Firma geht neue Wege: Bielefelderin verlegt ihr Homeoffice nach Italien

Bielefeld. Den Wunsch, einmal im Ausland zu arbeiten, hatte sie eigentlich schon immer. Und doch hat es nie geklappt – bis ein eigentlich ganz unscheinbarer Moment auf der Terrasse ihres Elternhauses für Marion Rink zum entscheidenden Wendepunkt wurde. &bdquo;Eine Bekannte erzählte davon, dass eine seiner Töchter in Seoul gelebt hat und gerade nach Los Angeles gezogen ist“, erinnert sich Rink an das Gespräch im Sommer 2023. &bdquo;Ich merkte in diesem Moment, dass ich noch immer in der Stadt bin, in der ich geboren wurde.“ Genau da fällte die 29-jährige Bielefelderin ihren Entschluss: Ich gehe nach Italien. Was sie da wohl noch nicht ahnte, war, dass sie nicht zuletzt dank ihres Arbeitgebers Comspace schon knapp ein halbes Jahr später erstmals ihren Laptop in ihrem Arbeitszimmer in Turin aufklappen würde. &bdquo;Workation“ heißt das besondere Konzept des &bdquo;Remote-Working“, also des ortsunabhängigen Arbeitens: Es ist eine Mischung der Worte &bdquo;Work“ und &bdquo;Vacation“ und setzt den gerne ironisch genutzten Spruch &bdquo;Arbeiten, wo andere Urlaub machen“, unmittelbar in die Tat um. Bei Comspace haben Mitarbeiter seit drei Jahren die Möglichkeit, ihren Arbeitsplatz für einen bestimmten Zeitraum an einen anderen Ort und in ein anderes Land zu verlegen. Homeoffice liegt 1.160 Kilometer vom Büro entfernt &bdquo;Und das Angebot wird immer stärker angenommen“, sagt Sarah Biendarra aus dem Bereich &bdquo;People & Culture“, die für die Organisation der Workations zuständig ist. 19 Auslandsaufenthalte sind bereits absolviert worden oder sind konkret in der Planung, die Ziele waren dabei naheliegend wie Österreich, Frankreich oder Spanien, exotischere Workations führten nach Japan oder Südkorea. Marion Rinks neuer Arbeitsplatz lag da deutlich näher an Bielefeld dran, mit rund 1.160 Kilometern aber noch immer ziemlich weit weg. Moncalieri heißt das kleine Städtchen direkt vor den Toren der norditalienischen Millionenstadt Turin. Ein Sehnsuchtsort für viele Urlauber, die dort wenige Tage oder Wochen verbringen – und nun für ein Vierteljahr der Lebensmittelpunkt für Rink und ihren Lebensgefährten. Lesen Sie auch: Pro und Contra Homeoffice in OWL: Fünf Firmen stellen ihre Modelle vor Die mit einigen Mühen gefundene Wohnung befand sich direkt an einer Piazza, Sehenswürdigkeiten, Ausflugsziele und &bdquo;La dolce Vita“ lagen tagtäglich unmittelbar vor der Haustür. Und doch machte das &bdquo;Work“ in &bdquo;Workation“ und der Alltag einen Großteil ihrer Zeit aus: 40 Wochenstunden für Comspace, Kochen, Wäsche waschen, Besorgungen machen. Außerdem ist Marion Rink freiberufliche Autorin. &bdquo;Ich habe auch ein Buch übersetzt und ein neues geschrieben“, erinnert sie sich. &bdquo;Von Faulheit kann man da also wirklich nicht sprechen.“ Corona-Pandemie beschleunigt Homeoffice-Entwicklung Für Andreas Kämmer ist es wenig überraschend, dass sich seine Mitarbeiterin auch in der Fremde weitab vom eigentlichen Büro voll ins Zeug gelegt hat. &bdquo;Ob die Kollegen nun in Hamburg, Bad Kreuznach oder auf den Kanaren sitzen, macht bei der Zusammenarbeit keinen Unterschied“, sagt der Comspace-Geschäftsführer, der aus voller Überzeugung eine &bdquo;Remote First Company“ leitet. Wie bei vielen Unternehmen hat auch bei der Bielefelder Digitalagentur Corona die Entwicklungen beim Homeoffice und ortsungebundenen Arbeiten dramatisch beschleunigt. Doch im Gegensatz zu anderen Unternehmen entschied sich die Firma, den Weg weiterzugehen. &bdquo;Es war für uns klar, dass wir nicht mehr zurückgehen, wenn die Pandemie vorbei ist“, sagt Kämmer. Dass aktuell zahlreiche Betriebe ihre Mitarbeiter ins Büro zurückholen und getroffene Regelungen wieder einkassieren, hält er für einen Fehler. &bdquo;Viele der heutigen Manager sind mit der Arbeit in Präsenz groß geworden“, sagt der Geschäftsführer. Dass in den vergangenen Jahren viele Arbeiten außerhalb der Büros verrichtet wurde, habe bei einigen Unternehmensführern zu einem schleichenden Gefühl des Kontrollverlusts geführt. Rückkehr in die Präsenz lässt Zufriedenheit sinken Durch die Rückkehr an den festen Arbeitsplatz soll so nun die unmittelbare Kontrolle wiedergewonnen werden – was nach einer Studie der US-Universität Pittsburgh keineswegs zu Leistungssteigerungen geführt habe. &bdquo;Im Gegenteil führt eine verpflichtende Rückkehr in die Präsenz für eine sinkende Mitarbeiterzufriedenheit“, sagt Kämmer. Eine konsequente Regelung für die Arbeit jenseits der Büros sei inzwischen auch zu einem wichtigen Argument geworden, um Talente zu rekrutieren. &bdquo;Remote Working passt einfach viel besser zu vielen Dingen unserer Lebenswirklichkeit.“ Lesen Sie auch: Abkehr vom Homeoffice: Bielefelder Experte warnt vor Rückkehr zu alter Arbeitswelt Diese Wirklichkeit sah für Marion Rink während ihrer Workation zumindest nach Feierabend dann deutlich anders aus als der reguläre Alltag in Bielefeld. Abends wurden Spaziergänge gemacht oder Turin erkundet, am Wochenende unternahmen sie und ihr Lebensgefährte Ausflüge in die nahen Alpen oder nach Genua oder Mailand. &bdquo;Zum Geburtstag meines Partners haben wir dann am Lago Maggiore ein Quad ausgeliehen und sind damit durch die Gegend gefahren, das war einfach nur großartig.“ Für ihre Zeit vor Ort hatte sie sich extra Italienisch beigebracht (&bdquo;Ich konnte wenigstens im Café etwas bestellen“), kam aber auch sonst gut zurecht. &bdquo;Es sprachen erstaunlich wenige Leute Englisch, dafür aber viele Deutsch.“ Für Bielefelderin geht Traum in Erfüllung Dass Deutsch für zahlreiche Mitarbeiter von Comspace nicht zwingend die Muttersprache ist, ist für Andreas Kämmer ein weiteres Argument, das Arbeitsmodell der &bdquo;Workation“ weiter zu verfolgen. &bdquo;Ein Viertel unserer Belegschaft hat einen Migrationshintergrund“, sagt der Geschäftsführer. &bdquo;Da ist das eine schöne Gelegenheit, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, die nicht in Deutschland lebt.“ Das Unternehmen versucht daher, &bdquo;möglichst viel möglich zu machen“, wie Sarah Biendarra es formuliert. Rechtliche Fragen wie nach dem Datenschutz müssen ebenso wasserdicht geklärt werden wie steuerliche Dinge oder die Sozialversicherung. Der Arbeitnehmer wiederum muss sich um eine Wohnung und einen vernünftigen Arbeitsplatz kümmern. &bdquo;Die ganze Zeit auf einer Parkbank sitzen geht natürlich nicht“, sagt Biendarra. Für Marion Rink ging mit ihrer Zeit in Italien ein lang gehegter Traum in Erfüllung. &bdquo;Als ich mich während des Studiums mit einem Professor über seine Zeit im Ausland unterhalten habe, hatte er immer so einen besonderen Glanz in den Augen“, sagt sie – mit einem besonderen Glanz in den Augen. &bdquo;Das war das Glück, was ich da gesehen habe. Das war Selbstbestimmung und Freiheit.“ Ganz losgelassen hat sie Italien derweil nicht: Momentan weilt sie wieder jenseits der Alpen – diesmal allerdings in Bozen und ganz ohne Laptop als Urlauberin.

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