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Für Kuchen und Fleisch: Warum der Bürgermeister von Gadderbaum auf dem Schafott endete

Trotz des Krieges ließ Bürgermeister Johannes Waltenberg es sich gut gehen. Gemeinsam mit seiner Affäre stahl und verprasste er Lebensmittelmarken und wurde dafür zum Tode verurteilt.

Das alte Pförtnerhäuschen in Bethel, Gadderbaum in den 1930er Jahren. | © Archiv

Alina Rullkötter
05.09.2024 | 05.09.2024, 05:40

Bielefeld. Frühsommer 1943, Endphase des Dritten Reiches: Im beschaulichen Gadderbaum bei Bielefeld kommt es zu einer Straftat, die die Gemüter der Bürgerinnen und Bürger erhitzt. Der Bürgermeister Johannes Waltenberg hat über Monate Lebensmittelmarken gestohlen und diese mit seiner Affäre verprasst. Am Ende wartet das Schafott auf den bis dahin angesehenen Politiker.

In der aktuellen Folge von „OstwestFälle“, dem True-Crime-Podcasts der Neuen Westfälischen, geht es um einen Fall, der sich zur Zeit des Nationalsozialismus zugetragen hat; ein Fall, in dem es um Krieg, Hunger und Diebstahl geht. Über den Fall des Gadderbaumer Bürgermeisters Johannes Waltenberg sprechen Bettina Kirchner und der Geschichtswissenschaftler Helmut Henschel, stellvertretende Leiter des Stadtarchivs Bielefeld.

Der diebische Bürgermeister – Der Fall im Überblick

  • Frühjahr 1943: Krieg, Hunger und NS-Herrschaft prägen das gesellschaftliche Klima. Widerstand und Unterstützung für das Regime bestehen parallel.
  • Waltenberg ist leitender Buchbindermeister in Bethel und überzeugter Nationalsozialist. 1933 wird er Bürgermeister von Gadderbaum.
  • Waltenberg ist verheiratet, beginnt dennoch eine Affäre mit Erna Indiesteln. Trotz Lebensmittelknappheit gönnen die beiden sich regelmäßig fürstliches Frühstück in den Amtsräumen.
  • Im Mai 1943 fällt schließlich auf, dass Lebensmittelmarken fehlen. Die Inidzien zeigen auf Waltenberg. In seiner Amtsstube werden Beweise gefunden.
  • Ein Sondergericht verurteilt Waltenberg zum Tode. Indiesteln zu drei Jahren Gefängnis verurteilt und nach Kriegsende begnadigt.

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Der historische Kontext

Frühjahr 1943: Die Nationalsozialisten regieren Deutschland, seit vier Jahren tobt der Zweite Weltkrieg. Die Bevölkerung leidet unter dem Krieg, Essen wird rationiert, es regen sich erste Widerstände in der Gesellschaft: Der Fall der Geschwister Scholl, die regimekritische Flugblätter verteilten, wird öffentlich bekannt.

Gleichzeitig stehen viele weiterhin hinter Hitler und dem NS-Regime: Im Februar 1943 hält Goebels seine berühmte Sportpalastrede, bei der ihm eine begeisterte Menge zujubelt, nachdem er sie fragt: „Wollt ihr den totalen Krieg?“

Wer war Johannes Waltenberg?

In diese zwiegespaltene Zeit fällt der Fall des Bürgermeisters Johannes Waltenberg. Geboren wurde er 1902 in Wittenberg im heutigen Sachsen-Anhalt. In den 1920er Jahren kommt er nach Gadderbaum – zu dieser Zeit eine eigenständige Ortschaft im Kreis Bielefeld. Er arbeitet in der Buchbinderei in Bethel, wo er 1927 leitender Buchbindermeister wird. Im selben Jahr heiratet er seine Frau Else. Aus der Ehe gehen drei Kinder hervor: zwei Jungen und ein Mädchen.

Neben seinem Arbeits- und Familienleben ist Waltenberg auch politisch aktiv. Bereits 1929 tritt Waltenberg der NSDAP bei, engagiert sich in der Ortsgruppe Bielefeld und ist Mitbegründer der Ortsgruppe Gadderbaum, die in den folgenden Jahren zu einer wichtigen parteipolitischen Organisation im Kreis Bielefeld avanciert. Geschichtswissenschaftler Helmut Henschel sagt über Waltenberg: „Er ist ein ideologisch gefestigter, intrinsisch überzeugter Verfechter des Nationalsozialismus.“

Die Affäre von Johannes Waltenberg und Erna Indiesteln

Nach den Kommunalwahlen 1933 wird Waltenberg Bürgermeister von Gadderbaum. Beruflich ist er erfolgreich, doch in seiner Ehe beginnt es zu kriseln. Und so beginnt er 1942 eine Affäre mit einer ebenfalls verheirateten Frau aus der Verwaltung: Erna Indiesteln.

Die anderen Beamten scheinen zu bemerken, dass die beiden sich nahestehen. Mehrere Verwaltungsangestellte berichten, dass Waltenberg und Indiesteln sich in den Amtsräumen zu ausgiebigem Frühstücken trafen. „Man darf an der Stelle den Kriegskontext nicht vergessen“, sagt Henschel, „sie haben es sich wirklich gut gehen lassen in einem Moment, in dem andere zurückstecken mussten.“

Lebensmittelmarken verschwinden, Waltenberg unter Verdacht

Es scheint jedoch niemand zu hinterfragen, woher die beiden das viele Essen haben – bis im Mai 1943 auffällt, dass 60 Lebensmittelmarken fehlen. Die Marken wurden in einem verriegelten Stahlschrank aufbewahrt. Die Mitarbeiterin, die als einzige einen Schlüssel zu dem Schrank hat, kann bald als Verdächtige ausgeschlossen werden.

Durch Ermittlungen der Polizei wird schließlich klar: Bürgermeister Waltenberg muss einen Zweitschlüssel haben. Immer mehr Indizien weisen darauf hin, dass Waltenberg der Dieb ist. In seiner Amtsstube wird ein Teil der gestohlenen Lebensmittelmarken gefunden; der Großteil sind Marken, die gegen Kuchen oder Fleisch eingetauscht werden können. Beim ersten Verhör gesteht Waltenberg sofort. „Allerdings ist er nicht sehr loyal“, bemerkt Henschel, denn Waltenberg verrät Erna Indiesteln. Auch sie wird verhört und man findet Lebensmittelmarken in ihrer Wohnung.

Das Urteil gegen Waltenberg und Indiesteln

Gegen beide ist die Beweislast erdrückend. In der Gadderbaumer Bevölkerung verbreitet sich die Nachricht, dass der hoch angesehene Bürgermeister Lebensmittelmarken gestohlen haben soll. Gerüchte über weitere Veruntreuungen machen die Runde.

Ein Sondergericht verurteilt Johannes Waltenberg in einem zügigen Prozess zum Tode wegen schweren Diebstahls und Kriegswirtschaftsvergehen. Erna Indiesteln wird wegen schwerer Hehlerei zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Kriegsende wird sie begnadigt und stirbt 1992.