Wenn Väter ihre Kinder schlagen: Bielefelder Experten bieten Anti-Gewalt-Training

Bielefeld. Nach einem langen Tag und einigem Ärger bei der Arbeit kommt Markus (Name geändert) nach Hause. Dort kehrt für ihn aber keine Ruhe ein. Seine Frau tobt. Der Achtjährige hat wieder die Schulsachen durch die Küche geschleudert. Es gab Streit wegen der Hausaufgaben. &bdquo;Erklär du das dem Jungen“, ruft die Mutter genervt. Der Vater zwingt den Jungen zurück zu den Hausaufgaben. Als der Grundschüler wieder nicht aufs richtige Ergebnis kommt, knallt der Junior die Türen und flüchtet. Markus brüllt: &bdquo;Komm sofort zurück.“ Der Sohn wirft sich auf den Boden und beschimpft seinen Vater. Da haut Markus zu. Plötzlich ist alles still. Es ist wieder passiert. Angsterfüllt hockt der Kleine in der Zimmerecke, Tränen rinnen seine Wangen hinab. Markus bebt. Er ist das Familienoberhaupt, solche Respektlosigkeiten darf er sich nicht bieten lassen, denkt er. Trotzdem: Dass Prügel falsch sind, weiß Markus. Aber ihm habe es ja auch nicht geschadet, wenn früher seinem Vater die Hand ausgerutscht ist. Oder etwa doch? Lesen Sie auch: Zehn-Jahres-Höchststand: &bdquo;Bielefeld hat ein ernstes Gewaltproblem“ Erziehungshilfe kommt nicht an den Kern des Problems Helge Rettig von der Bielefelder Männerberatung &bdquo;man-o-mann“ kennt viele solcher Fälle. Wenn die Jugendämter davon Wind bekommen, reagieren sie mit Erziehungshilfe-Angeboten, damit die Väter lernen, Eskalationen dieser Art zu vermeiden. &bdquo;Das ist wichtig und gut. Aber damit komme ich bei vielen Vätern nicht an den Kern des Problems“, sagt der erfahrene Sozialpädagoge und Männerberater. Am 1. Oktober beginnt deshalb bei man-o-mann das neue Trainingsprogramm &bdquo;Überforderte Väter“. Das Training mit 20 Gruppensitzungen hat das Ziel, den Ursachen für die Gewalt auf den Grund zu gehen: &bdquo;Wir stellen die Frage: Was hat die Gewalt mit Männlichkeit zu tun?“, sagt Rettig. Gewalt gegen Kinder ist vielfältig. Es geht auch um den Einsatz der eigenen Lautstärke, von Druck, Machtdemonstrationen, Drohungen und schließlich um physische Gewalt. Vieles davon habe damit zu tun, dass der Vater selbst früher gelernt hat, dass es für einen Mann keine Ausflüchte geben dürfe. &bdquo;Ein Indianer spürt keinen Schmerz und schon gar keine Überforderung“, berichtet Rettig von den Männlichkeitsbildern, die bei vielen Betroffenen grundlegend für ihr Problem sind. Viele dieser Väter seien selbst Opfer von Gewalt geworden, sagt Rettig. Viele hätten in ihrer Kindheit patriarchalische Denkmuster vorgelebt bekommen und zum Schutz vor Ärger hätten sie diese auch zu bedienen gelernt. Eigene Gefühle zuzulassen – außer der männlich legitimierten Wut –, sei nicht erlaubt gewesen. Statt zu deeskalieren, erreicht der Bielefelder das Gegenteil Markus will unbedingt, dass sein Sohn nach der Grundschule aufs Gymnasium kommt. Aber seine ersten Noten in der dritten Klasse zeigen: Das wird knapp. Entsprechend wichtig ist Markus, dass der Sohn sich nun anstrengt, dass er Erfolge abliefert. Doch genau an dieser Stelle kommt es immer wieder zu Konflikten. Helge Rettig spricht davon, dass Markus kein Erziehungskonzept zugrunde liege. &bdquo;Ihm fehlen Alternativen im Umgang mit seinem Sohn. Dann wird er laut. Statt zu deeskalieren, erreicht er das Gegenteil.“ Zuzugeben, dass auch er manchmal überfordert ist, kommt für Markus nicht infrage – schon gar nicht vor seinem Sohn. &bdquo;Viele dieser Väter können sich unangenehme Gefühle wie Traurigkeit, Scham, Verletztheit, Angst oder eben Überforderung nicht eingestehen. Der Druck wird durch diese Gefühlsdefizite zum Dauerzustand“, erklärt Rettig. Uni Bielefeld will Erfolg des Projektes prüfen Mit der neuen Trainingsgruppe &bdquo;Überforderte Väter“, die in Kürze beginnt (20 zweistündigen Gruppensitzungen für acht bis zehn Teilnehmer), wollen die Männerberater bei der Gewaltsozialisation der Täterväter und bei ihrem Männlichkeitsbild ansetzen. Gerade die Kombination der Schwerpunkte &bdquo;Gewalt, Männlichkeit, Erziehung“ gebe es bisher bei keinem der Angebote, sagt Rettig. Trotzdem wäre das Pilotprojekt, das nach fünf Monaten von der Uni evaluiert werden soll, ohne Spende der Bürgerstiftung sowie ohne Eigenbeitrag der Teilnehmer nicht zu realisieren gewesen. Auch interessant: &bdquo;Erschreckend“: Immer mehr Fälle von Kindesgefährdung in Bielefeld Dabei weiß Rettig aus Erfahrung mit anderen Täter-Gruppen, dass sich die Teilnehmer untereinander sehr helfen werden. Es beginne mit der Erkenntnis: &bdquo;Ich bin nicht allein mit meinem Problem.“ Eine weitere Tür könne dann die Erkenntnis sein: &bdquo;Auch ich darf überfordert sein“. Noch wichtiger schätze der Trainingsleiter aber das Korrektiv der Gruppe ein: &bdquo;Es wiegt deutlich mehr, wenn ein Vater aus der Gruppe mein Verhalten kritisiert, als wenn das der außenstehende Berater macht.“ Die Rückmeldungen untereinander seien teilweise sehr scharf und eindeutig. Das habe eine besondere Bedeutung, weil sich diese Männer auf Augenhöhe begegneten. Hinzu kämen Lerneffekte, weil jeder einzelne ja auch Erfolge mit einbringe. Für Markus sieht Helge Rettig zwei wichtige Ziele: Das eine ist die Tatrekonstruktion in der Gruppe, das andere ist das Verfassen eines Briefes an die betroffenen Kinder. &bdquo;Dabei geht es um die Frage: Kann ich mich entschuldigen? Oder versuche ich mich wieder, zu rechtfertigen?“, erklärt Rettig. Für keine Form der Gewalt gebe es einen Rechtfertigungsgrund, betont der Täter-Experte. &bdquo;Gewalt ist immer inakzeptabel.“ &bdquo;Ohne Entschuldigung beim Kind gibt es keinen Fortschritt“ Für die Teilnehmer heißt das: &bdquo;In der Gruppe wird gearbeitet – wertschätzend –, aber trotzdem wird es auch hart und konfrontativ. Und es gibt Hausaufgaben.“ Eine Entschuldigung bei seinem Sohn sei für das Fortbestehen der Vater-Kind-Beziehung von Markus enorm wichtig. &bdquo;Sonst gibt es keinen Fortschritt.“ Rettigs Ziel sei es am Ende, dass alle Teilnehmer etwas mitnehmen. Im Idealfall seien es Strategien, um weitere Gewalt zu vermeiden. In manchen Fällen sei es aber auch schon ein Erfolg, wenn es weniger Gewalt und vor allem weniger heftige Gewalt gebe. Und für wieder andere wird es anschließend weitere Hilfen geben müssen. Das neue Trainingsprogramm &bdquo;Überforderte Väter“ beginnt am 1. Oktober 2025. Die Gruppe ist bereits voll. Weitere Interessenten stehen derzeit in der Warteliste. Ob es ein zweites Programm geben wird, ist noch unklar. Infos im Internet unter &bdquo;man-o-mann“ Männerberatung Bielefeld.

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