Ermittlungspanne: Richter kritisiert Dolmetscherin als „Helferin“ der Bielefelder Kripo

Bielefeld/Paderborn. Wenn Kripo-Ermittler Beschuldigte befragen, gehen sie oft taktisch vor. Auch Reaktionen der Mimik und Gestik der Tatverdächtigen auf Fragen, Vorwürfe und Aussagen sind für die Ermittler oft von Bedeutung. Sprechen die Tatverdächtigen allerdings kein Deutsch, wird dies schwieriger. Denn in solchen Fällen sind Dolmetscher (Übersetzer) nötig. Ein solcher Fall hat jetzt in einem Gerichtsverfahren ernste Irritationen ausgelöst, weil eine erfahrene Übersetzerin quasi die Arbeit der Kripo übernommen haben soll. Dabei sind Übersetzer zur Neutralität verpflichtet. In der 5. Großen Jugendkammer des Landgerichts Paderborn ging es Anfang Juli um ein vermeintlich schwerwiegendes Sexualdelikt aus dem Jahre 2022. Der damals 19-jährige Zehim I. (Name geändert) aus Paderborn soll mit zwei 13-jährigen Mädchen Sex gehabt haben. Der afghanische Bäcker-Azubi landete nach Bekanntwerden der Vorwürfe in Untersuchungshaft. Erst im Gerichtsverfahren drei Jahre später wurde nun deutlich, dass die Mädchen ihre Sexualpartner offensichtlich über ihr Alter im Unklaren gelassen hatten. Ein eigens in Auftrag gegebenes Glaubwürdigkeitsgutachten lässt zudem ernste Zweifel an den Aussagen der Hauptbelastungszeugin aufkommen, die vor Gericht daraufhin von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machte. Zeugen können vor Gericht dann die Aussage verweigern, wenn sie sich selbst belasten könnten. Richterin spricht von &bdquo;unglücklichem Vorgehen“ der Bielefelder Kripo Die Vorsitzende Richterin der Kammer fand im Anschluss an die Beweisaufnahme kritische Worte für die Arbeit der ermittelnden Bielefelder Polizeibeamten. &bdquo;Es ist die Frage, ob man Aussageunwilligkeit durch stundenlanges Nachfragen beseitigen kann“, sagte die Vorsitzende Richterin Nicole Klein. &bdquo;Das war ein unglückliches Vorgehen.“ Zehim I. wurde nach drei Jahren, in denen er unter Tatverdacht stand, auch auf Antrag der Staatsanwaltschaft von allen Anklagevorwürfen freigesprochen. Zum Thema: Sex mit Minderjährigen? Paderborner jahrelang unschuldig unter Verdacht Mit ihrer Kritik an der Ermittlungsarbeit der Bielefelder Kripo ist die Richterin nicht allein. Detlev Stoffels, Strafverteidiger von I., kritisiert einerseits die fragwürdigen Zeugenvernehmungen (&bdquo;sehr junge Mädchen sind von alten weißen Männern befragt worden“) und andererseits den Einsatz einer erfahrenen Dolmetscherin, die auf eigene Faust den Beschuldigten erneut befragt haben soll, obwohl er bereits die Aussage verweigert hatte. Dolmetscherin bietet erneute Befragung &bdquo;von Mutter zu Sohn“ an Sie soll versucht haben, den jungen Mann davon zu überzeugen, doch eine Aussage zu machen und ein Geständnis abzulegen. &bdquo;Lass mich doch mal mit ihm reden“, soll sie gesagt haben. Sein Mandant verstehe ganz gut Deutsch, so sein Rechtsanwalt, und daher habe er mitbekommen, dass die Dolmetscherin selbst Mutter sei und ihn deshalb &bdquo;von einer Mutter zu einem Sohn“ habe ins Gewissen reden wollen. Dieses Vier-Augen-Gespräch landete anschließend in der Ermittlungsakte, weil die Dolmetscherin anschließend als Zeugin dazu befragt wurde. &bdquo;Dabei hatte die Übersetzerin die Frage gestellt, ob mein Mandant wisse, dass das Mädchen 13 Jahre alt ist.“ Da er dieses Detail aus dem gerade verkündeten Haftbefehl gewusst habe, habe er diese Frage bejaht. Später wurde aber zu Protokoll genommen, dass er das Alter des Mädchens vorher schon kannte. Richter des Landgerichts zeigen sich entsetzt Von der 5. Großen Strafkammer dazu befragt, beteuerte die Übersetzerin, dass dieses Vorgehen &bdquo;gang und gäbe“ sei, wenn ausländische Beschuldigte es vorzögen, zu schweigen. &bdquo;So etwas darf nicht passieren“, sagt Detlev Stoffels, &bdquo;Dolmetscher sind zur Neutralität verpflichtet und deshalb reine Sprachmittler.“ Auch die Kammer zeigte sich entsetzt: Ein solches Vorgehen der Ermittler sei nicht zur Überführung eines Beschuldigten geeignet. Auch interessant: Messertat vor Bielefelder Disko &bdquo;Prime“: Der notoperierte Jugendliche ist außer Lebensgefahr Die Polizei Bielefeld gibt zu dem konkreten Vorfall keine Stellungnahme ab. Das Verfahren sei noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Sprecherin Hella Christoph sagt aber allgemein: &bdquo;Vereidigte Dolmetscher oder Polizeiangehörige mit entsprechender Sprachkompetenz werden immer häufiger und regelmäßig neben ihrer originären Aufgabe – dem Übersetzen von Vernehmungen oder Wortprotokollen – zur Unterstützung der täglichen polizeilichen Arbeit zum Überwinden von Sprachhindernissen eingesetzt.“ Sie begleiteten die Ermittler oft schon bei Einsätzen (Wohnungsdurchsuchungen oder Gefährderansprachen) und stünden als Übersetzer bei Telefonaten parat. &bdquo;Nicht unüblich“, dass Beschuldigte den Übersetzern mehr mitteilen Die Polizeisprecherin widerspricht dabei der Annahme des Strafverteidigers, dass Dolmetscher nur reine Übersetzer sein dürften: &bdquo;Neben dem übersetzten Wortprotokoll, welches genauestens die gestellte Frage und die erhaltene Antwort wiedergibt, ist es nicht unüblich, dass Menschen anderer Herkunft Übersetzern – insbesondere, wenn diese aus dem gleichen Kulturkreis stammen – zugeneigt sind und gegenüber diesen ungefragt oder außerhalb der Vernehmungssituation persönliche Anliegen, aber auch verfahrensrelevante Inhalte mitteilen.“ Dieses könne dazu führen, dass auch Dolmetscher zu Zeugen im Strafverfahren werden und vor Gericht aussagen müssten. Lesen Sie auch: Neue Details zu den Schüssen am Landgericht: Die letzten drei Patronen blieben stecken Dass es &bdquo;gang und gäbe“ sein soll, dass Dolmetscher aufgrund ihrer kulturellen Nähe Aufgaben der Ermittler übernehmen, findet der Strafverteidiger Stoffels sehr bedenklich: &bdquo;Wer weiß, wie viele falsche Urteile dadurch bereits existieren?“ Ermittlungskommission soll &bdquo;Schneise der Verwüstung“ hinterlassen haben Ihm zufolge habe es 2022 eine ganze Reihe von Vorwürfen gegen junge Migranten gegeben, die Sex mit einer der beiden im Verfahren beteiligten 13-jährigen Mädchen gehabt haben sollen. Die Anzeigen des Mädchens sollen dabei gleichlautend gewesen sein. Die Kripo, die bei Kindesmissbrauchsverdacht OWL-weit für die Ermittlungen zuständig ist, richtete Stoffels zufolge damals eine Ermittlungskommission (&bdquo;EK Wall“) ein, und die habe mit ihrer Arbeit eine &bdquo;Schneise der Verwüstung“ hinterlassen, rügt der Verteidiger. Gleich mehrere junge Männer seien in dem Ermittlungskomplex in den Fokus der Ermittler geraten. Seines Wissens habe sich keiner der Vorwürfe bestätigen lassen. Eine Anklage aus dem Komplex sei vom Gericht gar nicht erst zugelassen worden.

Meistgelesen