Bielefelder Mieter erhalten jetzt extrem fehlerhafte Betriebskostenabrechnung – für 2022

Bielefeld. Es ist noch nicht vorbei: Nach dem Wechsel der Hausverwaltung keimte kurz Hoffnung auf in der Senne-Siedlung in Bielefeld, dass mit dem Abgang von Lenovo samt Tochtergesellschaften die schwierigen Jahre der Vergangenheit angehören würden. Dann aber kam wieder Post aus Berlin und der Ärger sei von vorn losgegangen, sagt Dennis Wolter. Den Anlass dazu bot die gerade eingetroffene Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2022. Die hätte eigentlich bis zum 31. Dezember 2023 bei den rund 310 Mietparteien vorliegen müssen, um wirksam zu werden. Der Brief verspätete sich allerdings um fast ein Jahr. Und er lag diesmal nicht im Briefkasten, wie früher, sondern landete im virtuellen Postfach der neuen Hausverwaltungs-App. Erstes Dilemma: die Hardware. &bdquo;Viele ältere Bewohner besitzen gar kein Smartphone und können folglich auch auf keine App zugreifen“, schildert Wolter die Situation. Zweites Dilemma: die Software. &bdquo;Ungefähr bei der Hälfte der mir bekannten Nachbarn und App-User öffnete sich das Dokument nicht – sie erhielten einen Störungshinweis.“ Lesen Sie auch: Verzweifelte Bielefelder Mieter packen im Fernsehen aus Bei den Wolters ließ sich das PDF öffnen und groß war die Spannung wegen einer möglichen Gutschrift: Während beim Zeitverzug von mehr als zwölf Monaten eine Nachforderung hinfällig sei, würde den Mietern eine Gutschrift weiterhin zustehen, erklärt Mietrechtsexperte Ridvan Ciftci, der die Bewohner der Siedlung unterstützt: &bdquo;Die Mieter hätten ausdrücklich darauf hingewiesen werden müssen, dass sie keinerlei Nachforderungen begleichen müssen. Eine automatisierte Abbuchung über Lastschriften, wie sie möglicherweise befürchtet wird, wäre rechtswidrig.“ Das Paar kommt aus dem Staunen nicht mehr raus Der erste Blick der Wolters fiel intuitiv auf die schwarz-gefettete Zahl am Ende der Tabelle namens Nachforderung und landete bei einem Betrag von mehreren Hundert Euro. Glück gehabt, sei der erste Gedanke gewesen, denn im Vergleich zum Jahr 2021 sei diese nun unwirksame Nachforderung höher ausgefallen. Dann schaute sich das Paar die einzelnen Zahlen genauer an und kam aus dem Staunen nicht mehr raus: &bdquo;Von unseren monatlich überwiesenen Vorauszahlungen ist in Summe nur ein Drittel angesetzt worden“, sagt Wolter. Das sei ein starkes Stück. &bdquo;In der Abrechnung sind Vorauszahlungsbeträge angegeben, die mit den tatsächlich gezahlten Summen zahlreicher Mieter nicht übereinstimmen. Dies erweckt den Eindruck einer fehlerhaften Abrechnungspraxis und ist rechtlich nicht haltbar. Aufgrund der erheblichen Fehler in der Abrechnung könnte sich für viele Mieter sogar ein Guthaben ergeben. Es ist dringend anzuraten, dass betroffene Mieter die Abrechnung eingehend prüfen und, falls erforderlich, Belegeinsicht verlangen“, empfiehlt der Jurist. Und es kam noch besser: Als nächstes irritierten drei Positionen rund um den Betrieb von Aufzügen: &bdquo;Wir wohnen hier in einem dreistöckigen Haus aus den 70er-Jahren – wir haben keinen Aufzug“, sagt Wolter. Lifte gäbe es tatsächlich im benachbarten Hochhaus, die anderen 31 Mehrfamilienhäuser der gleichen Bauart wie das ihrige aber würden nur über Treppenhäuser verfügen. Die addierten Kosten für die imaginären Aufstiegshilfen lagen laut Betriebskostenliste bei fast 40 Euro. &bdquo;Sonstige Betriebskosten“ ohne konkrete Angaben Das nächste Ärgernis trug die Bezeichnung &bdquo;Sonstige Betriebskosten“: Die Summe der vier Positionen betrage über 100 Euro – und niemand habe eine Ahnung, welche konkreten Dienstleistungen sich dahinter verbergen würden. &bdquo;Sonstige Betriebskosten werden ohne jede Erläuterung aufgelistet. Gemäß § 2 BetrKV sind diese konkret darzulegen und müssen vertraglich vereinbart worden sein, da sie andernfalls nicht umlagefähig sind“, erklärt der Fachmann. Lesen Sie auch: Bielefelder schockiert über drastische Mieterhöhung: Mieterbund setzt Signal Während diverse dubiose Positionen die Betriebskosten ansteigen lassen, vermisst Ciftci eine entscheidende Größe: &bdquo;Der Heizkostenzuschuss der Bundesregierung für Dezember 2022, der eine gesetzlich vorgesehene Entlastung für Verbraucher darstellt, wurde in der Abrechnung nicht berücksichtigt. Dies ist ein erheblicher Mangel, der eine unvollständige Abrechnung nahelegt. Der Vermieter ist seinen Informationspflichten nicht nachgekommen“, sagt Ciftci. Nach dem Ärger über das zugesandte Zahlenwerk rechnete Familie Wolter selbst, setzte die geleisteten, aber vergessenen oder unterschlagenen Beträge ein, strich die Fantasie-Posten und kam zu einer stattlichen Gutschrift – die ihr demnach die alte Hausverwaltung Reanovo/Optima noch schulde. Die Wolters beschwerten sich über die fehlerhafte Betriebskostenabrechnung und verlangten auf dem Postweg umgehend ein korrigiertes Exemplar. Was ist die Motivation für dieses Gebaren? Was aber mag die Motivation hinter alledem sein: Dilettantismus, Dreistigkeit oder doch Delinquenz? Der Mietrechtsexperte bleibt sachlich: &bdquo;Die vorliegende Betriebskostenabrechnung für 2022 zeigt erhebliche Versäumnisse und Mängel. Es handelt sich um ein Beispiel für eine nachlässige Verwaltungspraxis, die unnötige Unsicherheiten für Mieter schafft.“ Mitte Dezember will SPD-Mann Ciftci wieder einen Beratungstermin anbieten, noch seien Ort und Termin für die nächste Mieterversammlung offen. Dort sollen die bestehenden Missstände besprochen und mögliche neue abgewendet werden – wie die Betriebskostenabrechnung für 2023. Die muss den Mietern bis zum 31. Dezember 2024 vorliegen. Da sie ebenfalls von der alten Hausverwaltung Reanovo/Optima erstellt wird, warten auch die Wolters gespannt, auf welchen fantastischen Werten die neue Abrechnung basiert.

Meistgelesen