„Seoul fühlt sich richtig an“ – warum ein Bielefelder nach Südkorea ausgewandert ist

Bielefeld. Für den Bielefelder Jan Ristok ist der 3. Oktober in dreifacher Hinsicht besonders. Als Tag der Wiedervereinigung ist er der Nationalfeiertag seiner deutschen Heimat. Als Tag der Staatsgründung ist er auch der Nationalfeiertag Südkoreas, wohin Ristok ausgewandert ist. Passenderweise haben seine koreanische Frau und er daher den 3. Oktober als Hochzeitstag gewählt. Deutschland und Südkorea verbindet eine von Krieg, Teilung und anschließendem wirtschaftlichem Aufstieg geprägte Geschichte. Beide schätzen Leistungsorientierung, Fleiß und Pünktlichkeit, unterscheiden sich jedoch in zentralen gesellschaftlichen Fragen. An seiner Wahlheimat Seoul schätzt Ristok vor allem deren Dynamik; die Stadt komme kaum zur Ruhe: &bdquo;Ich kann zu jeder Uhrzeit rausgehen und es immer etwas los. Es ist lebendig, ohne überfüllt zu sein.“ Trotz ihrer knapp zehn Millionen Einwohner sei sie dabei sehr sicher, selbst nachts bräuchten Frauen sich keine Sorgen um ihr Wohlbefinden zu machen. &bdquo;Das hat mich positiv überrascht“, schwärmt er. Die Statistiken zur Kriminalität in Seoul bestätigen Ristoks Einschätzung. In der Metropole habe jeder Stadtteil sein eigenes Flair. &bdquo;Manche sind geprägt von Wolkenkratzern mit 50 Stockwerken, andere von Parks, Flüssen und Seen. Es ist deutlich grüner, als man denkt.“ Vom Bielefelder Schüler zum koreanischen Dozenten Aufgewachsen ist Ristok in der Spindelstraße in der Bielefelder Innenstadt. Schon in seiner Jugend habe er sich für ostasiatische Kulturen interessiert, besonders für die japanische. Eher zufällig sei er über koreanische Musik und Filme gestolpert und davon fasziniert gewesen. 2011 fing er dann in Bochum ein Doppelstudium der Linguistik und japanischen Sprachwissenschaft an. Nach drei Semestern wechselte er aufgrund seiner Faszination der Sprache zur Koreanistik: &bdquo;Das habe ich bis heute nicht bereut.“ Lesen Sie auch: Bielefelderin zwischen Wüstensand und Glaspalästen – eine Auswanderin in Abu-Dhabi Bereits 2014 verbrachte er ein Austauschsemester in Südkorea und lernte dort seine heutige Frau, die Journalistin Suhyeong, kennen. Sie führten eine Fernbeziehung, ein Jahr lang lebte sie auch in Deutschland. 2020 zog er – aus Liebe und Abenteuerlust, zwei Wochen vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie – nach Seoul. Beinahe wäre der Bielefelder nach Deutschland zurückgekehrt Dort stieß er auf eine Hürde: Für seine Lehrtätigkeit brauchte er ein anderes Visum als das Einreisevisum. Die Änderung des Visums erwies sich als äußerst schwierig. Ristok stand kurz davor, aufzugeben und nach Deutschland zurückzukehren, ehe sich eine Lösung fand. Seine Freunde bedauerten den Umzug, verstanden aber seine Motive und fragten, wann er zurückkomme, sagt er. Damals habe er mit zwei bis acht Jahren gerechnet. Inzwischen sei er sich nicht sicher, ob er überhaupt zurückwolle – vielleicht führe ihn sein Weg noch einmal in ein anderes Land. Heute arbeitet der 35-Jährige in Seoul als Dozent an zwei Universitäten. Er unterrichtet dort Sprache, Übersetzung, Kultur und Filmgeschichte. Daneben ist er Leiter des deutsch-koreanischen Schüleraustauschprogramms &bdquo;Adeko Youth Exchange Program“, welches den Austausch zwischen deutschen und koreanischen Gymnasien fördert und koordiniert. Nur der Sonntag bleibe als freier Tag. &bdquo;Ich werde hier gebraucht. Es braucht eigentlich drei von mir“, sagt Ristok mit einem Schmunzeln. Deutschlandbild positiv, Freundschaften schwer .responsive23-hatYfVmxoLxjFCG4-map-bielefelder-auwanderer-in-seoul { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-hatYfVmxoLxjFCG4-map-bielefelder-auwanderer-in-seoul { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-hatYfVmxoLxjFCG4-map-bielefelder-auwanderer-in-seoul { padding-top: 142.86%; } } Der größte Kulturschock sei für ihn positiv gewesen: das Verhalten vieler junger Menschen – kaum Pöbeleien, wenig Kleinkriminalität. Das führe Ristok auf eine stärker am Gemeinwohl orientierte Kultur zurück, wie sie in Teilen Ostasiens verbreitet sei, im Gegensatz zu westlicher Betonung individueller Freiheit. &bdquo;Mach’s wie die anderen, nur besser“ – dieses Leitbild präge Erziehung und trage zu einem hohen Sicherheitsgefühl bei. Mehr zum Thema: Fünf Menschen, zwei Hunde, 35 Quadratmeter: Stemweder Familie wohnt auf einem Segelboot Der Ausländeranteil in Südkorea liegt bei fünf Prozent, was nicht viel erscheint, aber eine Verdopplung in den letzten zehn Jahren ist. Nach Ristoks Beobachtung sei die Skepsis gegenüber Zuwanderung verbreitet; persönliche Anfeindungen habe er jedoch kaum erlebt. Zwar falle er als großer, hellhäutiger Deutscher auf, gerade ältere Menschen schauten öfter länger. Überwiegend erhalte er aber positive Reaktionen, wenn er Koreanisch spreche, und fühle sich gut aufgenommen. Sprache sei der Schlüssel zur Kultur und zu den Herzen der Menschen, sagt er. Deutschland an sich genieße einen guten Ruf in Südkorea: &bdquo;Das Standing von Deutschland ist hier sehr positiv. Made in Germany steht für Qualität.“ Aber nicht alles sei durchweg positiv, so sei es herausfordernd, Freundschaften zu knüpfen und zu pflegen: &bdquo;Freundschaft hat hier nicht den Stellenwert wie Familie. Viele entledigen sich einfach von Freunden.“ Das sei am Anfang hart gewesen. &bdquo;Man muss die eigene Erwartungshaltung senken. Wenn man dann jemanden findet, der sich wirklich öffnet, freut man sich umso mehr.“ Zudem sei der Leistungsdruck oft höher: mehr Überstunden, weniger Urlaubstage. Über Diversität und mentale Gesundheit werde nicht viel gesprochen. Die Suizidrate Südkoreas ist die höchste unter den OECD-Ländern. Heimatgefühle zwischen Bielefeld und Seoul In Seoul denkt Ristok nicht sehr oft an Bielefeld. Aber wenn er auf Besuch ist, kommt für ihn ein Gefühl auf, das er sonst nirgendwo verspüre. Es sei schön, &bdquo;alte Orte wie aus einer längst vergangenen Zeit wiederzusehen, wie sie sich verändern oder auch gleich bleiben. Es ist trotzdem so eine Art Gefühl der Heimat, wenn ich dahin komme.“ Weitere Auswanderer-Geschichten: Menschen aus OWL berichten In Südkorea sei seine alte Heimat aber eher unbekannt: &bdquo;Die meisten Koreaner kennen Bielefeld nicht; wer doch, kennt oft die Bielefeld-Verschwörung’ und witzelt, die Stadt existiere gar nicht.“ Rückblickend ist Ristok glücklich darüber, ausgewandert zu sein: &bdquo;Ich bin dankbarer geworden, mutiger. Ich habe hier viele Gelegenheiten genutzt. Ich bereue lieber das, was ich versucht habe, als das, was ich nicht versucht habe.“ Er erfahre viel Wertschätzung in seiner Arbeit und fühle sich gebraucht. Trotzdem nimmt er auch Wertschätzung für seine alte Heimat wahr: &bdquo;Vielleicht komme ich eines Tages zurück nach Bielefeld – aber im Moment fühlt sich Seoul einfach richtig an.“ 📱News direkt aufs Smartphone: Hier finden Sie den kostenlosen Whatsapp-Kanal der NW-Bielefeld

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