesundheitlichen Problemen einen Platz in der Keramikwerkstatt der Bethel-Tochter ProWerk. Doch auch hier, in einem eigentlich geschützten Bereich, der auf die Bedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigungen oder Behinderungen zugeschnitten ist, gibt es Probleme. Die mageren Entgelte und die Abhängigkeit von staatlichen Transferzahlungen wie Bürgergeld oder Grundsicherung gehören dazu, ebenso die karge Altersvorsorge. &bdquo;Vielen von uns fehlt das Geld für einen Kinobesuch oder einen Cappuccino im Café“, weiß der kurz vor der Rente stehende 65-Jährige. Wöhler engagiert sich als Mitglied im Gesamt-Werkstattrat der ProWerk-Einrichtungen, in denen rund 1.700 Kolleginnen und Kollegen arbeiten und so in den Arbeitsmarkt integriert werden. Er unterstützt damit zum Beispiel auch Beschäftigte wie Johann Heinrich Alf, der 29 Stunden wöchentlich in der Buchbinderei Bethel arbeitet. Frühere Familienministerin fragt sich in Bethel-Werkstatt schlau Gemeinsam kämpfen Alf, Wöhler und ihre Mitstreiter für eine Änderung des Entgeltsystems der Werkstätten, das viele Experten als ungerecht empfinden. Sie wollen daher die Politik in die Pflicht nehmen, um den seit Jahren stockenden Reformbemühungen neuen Schwung zu verleihen. Die Bielefelder SPD-Politikerin Christina Kampmann, Mitglied des NRW-Landtags und Sprecherin des Innenausschusses, folgte jetzt einer Einladung in die Bethel-Werkstätten. Einblick in Landtagsarbeit: Junger Bielefelder schlüpft in Rolle von Christina Kampmann Die frühere NRW-Familienministerin, die sich derzeit schwerpunktmäßig um Innenpolitik kümmert, fragte sich erst mal schlau: Können Werkstattbeschäftigte sich frei entscheiden, wo sie arbeiten? Wie sind die Chancen für einen Wechsel in den allgemeinen Arbeitsmarkt? Wie groß ist die Bereitschaft der Unternehmen zur Inklusion? Und wie viele Menschen sind überhaupt in geschützten Werkstätten tätig? Armut in Bielefeld: Wenn der Lohn nur mit Bürgergeld reicht Einige Antworten lieferte Wolfgang Ludwig aus der Geschäftsführung des Stiftungsbereichs ProWerk Bethel: Bundesweit gebe es rund 300.000 Werkstatt-Beschäftigte, so Ludwig. Zugelassen seien Menschen, die auf dem freien Arbeitsmarkt chancenlos wären, weil sie nicht länger als drei Stunden arbeiten können. Neben jenen Beschäftigten, die wegen ihrer Behinderung nie auf dem ersten Arbeitsmarkt aktiv sein konnten, gebe es viele, die nach einer regulären Ausbildung einen Arbeitsplatz hatten, später aber – etwa wegen einer psychischen Erkrankung – ihre Stelle aufgeben mussten. &bdquo;Es gibt zunehmend Menschen, die dem Druck nicht mehr standhalten“, sagt ProWerk-Abteilungsleiter Henner Weduwen. ProWerk-Chef Ludwig fordert mehr Steuerfinanzierung für bessere Entlohnung Der 62-jährige gelernte Holzmechaniker Heiner Alf betont, er selbst und viele andere Beschäftigte seien in den Werkstätten grundsätzlich sehr zufrieden und auf die hier gebotene Sicherheit letztlich auch angewiesen. Andererseits wünsche er sich einen Lohn, von dem er auch leben kann. Zumindest müsse es künftig möglich sein, dass leistungsbezogene Entgeltbestandteile und Sonderzahlungen wie das Weihnachtsgeld nicht mehr auf die Grundsicherung angerechnet werden, findet er. Nach den heutigen Regeln sei es ihm kaum möglich, das verfügbare Einkommen durch Fleiß und Einsatz aufzubessern – das müsse sich ändern. Lesen Sie auch: Bielefelder Arbeitsagentur-Chef: Bürgergeld hält nicht vom Arbeiten ab Den Reformbedarf sieht auch Wolfgang Ludwig. Als einen ersten Schritt empfiehlt er, Sonderzahlungen aus der Anrechnung für die Grundsicherung auszunehmen und so gewissermaßen &bdquo;Lohnzuschläge“ zu ermöglichen. Ein zweiter Schritt wäre es nach seiner Vorstellung, die bisher aus den Werkstatt-Erträgen gezahlten Grundentgelte für alle Werkstatt-Beschäftigten künftig aus Steuermitteln zu zahlen: &bdquo;Die Erlöse der Werkstätten könnten dann mehr für leistungsbezogene Steigerungsbeträge genutzt werden“, so Ludwig. SPD-Politikerin lädt Bielefelder nach Düsseldorf ein Kampmann will eine Delegation Bielefelder Werkstattbeschäftigter nach Düsseldorf einladen, um dort vielleicht Gespräche mit weiteren Entscheidungsträgern zu führen. Hinzuziehen will sie auch den Gütersloher SPD-Abgeordneten Thorsten Klute, der als Sprecher des landtagseigenen Sozialausschusses nah am Thema ist. Kampmann will Georg Lunemann, den Direktor des für die Finanzierung mitzuständigen Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) nach Bielefeld holen. &bdquo;Und wir schreiben einen Brief an Bärbel Bas“, verspricht die Bielefelderin. Die aus Duisburg stammende Bundesministerin für Arbeit und Soziales (SPD), sei ihr gut bekannt. 📱 News direkt aufs Smartphone: Hier finden Sie den kostenlosen Whatsapp-Kanal der NW-Bielefeld

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