Bielefelder Fliegenrettung schafft es auf die große Leinwand

Bielefeld. Ein Sommertag im August 2012: Immer mehr Besucher strömen in das Feuerwehrgerätehaus an der Deppendorfer Straße. Am Ende sind es rund 300 Männer, Frauen und Kinder, die gespannt auf Frank und Patrik Riklin warten. Die Schweizer Aktionskünstler rollen ein großes, verhülltes Paket in den Raum. Unter dem Tuch verbirgt sich ein Fliegenhaus. Start für die Aktion &bdquo;Fliegen retten in Deppendorf“, die in der Folgezeit für viel Aufmerksamkeit – nicht nur in Bielefeld – sorgt. Marcelo Busse und Julia Suermondt haben aus dem vorhandenen Material einen Dokumentarfilm gedreht, der im Juni im Programmkino Kamera zu sehen ist. &bdquo;Was ist der Wert einer Fliege?“ Diese Frage stellte sich Hans-Dietrich Reckhaus. Sein Bielefelder Unternehmen ist seit mehr als 60 Jahren auf Insektenbekämpfungsmittel spezialisiert. In St. Gallen traf er die Zwillinge Riklin – und wollte sie für eine Imagekampagne einspannen, für eine von ihm entwickelte Fliegenfalle. Sie lehnten ab, weil sie aus ethischen Gründen keine Produkte unterstützen wollten, die töten, drehten den Spieß um und schlugen vor, lieber Fliegen zu retten. Reckhaus schwenkte um. Er wurde vom Insektenvernichter zum Insektenretter. Um das passende Dorf für die Aktion zu finden, hat das Trio mehrere Orte besucht. &bdquo;Es sollte eine ländliche Struktur haben und vor allem ganz engagierte Bürger“, sagte er damals. Bielefelderin hat das Projekt sofort gefallen Irgendwann klingelten die Künstler bei Gundula Diering, weil sie erfahren hatten, dass sie in einem Initiativkreis mitwirkt, der sich 2005 gegründet hatte, um Perspektiven für den Ort zu entwickeln. Das Gespräch dauerte mehrere Stunden. &bdquo;Es ist einmalig und um die Ecke gedacht – das hat mir sofort gefallen“, erzählte Diering. Den Brüdern war anschließend klar, dass sie sich kein weiteres Dorf mehr ansehen müssen. Lesen Sie auch: Vom Insektenvernichter zum Insektenretter Es folgten viele Treffen mit engagierten Bewohnern, die fanden, dass die Aktion perfekt zu Deppendorf passt. Am 1. September waren schließlich alle Deppendorfer, Schröttinghausen und Niederdornberger aufgerufen, Fliegen zu fangen und in das Fliegenhaus zu tragen. Verbunden wurde die Aktion mit einem Dorffest und einem Wettbewerb. Zu gewinnen gab es einen Flug nach Bayern, wo die Gewinner in einer 5-Sterne-Wellness-Oase residieren durften – mit einer der geretteten Fliegen. Bei der Kunstaktion haben rund 800 Einwohner am Ende 902 Fliegen gerettet. Gemeinsam mit Andrea Meier und Stubenfliege Erika startete der Gewinner Ulrich Höhne am nächsten Tag mit dem Hubschrauber Richtung Paderborn. Von dort aus sollte es mit dem Flugzeug weitergehen. Das war nicht so einfach, denn es war nicht sicher, ob es eine Boarding-Card für Fliege Erika geben würde. Diese konnte dann jedoch ordnungsgemäß einchecken. Ein ganz besonderes Insekt Spannend sei die Reaktion der Flugpassagiere gewesen, die geglaubt hätten, dass sich in dem Käfig ein ganz besonderes Insekt verberge. Sogar der Kapitän und die Stewardessen seien aus ihren Kabinen gekommen und hätten mit dem Kopf geschüttelt, erzählte das Paar nach seiner Rückkehr. Am Ende schwärmten alle Beteiligten, dass eine &bdquo;tolle Dorfgemeinschaft“ entstanden sei. Auch die Initiatoren bekräftigten mehrfach, dass sie &bdquo;überwältigt“ gewesen seien. Sie hatten alles minutiös geplant und jeden Schritt der Aktion mit der Kamera dokumentiert, eigentlich, um selber einen Film zu machen. Daraus wurde nichts – und das Material lag über zehn Jahre brach. Auch interessant: Warum ein Insekten-Vernichter für Insektenschutz ausgezeichnet wird Die Filmemacher Marcelo Busse und Julia Suermondt waren verwundert und fasziniert von den Aufnahmen. Ihre Idee war, statt einer Eigendarstellung, die Geschichte in ihrer ganzen Ambivalenz, Absurdität, aber auch Menschlichkeit darzustellen, ohne zu bewerten oder Partei zu ergreifen. Bielefelder rettet, statt zu töten Die Aktion inspirierte Hans-Dietrich Reckhaus, der inzwischen mehrere Bücher verfasst und Preise gewonnen hat, zu einem bis heute währenden Unternehmenswandel und zur Gegenbewegung &bdquo;Retten statt Töten“. Die Fliege Erika steht präpariert in der Firmenzentrale in Sennestadt. Mit dem Gütesiegel &bdquo;Insect Respect“ wirbt er für jene Tiere, die er mit seinen Produkten tötet. Dafür schafft er deutschlandweit Kompensationsflächen in Form von Dachbegrünungen. Der 86-minütige Film &bdquo;Der Unternehmer, das Dorf und die Künstler. Chronik eines modernen Abenteuers“ ist am Freitag, 13. Juni, um 19.30 Uhr in der Kamera (Feilenstraße 4) zu sehen in Kooperation mit dem Filmhaus Bielefeld. Eine weitere Vorstellung findet am Dienstag, 17. Juni, um 17.30 Uhr in der Kamera statt.

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