Bielefelderin besucht den „rechten Rand“: Warum Menschen die AfD wählen

Bielefeld. Sie hatte ihn als einen netten Zeitgenossen kennengelernt. Der 50-jährige Frank wirkte auf Sally Lisa Starken vielleicht etwas verschroben, letztlich aber wie ein freundlicher Mensch, der Touristen Tipps fürs Sightseeing gab und seine indischen Nachbarn zum Essen einlud. Gleichzeitig machte Frank aus Erfurt aber keinen Hehl daraus, die AfD zu wählen. Mehr noch: &bdquo;Er erzählte mir derart viele Verschwörungsmythen, so viele habe ich noch nie zuvor in so kurzer Zeit aus einem einzelnen Mund gehört“, sagt Starken. Die Reaktion der meisten Menschen wäre jetzt gewesen, sich umzudrehen und einen Haken an Frank zu machen. &bdquo;Für mich war das eher ein Schlüsselerlebnis“, so Starken. &bdquo;Ich fragte mich: Wie können wir solche Menschen wie Frank noch erreichen?“ Diese Frage ist der Kern ihres neuen Buches &bdquo;Zu Besuch am rechten Rand: Warum Menschen die AfD wählen“, das die Bielefelder Autorin, Podcasterin und Journalistin jetzt im voll besetzten Saal des Pioneers Theatre am Klosterplatz vorgestellt hat. Ihr Ziel für ihr Buch sei es gewesen, nicht über, sondern mit den Menschen zu sprechen. &bdquo;Ich habe auch schon vor der Idee zu dem Projekt mit vielen Menschen gesprochen. Das passiert immer, wenn die Leute erfahren, was ich mache“, sagt Starken, die unter anderem mit dem Podcast &bdquo;Die Informantin“ regelmäßig das politische Geschehen in Deutschland und der Welt analysiert und erläutert. Dabei komme sie aber nur selten mit Leuten ins Gespräch, die sich bei den Wahlen und auch in ihrem alltäglichen Leben für die in Teilen gesichert rechtsextreme AfD entschieden haben. Lesen Sie auch: AfD-Hochburgen in OWL: Diese drei Kommunen stechen hervor Auf komplexe Fragen gibt es keine einfachen Antworten Sie reiste also dort hin, wo die Wähler der AfD sind, etwa im Vorfeld der Landtagswahl nach Thüringen, zu einem Familienfest mit Björn Höcke, zu einer AfD-Wahlkundgebung an der deutsch-polnischen Grenze oder aber auch auf den Marktplatz einer verschlafenen hessischen Kleinstadt. Dabei traf sie ganz unterschiedliche Menschen, etwa Lea, eine 30-jährige Mutter aus Görlitz, Cem, der trotz türkischer Wurzeln die AfD unterstützen will, oder eben Frank, der sich sein altes Leben in der DDR zurückwünscht und sich durch unzählige Verschwörungstheorien inzwischen in einer ganz anderen Realität befindet. In den Gesprächen sucht Starken nach Antworten auf komplexe Fragen, die unsere Demokratie betreffen. Und im Gegensatz zu den Populisten, die für alles einfache Lösungen parat haben, stieß sie auf ihrem Besuch am rechten Rand eben nicht auf einen leichten und kurzen Königsweg. Es ist eher die lange Strecke, die auch mühsam sein kann. &bdquo;Der Schlüssel ist, dass wir wieder miteinander sprechen müssen“, sagt Starken. Denn statt sich umzudrehen und Menschen aufzugeben, sei es viel notwendiger, das Gespräch zu suchen und die allgemeine Diskussionskultur neu zu beleben – mit Empathie und gegenseitiger Wertschätzung. Denn nur so erfahre man, was in den Menschen vorgehe, wie und warum sie sich in den selektiven oder verdrehten Wahrheiten der AfD verfangen oder warum sie das Vertrauen in die demokratischen Parteien verloren hätten. &bdquo;Sie haben das Gefühl, nicht gesehen und von der Politik vertreten zu werden“, sagt die Autorin. Genau davor hatte der Bielefelder Rechtsextremismus-Forscher Wilhelm Heitmeyer – einer der Experten, die in dem Buch einordnend zu Wort kommen – schon vor mehr als 20 Jahren gewarnt. Düstere Prognose von Bielefelder Rechtsextremismus-Forscher &bdquo;Er sagte damals, dass die dadurch entstehende Lücke von einer rechtsextremen Partei gefüllt werden würde.“ Und dies mache die AfD in den vergangenen Jahren immer erfolgreicher – bei Weitem nicht nur im Osten. &bdquo;Die meisten AfD-Wähler gibt es im Westen“, warnt Starken vor zu viel Selbstgefälligkeit und einem zu großen Sicherheitsgefühl in den alten Bundesländern. Lesen Sie auch: Ralph Ruthe und Sally Lisa Starken starten Spotify-Podcast Es sei an allen Demokraten, dieser Entwicklung entgegenzutreten und das offene Wort zu suchen. &bdquo;Unsere sozialen Beziehungen sind die größte Macht, die wir haben“, sagt Starken. Und obwohl ihr Besuch am rechten Rand oftmals erschreckend und ernüchternd war, sei sie positiver aus dem Buch heraus- als hereingegangen. &bdquo;Ich hatte das Gefühl: Es gibt immer einen Punkt, an dem man was machen kann“, sagt Starken. ? Sally Lisa Starkens Buch &bdquo;Zu Besuch am rechten Rand – Warum Menschen AfD wählen“ hat 288 Seiten und ist im Heyne Verlag erschienen.

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