Scheidender Bielefelder Dezernent Udo Witthaus zieht nach 15 Amtsjahren Bilanz

Herr Dr. Witthaus, eigentlich hätte Ihr Eintritt in den Ruhestand bereits 2024 erfolgen sollen. Der Rat der Stadt stimmte Ihrer Bitte um ein Jahr Verlängerung Ihrer Amtszeit zu. Welches waren denn die &bdquo;langfristigen Projekte“, die Sie noch vorantreiben wollten? Ist die Weichenstellung gelungen? Udo Witthaus: Fertigstellen konnten wir die Digitalstrategie für die Berufskollegs, die Schulentwicklungsplanung (SEP) für die Förderschulen und den zweiten Kulturentwicklungsplan 2025 bis 2030. Für den Sport konnten wir die Entwicklungsplanung auf den Weg bringen und die neue Servicestelle der Ausländerbehörde konzipieren. Im Bereich Schule waren die großen Themen unter anderem die weiteren Schritte für den Seidenstickercampus oder auch die Ausschreibung der Systembauten für die Grundschulerweiterungen. Bei wichtigen Projekten, wie der seit Jahren zugesagten Erweiterung des Gymnasiums am Waldhof, gab es aktuell allerdings eher wieder einen Rückschritt, weil die Stadt ohne Kreishandwerkerschaft, Eigentümerin des Hauses des Handwerks, geplant hat? Ich sehe da keinen Rückschritt, der ISB ist in Verhandlungen. Im Gegenteil: Dank des kontinuierlichen Entgegenkommens der Schule konnte die Vierzügigkeit gesichert werden. Wir haben jetzt eine Lösung gefunden, die den aktuellen Anforderungen, wie Cluster statt Fluren, entspricht. Ich gehe davon aus, dass der Vertrag in Kürze beurkundet wird, der Denkmalschutz würde ja auch für andere Nutzungen einschränken. Schulessen aus Heidelberg, frustrierte, überforderte Gesamtschulen: OB-Kandidat Ingo Nürnberger (SPD) und Schulleiter machen die Verwaltung und Sie als Dezernatsleiter verantwortlich für aktuelle Miseren. Ist die harsche Kritik gerechtfertigt? Nein, die Kritik und die Aufregung sind nicht gerechtfertigt. Vielmehr wird für die Gesamtschule Quelle das bewährte Konzept der Frischeküche übernommen. Dass das Schulessen für einige Schulen aus Heidelberg kommt, ist dem Vergabesystem und der damit verbundenen europaweiten Ausschreibung geschuldet. Schon zu Beginn Ihrer Amtszeit gab es viel Wirbel, nicht nur um die Besetzung Ihrer Stelle. Sie wollten drei kleine Grundschulen schließen, ein Bürgerbegehren verhinderte das. Auch mit ihnen fehlt heute vielerorts Platz, Bauten kommen viel zu spät. Ein Glück also? Das kann man sagen. Hintergrund war aber damals, dass laut Schulgesetz Schulen unter einer Mindestgröße zu schließen waren. Zentrales Argument war seinerzeit das geringe Ausmaß an Differenzierungsmöglichkeiten. Sechs Bielefelder Grundschulen lagen unter der Mindestgröße: Das hat auch die Schulaufsicht sehr deutlich gemacht. Das Bürgerbegehren hatte dann zwei Folgen: Es gab hier in Bielefeld zehn Abende mit großen Grundschulforen, in denen viele Akteure aus unterschiedlichen Perspektiven die Bildungssituation ausleuchteten. In NRW wurde das Schulgesetz geändert zugunsten des Bestands der kleineren Schulen. Im Nachhinein ist es okay so, wie es jetzt ist. In Ihre Zuständigkeit fiel auch die immer wieder scharf kritisierte Kommunale Ausländerbehörde, ein Bereich mit vielfältigen, auch kontrovers diskutierten, stark im Fokus der Öffentlichkeit stehenden Aufgaben. Wie sehen Sie die Behörde? Die Thematik ist kompliziert, die Bedingungen sehr komplex, auch anderswo. Die Kolleginnen und Kollegen leisten angesichts dieser Rahmenbedingungen hervorragende Arbeit unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben, und das ist gut so. Personell wurde der Bereich aufgestockt. Im Sommer 2022 haben wir ein Terminvergabesystem eingeführt, das verlässlich funktioniert. Für 2028 ist für die rund 66.000 ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die bereits länger in Bielefeld leben, eine neue Servicestelle am Niederwall, in den Räumen von Stadtwache und ehemaliger Tourist-Info geplant, analog zur Bürgerberatung. Dann wird sich auch die räumliche Situation angemessen verbessern. Im Frühjahr 2023 wurde das Ende des Kunstforums Hermann Stenner nach nur fünf Jahren für 2025 verkündet. Allerdings ohne die damalige Direktorin Christiane Heuwinkel mit ins Boot zu holen, die davon nur über die Medien erfuhr. Warum ist es der Stadt nicht gelungen, den Ort für lokale Kunst zu erhalten? Ich kann nur noch mal betonen: Frau Heuwinkel war Mitarbeiterin der Goldbeck-Stiftung, die diese Entscheidung getroffen hat. Als Stadt erhielten wir das gute Angebot, das Forum als Interim für die Kunsthalle vor und während der Sanierungszeit zu nutzen. Über die Nutzung in der Zeit danach wird zusammen mit der Stiftung zu beraten sein. Welche Bedeutung hat für Sie die etablierte, institutionelle (Hoch-)Kultur wie Theater, VHS, Museen, Musik- und Kunstschule, welche das bunte Potpourri der freien Szene? Müsste Kultur generell, besonders die oft prekär ausgestatteten freien Akteure, besser und verbindlicher gefördert werden? Dank der Kulturentwicklungspläne sind wir extrem gut im Dialog, gerade auch mit der freien Szene. Ich bin sehr froh, dass die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen mit den Akteuren der Freien Szene trotz angespannter Haushaltslage verlängert werden. Das gibt allen Akteuren und auch der Stadt Planungssicherheit. Über die Jahre gab es eine gute, stabile Entwicklung, keinen Rückbau, sondern auch Erweiterungen und Sanierungen, wie bei der Musik- und Kunstschule oder den Stadtteil-Bibliotheken. Und die Zuordnung der Rudolf-Oetker-Halle zum Theater hat sich sehr positiv ausgewirkt, auf das entwickelte Programm, die Besucherzahlen, aber auch die Gastronomie innen und außen. Ihr Job sei &bdquo;eine zentrale Gestaltungsaufgabe für die Entwicklung einer Stadtgesellschaft“, sagten Sie zu Beginn Ihrer Amtszeit. Was ist – knapp zusammengefasst – die Bilanz Ihrer Arbeit? Welche Zukunftsideen und -pläne hinterlassen Sie Ihrer Nachfolgerin Birgit Beckermann? Mit wissenschaftlichem Ansatz habe ich gefragt, was wir vorfinden in Bielefeld. Mit den Lernreports haben wir ganz genau auf die Stadt und kleinteilig die Quartiere geguckt. Die sind sehr unterschiedlich, beispielsweise was die Herkunft und Chancen der Kinder angeht. Während und nach Corona konnten wir die Digitalisierung der Schulen vorbildlich voranbringen, können, ringen aktuell mit Bund und Land weiter um die Folgefinanzierung, wie für Ersatzgeräte. Es gibt jetzt eine Schulentwicklungsplanung für alle Schulformen, die weit über die reinen Zahlen hinausgeht und auch qualitative Ziele im Blick hat. Der Kulturentwicklungsplan ist beschlossen, der Entwicklungsplan für den Sport auf den Weg gebracht. Insgesamt sind das gute Grundlagen für komplexe Systeme. Als Leiter des Dezernats 2 waren Sie seit 2010 zuständig für Bürger, Schule, Sport und Kultur. Welche Abschlussschulnoten geben Sie sich für die einzelnen Bereiche? Ich gebe keine Noten. Mit 17 verschiedenen Ämtern kann ich sagen, dass ich gut umschalten und mich verschiedenen Themen zuwenden kann. Wir haben eine Kultur der offenen Türen geschaffen, das ist ein großer Schatz. Die Amtsleiterinnen und Amtsleiter machen hervorragende professionelle Arbeit, sie verdienen ein großes Maß an Respekt. Man darf nicht vergessen, dass sie dies auch geleistet haben während der zwei großen Flüchtlingsbewegungen und der Coronakrise. Was bleibt Ihnen besonders in Erinnerung? Am 1. Juli 2015 habe ich den ersten Krisenfall in der Stadtgeschichte ausgerufen. Damals waren 300 Flüchtlinge mit Bussen angekündigt, gleichzeitig zog eine riesige Unwetterfront auf. Eine Unterbringung in Zelten war undenkbar. Wir haben innerhalb von wenigen Stunden Sporthallen an den Carl-Severing-Schulen für die Aufnahme hergerichtet. Die schönste, weil überraschendste und großartigste Erinnerung ist die an Olga Tokarczuk. Wir hatten die polnische Autorin zur Lesung in die Stadtbibliothek eingeladen. Während ihrer Anreise aus Potsdam wurde bekannt, dass sie den Literaturnobelpreis bekommt. Ein Riesenaufgebot an Medienvertretern, auch international, kam zur Stadtbibliothek, die Lesung war in Minuten ausverkauft. Ein unvergesslicher Abend, der in sehr kleiner Runde an der Bar des Legère-Hotels endete. Haben Sie Pläne für Ihre neue Lebensphase? Literatur, Theater und Wissenschaft werden dazugehören. Mehr will ich noch nicht verraten. Und erst einmal wirklich runterkommen. Lesen, Reisen, mein Polnisch verbessern und Golf spielen lernen: Langweilig wird mir auf jeden Fall nicht.

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