Menschen im Wettlauf mit dem Glück

Bielefeld. Das Streben nach Glück – in der schnelllebigen modernen Gesellschaft scheint es zur Lebensaufgabe des Individuums zu geraten. Überall wird uns das Ideal vorgeführt – in der Werbung und im Privaten, mit weit verbreiteten Vorstellungen vom vermeintlich &bdquo;gelungenen“ Leben. Und – dort radikal zugespitzt – auch in den Weiten des Internets und der Sozialen Medien. &bdquo;Fortuna“, Göttin des Glücks und des Schicksals, wurde zur Titelgeberin des neuen Tanzstücks von Felix Landerer, Chefchoreograph von Tanz Bielefeld, und Giuseppe Spota. Die Produktion verblüfft mit einer üppigen Ensemblestärke: 29 Tänzerinnen und Tänzer versammelten sich in der Premiere am Freitag auf der als Sporthalle eingerichteten Bühne im Theaterhaus. Eine stattliche Truppe in Trainingsanzügen und Trikots, die der Kooperation mit dem Choreographen Spota (Leiter der MiR Dance Company, Gelsenkirchen) geschuldet ist. Es sind allerdings nicht &bdquo;seine“ Tänzer, die gemeinsam mit dem Ensemble von Tanz Bielefeld eine bewegte und bewegende Choreographie umsetzen, sondern jene von Bern Ballett. Beide Ensembles hatten zunächst unabhängig voneinander die Ideen der kooperierenden Tanzchefs einstudiert, später erst erfolgte die anspruchsvolle Verquickung der Einzelteile zu einem stimmigen Ganzen. Unser Streben nach ?Erfolg wird mit Glück gleichgesetzt Das Glück – es ist flüchtig und unberechenbar, manchmal kulminiert es auch nur im erleichterten &bdquo;Glück gehabt“. Es kann die Abwesenheit von Unglück und Schicksalsschlägen bedeuten. Ober aber ein Höhenflug dank glücklicher Fügungen sein: Folgt dem Dopaminrausch des Glücks oft nagendes Verlangen nach Konstanz, mündet das Streben nach Glück in einen endlosen Wettbewerb in der Leistungsgesellschaft – auch hier? Das versucht dieses Tanzstück zu ergründen und verwendet dafür wechselnde Zugriffe auf unterschiedliche Perspektiven. Landerer und Spota wählen den sportlichen Wettbewerb als Metapher und Kulisse, mit dem Kreis (Glücksrad der Fortuna) als wiederkehrendes Motiv. Mal sind es Hula-Hoop-Reifen, mit denen interagiert wird – sie werden zum grazilen Accessoire, zum Werkzeug des Einzelnen, im Gruppen-Standbild zum angedeuteten Olympia-Symbol. In großer Zahl werden sie zur überladenden Last einer einzelnen Tänzerin. An ihr drapiert, wirken sie wie ein eigenständiges Objekt. Wiederholt kreisförmiges Agieren der &bdquo;Athleten“ im Raum, Laufrunden, &bdquo;Kreistänze“, solistisches Abarbeiten sind Metaphern für das immerwährende Streben nach Erfolg, den wir allzu oft mit Glück gleichsetzen. Lesen Sie auch: Premiere am Theater Bielefeld: Tanzabend als wohlkalkulierte Enttäuschung Ein markantes Bild, sicher intensiv erarbeitet, ist eine Szene, die das wallende An- und Abschwellen der Körper zeigt. Sie werden von einer unsichtbaren Zentrifugalkraft angezogen, umrunden einen einzelnen Tänzer und wirken so wie ein neuartiger Organismus. Die stetig wechselnden Konstellationen des Ensembles – mal als große Gruppe, mal mit weniger Akteuren, als Duett oder als Solo ähneln den in schneller Folge wechselnden Bildern eines Kaleidoskops. Die Symmetrie der Körperanordnungen schafft spannende Bilder von großer Ästhetik, bevor sich diese wieder auflösen, um schließlich fließend in neue Ansichten überzugehen. Expressive Bilder? eines menschlichen Kaleidoskops Auch die Musik nimmt diese Motivik auf: Komponist Christof Littmann, der schon mehrfach mit Landerer zusammenarbeitete, hatte nach eigenen Angaben ein Glücksrad aus Holz und Metall gebaut. Das setzte er in Bewegung und baute die Geräusche in seine Komposition ein. Mal sphärisch klingend, mal druckvoll treibt diese die Aktionen auf der Bühne voran oder kommentiert sie. Um das Setting des Wettbewerbs zu unterstreichen, werden die Aufnahmen realer Sportmoderationen eingebaut. Immer wieder erstarren einzelne Szenen zu Gemälden, die die Betrachter auf sich wirken lassen können. Lesen Sie auch: Bielefelds neuer Tanzchef: &bdquo;Ich will Kunst schaffen, die Leute bewegt Insgesamt eine schlüssige Performance aller Gewerke – Choreographie, Komposition, Bühne (Till Kuhnert) und Kostüme (Irina Shaposhnikova). Ein beeindruckendes Gemeinschaftswerk unter besonderen Produktionsbedingungen an zwei Orten. Das Premierenpublikum honorierte dies mit langem, herzlichen Applaus. Weitere Vorstellungen werden allerdings nicht in der großen, sondern in der reinen Bielefelder Besetzung zu sehen sein. Nächste Termine am 7., 8., 13., 14., 16. Februar, Tickets bei der NW, Tel.: 0521 555-444.

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