Fragliche Barrierefreiheit in Bielefelder Schulen: Massive Probleme für Rollstuhl-Kinder

Bielefeld. Um die Barrierefreiheit in Bielefelder Schulen ist es nicht gut bestellt: So beschied die Verwaltung jetzt auf Anfrage von Joscha Conze (parteilos) im Senner Bezirksparlament, dass der Weg zur kompletten Zugänglichkeit auch für Menschen mit Einschränkungen zumindest in Altgebäuden noch lang ist; nur Neubauten seien grundsätzlich barrierefrei. Dabei ist die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung, Ziel der UN-Behindertenkonvention von 2008 und seit 2009 in Deutschland geltendes Recht, ohne Barrierefreiheit kaum möglich. Doch wirklich konsequent wird die Konvention eigentlich nur in einem Bereich des öffentlichen Lebens umgesetzt – im Nahverkehr. Und auch das mit deutlicher Verzögerung. Busse, U- und Straßenbahnen sollten laut Personenbeförderungsgesetz eigentlich schon seit Anfang Januar 2022 komplett barrierefrei sein. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Seit Jahren wird zwar überall aufwendig nachgebessert, doch das kostet viel Zeit und Geld. In Bielefeld etwa wird die Brackweder Hauptstraße, die dort verlaufenden Gleise und Haltestellen der Stadtbahn bereits seit dem Frühjahr 2023 saniert, um die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen. Im Sommer soll endlich alles fertig sein. Wie es in Senner Schulen aussieht Auch in anderen Bereichen wird nachgerüstet. Immer mehr öffentliche Gebäude, Unternehmen, Praxen oder Geschäfte sind inzwischen über Rampen zugänglich. Fehlen diese, kann das mitunter sogar zur Geschäftsaufgabe führen: Bei der Schwanen-Apotheke in Senne etwa scheiterte die Weiterführung auch daran, dass sie nur über zwei kleine Stufen betreten werden konnte und eine Rampe, die bei einem Wechsel gesetzlich vorgeschrieben ist, dort schon aus Platzgründen kaum zu realisieren war. Und die Schulen? In Senne ist die Bahnhof-Grundschule zumindest teilweise barrierefrei, gab die Stadtverwaltung auf Conzes Anfrage Auskunft. Neubau und separate Mensa haben stufenlose Eingänge, Ersterer ist zudem über einen Aufzug erschlossen. Im Altgebäude kann der erste Stock über einen Treppenlift erreicht werden. Ins Erd- sowie ins Dachgeschoss allerdings, wo sich Musik-, Differenzierungs- und OGS-Räume befinden, kämen Rollstuhlfahrer nicht, räumt die Verwaltung ein. Ähnlich sieht es in den anderen Senner Grundschulen aus: Barrierefreiheit im Altbau nein, im Neubau ja. Barrierefreiheit in bestehenden Gebäuden herzustellen, sei in den nächsten fünf Jahren auch nicht geplant. In der einzigen weiterführenden Schule im Stadtbezirk, der Realschule Senne, ist dagegen dank eines Aufzugs für Rollifahrer alles gut erreichbar. &bdquo;Lediglich hinsichtlich der Sporthalle ist die Situation etwas problematisch“, so die Verwaltung. Zwar sei diese über einen Seiteneingang ohne Stufen zu betreten. &bdquo;Die Umkleiden und Toiletten- bzw. Waschräume befinden sich allerdings nicht ebenerdig“ – und seien für Menschen mit Gehbehinderung oder Rollstuhl nicht zugänglich. Auch interessant: Diese Bielefelder Schule ist so marode, dass Kinder nach Hause müssen Die Situation in Senne ist stadtweit übertragbar. Grundsätzlich barrierefrei sind nur Neubauten oder ältere Gebäude nach einer &bdquo;umfangreichen Generalsanierung“ - wenn das denn baulich möglich ist. Schwierig werde es, wenn etwa die neue barrierefreie WC-Anlage deutlich mehr Platz benötige oder der Einbau von Aufzügen statische Probleme bedeute, so die Stadt. Barrierefreiheit an städtischen Schulen &bdquo;nicht zwingend notwendig“ Zwar müssten städtische Inklusionsschulen das gemeinsame Lernen ermöglichen, sagt die Verwaltung weite. Eine durchgehende Barrierefreiheit aber sei für die Förderbereiche, für die die Stadt als Schulträger zuständig sei (Lernen, Sprache, emotionale, soziale und geistige Entwicklung) &bdquo;nicht zwingend notwendig“. Nötig sei nur eine ausreichende Anzahl von Differenzierungsräumen, bei Sonderklassen mit Inklusionsschwerpunkten auch eine spezielle Beleuchtung oder Akustik. Entsprechend könnten etwa Kinder im Rollstuhl nicht an allen städtischen Schulen aufgenommen werden. Lesen Sie auch: Barrierefreie Toiletten für Bielefeld gefordert Eigentlich gelte die Inklusionsverpflichtung und damit die Barrierefreiheit auch für die Kommunen, sagt Stephan Wieners vom Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben im Regierungsbezirk Detmold, das im Auftrag des Landes NRW das selbstbestimmte Leben von Menschen mit Behinderungen voranbringen soll. &bdquo;Den Auftrag zum Gemeinsamen Lernen gibt es ja. Aber dann muss man auch dafür sorgen, dass das möglich ist.“ Stattdessen habe man in NRW mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) einen zweiten Schulträger mit eigenen Förderbereichen. &bdquo;Das ist echt verkorkst.“ In Bielefeld baut der LWL ein neues (komplett barrierefreies) Förderschulzentrum als Ersatz für die Albatros- und Opticus-Schule, die nach der Inbetriebnahme 2028 abgerissen werden. Doch Gemeinsames Lernen sei auch hier nicht vorgesehen, sagt Wieners. Stattdessen werde das bestehende System - Kinder mit Behinderung an Förder- und ohne an Regelschulen - weiter manifestiert. Betroffene Eltern, die ihr Kind eigentlich lieber auf eine Regelschule schicken würden (&bdquo;die gibt es ja durchaus“), gäben angesichts fehlender technischer und personeller Ausstattung frustriert auf: &bdquo;Dann eben doch die Förderschule.“ Bislang tue sich wenig, lautet Wieners nüchternes Fazit. &bdquo;Um da voranzukommen, bräuchte es ganz engagierte Leute, die das System wirklich ändern wollen. Da müssen ganz dicke Bretter gebohrt werden.“

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