„Wenn einer ausfällt, wird’s eng“: Bielefelder Chöre suchen nach Männerstimmen

Bielefeld. Das Musikstück ist ein alter Klassiker: &bdquo;Music (was my first Love“) von John Miles, ein Ohrwurm mit bombastischer Steigerung, erklingt durch die geschlossene Tür im Obergeschoss der Neuen Schmiede aus 16 Kehlen. Es ist Probentag des Projektchors VocoMotion. Immerhin steht die Teilnahme am Musikalischen Adventskalender in der Altstädter Nicolaikirche bevor. Einmal im Monat treffen sich die Sangesfreudigen, dann aber immer vier Stunden oder länger. &bdquo;Stellt euch ein Kaufhaus vor, aus dem euch warme Luft am Eingang aus den Düsen entgegenströmt. So lasst ihr die Luft mit jedem Ton kräftig ausströmen, sie trägt den Ton“, gibt der Mann am Piano, Chorleiter Constantin Braun, anschauliche Regieanweisungen für den nächsten Song – &bdquo;Nothing else matters“ von der Metal-Band Metallica. Die Chormitglieder zwischen 29 und 68 Jahren setzen seine Hinweise souverän um. Man merkt: Hier sind nicht nur erfahrene Sängerinnen und Sänger am Werk, die mit Spaß und viel Konzentration ein Gemeinschaftswerk auf die Beine stellen. Hier kommt es auch auf jede Stimme an. Niemand kann sich einfach so an die seines Nachbarn &bdquo;anlehnen“, jeder muss die eigene Intonationssicherheit trainieren. Dies ist nämlich ein Chor ohne ausdrückliches Dirigat, zugleich wird auswendig gesungen. Seine Einsätze gibt Braun vom Klavier aus. Jeder der fünf Sänger und elf Sängerinnen muss die Einsätze auch ohne Handzeichen punktgenau hinbekommen. Werbung für neue Männerstimmen oft erfolglos Seit 2010 gibt’s das Ensemble, seit 2013 wird es vom Hannoveraner Profimusiker Constantin Braun geleitet. Alles paletti, also? Eigentlich schon, wäre da nicht das Problem fast aller Chöre und Vokalensembles – ein Mangel an Männerstimmen. Braun probt mit vielen Mitteln der Stimmbildung. Er übt das Blending (Vermischen) der Stimmen ein, weist die Sänger an, das Gegenüber, dessen Mimik und Gestik zu beobachten, um darauf zu reagieren. Um Ausdruck in den Gesang zu legen, einen Spannungsbogen zu erzeugen, gesanglich &bdquo;eine Geschichte zu erzählen“. Burkhard Hummel (57), Kai Krumwiede (63) und Bert Branahl (65) sind drei der sechs &bdquo;Bässe und Tenöre“, die den Chor mit tieferen Nuancen versehen. &bdquo;Wenn ein, zwei von ihnen ausfallen, wird es eng“, schildert Chorleiter Braun die Misere. Und überhaupt, etwas Verstärkung in ihrer Stimme könnten die Herren, wenngleich weitgehend intonationssicher schon gebrauchen. Doch so mancher Werbeblock, gern bei Konzerten vom Stapel gelassen, bleibt erfolglos. Lesen Sie auch: Drei Freunde holen Lieder einer Chansonniere, die nie im Nazi-Land singen wollte, nach Bielefeld &bdquo;Die Zielgruppen sind wohl ziemlich eingeschränkt“, mutmaßt Bert Branahl: &bdquo;Es sind oft Leute mittleren Alters, die ganz Jungen ziehen aus Ausbildungs- oder Jobgründen häufiger um, Mittelalte befinden sich oft in der Rushhour des Lebens mit Familie und Beruf. Da bleibt oft keine Zeit mehr für ein Hobby wie den Chor“.“ Gerade deshalb schätzt Kai Krumwiede diesen Chor so: &bdquo;Einmal im Monat sonntags eine ausführliche Probe, das passt gut in meinen Berufsalltag.“ Jährliches Chor-Wochenende in Vlotho Voll des Lobes sind sie alle für ihren Chor und können das gemeinsame Singen nur empfehlen: &bdquo;Es ist gut für Körper, Seele und Atmung“, sagt Kai. Auch sei der soziale Zusammenhalt sehr wichtig, es entstünden neue Freundschaften. Die Konzerte seien Ziel und Motivation zugleich. Beim jährlichen Chor-Wochenende in Vlotho könne man diese noch vertiefen. &bdquo;Man geht einfach nach jeder Probe beglückt nach Hause“, fügt Sängerin Angela Hölting hinzu. Und die Herren nicken zustimmend. Auch der Gospelchor &bdquo;Gospel Unlimited Bielefeld“, der jeden Mittwochabend im Gemeindehaus der Apostelkirche probt, konstatiert seit Jahren einen Männerstimmenmangel. &bdquo;Wir brauchen immer Verstärkung für eine bessere Ausgeglichenheit der Stimmen“, schildert Chorsprecher Reinhard Siekmann (Bass, 65), selbst seit Jahrzehnten in Chören aktiv. Bielefelder findet im Chor Kontakte und ein gemeinsames Hobby Gerade der Tenor sei eine anspruchsvolle und für den Gesamtklang wichtige Stimme: &bdquo;Sie ist für die Phrasierung zuständig, während die Bässe als Grundstimmen wirken.“ Wolf Oberschelp (63) hat die Musik der Band PUR zum Singen gebracht. Stefan Rodler (49) kam 2007 nach Bielefeld und fand im Chor Kontakte und Anschluss, ein schönes, gemeinsames Hobby. Bernd Vornholt-Niehaus fasziniert die Mehrstimmigkeit des Chors, &bdquo;der raumfüllende Klang“. 2018 habe ihn das zum Eintritt in den Chor motiviert. &bdquo;Männer haben eine gewisse Hemmschwelle, in einen Chor zu gehen. Viele engagieren sich lieber im Sport“, hat er beobachtet. Dabei gebe einem der Gesang so viel, hinzu komme die gute Gemeinschaft. Bei Gospel Unlimited verstärken sogar zwei Frauen die Sektion der Männerstimmen. &bdquo;Für mich sind Musik und Gesang mein Lebenselexier“, wirbt Siekmann fürs Mitmachen, und verrät noch sein persönliches Credo: &bdquo;Wir stellen unsere Stimmen der Gemeinschaft zur Verfügung und bekommen guten Klang zurück.“ Wer Lust hat auf eine Schnupperprobe, kann sich auf www.bielefeld-vocomotion.de oder auf www. gospel-unlimited-bielefeld.de informieren.

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