Bei diesem Bielefelder Gastronomen gingen die Promis ein und aus

Bielefeld. Leidenschaft für die italienische Küche ist unter den Deutschen wohl allgegenwärtig. Gern kehren sie ein bei &bdquo;ihrem Italiener“ gleich um die Ecke. Für mediterrane Spezialitäten allerdings selbst am Herd zu stehen – dazu reicht die Liebe meist nicht. Doch es gibt Ausnahmen. Vom Kraftfahrzeug-Mechaniker zum Chef einer Pizzeria. Thorsten Cramer hat den Wechsel gewagt und erfolgreich geschafft. Ein Bielefelder vom Siggi, der Montag, 16. Dezember, 60 Jahre wird. Am Siegfriedplatz im Westen der Stadt begann dann auch seine Karriere als Gastronom. Zunächst mit einem deutschen Imbiss, wo es damals außer Pommes und Bratwurst auch Schaschlik und Frikadellen gab. &bdquo;Cramers Grilleck“ war drei Jahre lang eine Institution, bis ein italienischer Freund den Chef von der Idee eines gemeinsamen Restaurants mit Pizza und Pasta überzeugte. &bdquo;O Sole Mio“ heißt das Lokal, zunächst an der Kreuzberger Straße und nach Ablauf des Pachtvertrags später in Jöllenbeck. Im Ortsteil brummt der Laden von Anfang an. Zu den Stammgästen gehören auch damals prominente Künstler und Sportler. Hendrik Dreekmann ist einer von ihnen. Der Tennisspieler, damals auf Platz 39 der Weltrangliste, bleibt vielen in Erinnerung als &bdquo;Mann, der Boris Becker schlug“. Erkämpft hat er diesen Sieg 1998 beim Rasenturnier der Gerry-Weber-Open in Halle. &bdquo;Familie Dreekmann ging damals bei uns ein und aus“, erinnert sich Cramer. Lesen Sie auch: Als Hendrik Dreekmann Boris Becker in Rente schickte Gemeinsames Restaurant mit einem Tennis-Profi Der Sportler ist bald 30, das Ende der Karriere abzusehen. Die Zukunft? Warum nicht einen Traum verwirklichen, das Hobby zum Beruf machen und in die Gastronomie einsteigen? Dreekmann schlägt Cramer gemeinsame Sache vor. In Schröttinghausen steht gerade ein Lokal leer. Die Erfüllung des Traums ist greifbar nah. Der Tennisspieler wechselt vom Rasen zum Ristorante. &bdquo;Garibaldi“ heißt das Lokal mit gut 150 Plätzen. Kurz nach der Eröffnung 2000 verrät Dreekmann stolz im Interview mit einer überregionalen Tageszeitung, sein neues Hobby sei &bdquo;Tellerschleppen“. &bdquo;Die Hütte war der Wahnsinn“, erinnert sich Thorsten Cramer. Seine Kochkunst hat er inzwischen weiter verfeinern können, auch spricht er besser Italienisch. Vor allem während der Gerry-Weber-Open-Turniere ist das Lokal ständig ausgebucht. Tennisspieler kommen per VIP-Shuttle vorgefahren, andere Gäste buchen schon lange im Voraus, um die Stars blicknah erleben zu können. Aus der Gastro-Szene: Top 15: Das sind die beliebtesten Restaurants in Bielefeld Cramer führt das &bdquo;Garibaldi“ als Betriebsleiter, kümmert sich um den Einkauf, schreibt die Speisekarte, weist die Köche an und bedient die Gäste wenn möglich gern persönlich. &bdquo;Den Fisch habe ich meist selbst am Tisch filetiert.“ Herzinfarkt, Gerichtsstreit und Abschied aus Bielefeld Nach etwa zwei Jahren verändert sich etwas im Betrieb. Cramer, die Personalkosten stets im Blick, leitet Sparmaßnahmen ein. Sein Team schickt er schon früh in den Feierabend, die liegen gebliebene Arbeit erledigt er nun selbst. Tische abräumen, Theke reinigen, Gläser spülen – die Arbeit nimmt kein Ende. Bis ein Herzinfarkt den leidenschaftlichen Gastronomen niederwirft. Eine Rückkehr in die geliebte Branche scheint zunächst nicht möglich. Zusätzlich belastet wird das Aus von einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit Hendrik Dreekmann, deren Ausgang Cramer folgendermaßen kommentiert: &bdquo;Ich habe am Ende das bekommen, was ich wollte.“ Neu an der Sparrenburg: In Bielefeld eröffnet ein neues Restaurant mit besonderem Ausblick Zeit zur Neu-Orientierung. Der Kompass des Bielefelds zeigt in Richtung Italien, in den südlichen Teil des Stiefels unten am Absatz. Apulien wird seine neue Heimat. Dort leben Freunde, dort kann er seine Leidenschaft erneut ausleben. &bdquo;Ich habe mehr von der authentischen Küche kennengelernt und gleichzeitig meine Sprachkenntnisse verbessert. Sogar den apulischen Dialekt beherrsche ich.“ Bielefeld ist weit weg. In der Heimatstadt hat Cramer alles aufgegeben. Comeback in der Bielefeld Gastronomie Bis die Familie ihn zurückruft. Seine Mutter und eine erblindete Tante brauchen Unterstützung. Der Bielefelder lässt die beiden nicht allein, gründet eine neue Existenz in Ostwestfalen. In Bünde eröffnet er das &bdquo;Terra Mia“. Prominente wie der Comedian Johann König oder Schauspieler und Musiker Stefan Jürgens kehren bei ihm ein, meist nach Auftritten im Kulturzentrum &bdquo;Universum“. Unter ihnen auch Andreas und Chris, die in Bünde beheimateten &bdquo;Ehrlich Brothers“, damals noch unter ihrem Namen &bdquo;Gebrüder Ehrlich“. Cramer, umtriebig und kreativ, zieht es irgendwann zurück nach Bielefeld. Er unterstützt seine Tochter bei der Eröffnung des Lokals &bdquo;Antipasti“ mit angeschlossenem Wein- und Feinkosthandel am Niederwall. Das damals noch neue Geschäftskonzept schafft es auf Anhieb in die RTL-Serie &bdquo;Mein neuer Laden“. Lesen Sie auch: Gäste können aufatmen: Wechsel in Bielefelder Traditions-Restaurant Den Vater zieht es zeitgleich an die Jöllenbecker Straße, wo er eine Kochschule unter anderem auch für Kindergeburtstage betreibt. Viel Spaß habe ihm das gemacht, ebenso wie seine Erlebnis-Kochreisen für die AWO durch Italien zu Weingütern, Olivenplantagen und Restaurants. &bdquo;Anstrengend war’s, aber ich hab das immer gern gemacht.“ Schlaganfall beendet den Italien-Traum Bis zum Schlaganfall, der Cramer mit 54 endgültig zwingt aufzuhören. Aus der Traum vom unbeschwerten Rentnerleben. Jeweils ein halbes Jahr in Bielefeld und Italien, so hatte er sich das vorgestellt. Doch er hat auch etwas gelernt. Cramer senkt den Blick, hebt kurz die Schultern. Stressfreier möchte er sein Leben künftig gestalten, so sein Vorsatz. Heute bestimmt Care-Arbeit seine Tage, die Versorgung von Mutter und Tante. Gelegentlich besuchen ihn noch italienische Freunde – aus dem Vatikan und aus Apulien. Für Abwechslung sorgt außerdem ein Ehrenamt in der Justiz, das er kürzlich mit Freude übernommen hat. &bdquo;Da habe ich auch wieder mit Menschen zu tun.“ Alles richtig gemacht, Thorsten Cramer? Würde er sich noch einmal mit den Erfahrungen von heute für die Gastronomie entscheiden? &bdquo;Nein“, ist die spontane Antwort. &bdquo;Die immer strengeren Auflagen der Behörden und die Kostenexplosion belasten die Branche. Ganz zu schweigen vom Personalmangel.“ Nicht zu unterschätzen sei zudem die Erwartungshaltung der Gäste. &bdquo;Die kommen häufig nicht ausschließlich zum Essen und Trinken. Für viele war ich auch oft eine Art Therapeut. Am Ende weiß man von jedem fast alles.“ Bedauern oder Reue empfindet Cramer nicht: &bdquo;Es ist nun mal so, wie es ist. Meine Sehnsucht allerdings wird immer bleiben.“ Die Sehnsucht nach Italien.

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