Vom „Arme-Leute“-Quartier zur gutbürgerlichen Wohnlage: die „Oetker-Siedlung“ in Bielefeld

Bielefeld. Ein bisschen wie Perlen an einer Schnur sahen sie aus, die weiß gekalkten Häuschen der &bdquo;Oetker-Siedlung“, die Anfang der 1930er-Jahre neben dem (allerdings erst 1912 angelegten) Sennefriedhof entstanden: 69 Eigenheime, rund 60 Quadratmeter groß, mit Stallanbau und 1.000-Quadratmeter-Selbstversorgergarten. Jochen Bentrup (82) lebt bis heute hier. Sein Eigenheim hat sich wie alle anderen über die Jahre stark verändert. Doch einiges sei noch original erhalten, erzählt er. Ab 1932 errichtete die &bdquo;Gesellschaft für Treuhandgeschäfte und Wirtschaftsberatung“ - &bdquo;eine Oetkerfirma“, so Bentrup - die ersten der einfachen Häuser; auf kargen Heide- und Sandböden vor den Toren der Stadt Bielefeld. Die Einfamilienhäuser (einige wenige Doppelhäuser waren auch darunter) waren schnell gemauert, aber voll unterkellert, weiß getüncht, mit roten Ziegeldächern. Unten befanden sich Küche, Flur mit steiler Treppe, Wohn- und Schlafzimmer, im Obergeschoss war Platz für zwei weitere kleine Räume. Eigentlich waren die Häuser für Oetker-Angestellte vorgesehen, doch die hielten sich beim Kauf zurück. Also kamen andere zum Zuge, einfache Leute mit wenig Geld wie Jochen Bentrups Vater, der gelernter Schneider war und dann bei einem Industrieunternehmen in Brackwecke Arbeit fand. &bdquo;Er bekam 50 Pfennig Stundenlohn“, erzählt sein Sohn, der sich auch an das Schwein und die Hühner erinnert, die seine Eltern damals hielten. Rund drei Straßen umfasste die Siedlung mit dem offiziellen Namen &bdquo;Senne I“ schließlich: die Oetker- und die Friedhofstraße sowie den Milanweg. &bdquo;Unser Haus wurde 1934 gebaut, aber erst 1935 bezogen - es musste ein Jahr leer stehen, weil es erst austrocknen musste.“ Weil der Untergrund aus Sand bestand (&bdquo;40 Meter Sand, nichts anderes“), war an einen eigenen Hauswasserbrunnen, wie er sonst in Senne üblich war, nicht zu denken. &bdquo;So musste die Stadt sofort Wasserleitungen legen.“ Auch interessant: Exklusiver Einblick in Bielefelder Villa – Enkel saniert bekanntes Haus 20 Pfennig Grundsteuer für die Straße Mitzukaufen hatten die neuen Hausbesitzer übrigens ihre ebenfalls neu angelegte Straße. Und so wurden Jochen Bentrups Eltern mit über 30 weiteren Anliegern des Milanwegs Gemeinschaftseigentümer - und zusammen grundsteuerpflichtig. Insgesamt wurden 6,80 Mark pro Jahr fällig. &bdquo;Meine Mutter ging dann los und sammelte 20 Pfennige bei den Miteigentümern ein“, berichtet Jochen Bentrup. Ende der 1980er Jahre übernahm die Stadt die Unterhaltspflicht. Der kleine Weg wurde neu gepflastert und verbreitert. Dafür mussten die Eigentümer Teile ihres Grundstücks abgeben. Das dürfte auch manchen heutigen Grundstücksbesitzern bekannt vorkommen. 5.700 Reichsmark hätten seine Eltern damals für ihr Häuschen bezahlt, erzählt der Senner, plus einen kleinen Betrag für den Bau einer künftigen Schule. Der Grundstückspreis habe bei 70 Pfennig pro Quadratmeter gelegen - für die neuen Eigentümer war all das nur über ein Hypothekendarlehen zu finanzieren: &bdquo;5.000 Reichsmark von der Treuhand“. Lesen Sie auch: Bielefeld-Liebhaberin saniert märchenhafte Villa – und ärgert sich über die Stadt 1.000 Quadratmeter für Obst und Gemüse Zu jedem Eigenheim gehörte ein Anbau mit Klosett und Ställen für Hühner, Schweine oder Kaninchen. Im daran anschließenden Riesengarten zogen die Familien Gemüse und Obst. Jochen Bentrup erinnert sich auch an &bdquo;sechs bis acht Apfelbäume“, die im Garten seiner Eltern standen. &bdquo;Sie sind alle nicht mehr da.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Leute langsam wohlhabender. Die Häuschen wurden individueller, sie wurden nach den Vorstellungen ihrer Besitzer um- und ausgebaut. Das galt auch für Familie Bentrup. 1951 wurde der Stall abgerissen und ein Anbau errichtet. Damit hatten die Bewohner endlich mehr Platz - Eltern, zwei Söhne sowie eine ehemalige Studienrätin, die aus Ostpreußen geflüchtet und ihnen 1942, wie damals überall üblich, von der Wohnungskommission zugewiesen worden war. &bdquo;Sie hat mir Englisch beigebracht“, blickt der heute 82-Jährige zurück. Gegen Ende der 1950er-Jahre gab die Familie ihren Nutzgarten auf. &bdquo;Es lohnte sich nicht mehr“, so Bentrup. Rasen wurde eingesät, der Plattenweg vor der Eingangstür verbreitert, die Fassade verklinkert, eine Terrasse angelegt. Die anderen Häuser wurden ebenfalls aufgehübscht und zudem weitere Eigenheime in den großen Gärten gebaut. Neue Bewohner zogen ein. Heute seien auch Rechtsanwälte oder Doktoren darunter, erzählt der Senner. Gleichwohl ist der Charakter der einstigen &bdquo;Arme-Leute-Siedlung“ bis heute erkennbar. Einiges ist auch trotz aller Änderungen original erhalten geblieben. Bei Jochen Bentrup ist es die steile Treppe, die vom Erd- ins Obergeschoss führt - und ein kleiner Schweinetrog, der heute draußen im Garten steht. 📱 News direkt aufs Smartphone: Hier finden Sie den kostenlosen Whatsapp-Kanal der NW-Bielefeld

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