„Das macht Angst“: Bielefelder Muslime nach dem Solingen-Attentat

Bielefeld. Der 26-jährige syrische Flüchtling Issa al H. soll auf dem Jubiläumsfest zum 650. Gründungstag der Stadt Solingen willkürlich zwei Männer und eine Frau erstochen und acht Menschen schwer verletzt haben. Murisa Adilovic, Vorsitzende des Integrationsrats und Mitglied im Integrationsrat NRW, sowie Cihad Kefeli, Vorstandsvorsitzender des Bündnisses Islamischer Gemeinden Bielefeld, äußern sich zu religiösen Fanatikern und zur Positionierung der islamischen Gemeinschaft zu dem Messerattentat. Herr Kefeli, was ging Ihnen am vergangenen Freitag durch den Kopf, als Sie von dem Attentat in Solingen erfahren haben? Cihad Kefeli: Mein erster Reflex war: &bdquo;Du musst etwas tun“. Ich habe den Vorstand des BIG (Bündnis Islamischer Gemeinden) informiert und überlegt, selbst ein Statement über die sozialen Netzwerke zu veröffentlichen. Ich habe mich aber dann gebremst, da bis dahin nicht klar war, ob es sich um ein islamistisch motiviertes Attentat handelt. Daran sieht man, dass das etwas mit einem macht. Können Sie genauer beschreiben, welche Emotionen die Tat bei Ihnen ausgelöst hat? Kefeli: Wir sehen eine zunehmende Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft. Und es macht natürlich Angst zu sehen, dass diese schreckliche Untat von manchen sofort instrumentalisiert wird. Am Freitag habe ich mir die Diskussion auf X angesehen und festgestellt, dass die lautesten Stimmen aus der rechten Ecke kamen, die Hass säen und die Tat für sich nutzen. Sehen sich Muslime genötigt, nach jeder Gewalttat eine Art &bdquo;öffentliche Entschuldigung“ abzugeben? Kefeli: Viele Muslime sind es leid, sich immer wieder distanzieren zu müssen, weil sie sozusagen in &bdquo;Sippenhaft“ genommen werden. Andere wollen es umso lauter sagen, dass diese Extremisten kein Teil von uns sind. Das muss man miteinander in Einklang bringen. Wir bewerten diese Bluttat genauso, wie sie als Mensch zu bewerten ist – als eine scheußliche Untat. Lesen Sie auch: Messer-Anschlag in Solingen hat Konsequenzen für Stadtfeste in Bielefeld Wie fühlt man sich als Muslim, wenn man immer gleich mitverantwortlich gemacht wird? Kefeli: Wir wissen noch nicht viel und schon wird über neue Gesetze gesprochen. Die Leute sind es auch langsam leid, sich immer wieder zu erklären. Es wurden Kampagnen gestartet – nicht in meinem Namen –, man ist auf die Straße gegangen, man hat versucht, sich zu erklären. Das führt auf Dauer zu einer Resignation. Das soll keine Rechtfertigung sein. Es ist wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, unsere Religion zu erklären und zu zeigen, dass wir friedliebende Menschen sind. Stellt das den Satz &bdquo;Der Islam gehört zu Deutschland“ auf den Kopf? Kefeli: Die Mehrheit der Muslime lebt ein ganz normales Leben. Sie arbeiten, gehen zur Schule oder zur Uni, machen ihre Ausbildung. Sie haben ihren Lebensmittelpunkt in Bielefeld, in Solingen und leisten einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft. Wenn Muslime unter Generalverdacht gestellt werden, wird das befeuert, was diese Terroristen bezwecken möchten – die Spaltung der Gesellschaft. Murisa Adilovic: Und die führt zur Resignation der ausgegrenzten Bevölkerung und zur Minderbeteiligung an der Gestaltung unserer Demokratie. In Bielefeld haben wir ein Problem mit Salafisten, die sehr aktiv auf den Sozialen Netzwerken sind und vor allem junge Leute ansprechen. Wenn ich mich nicht angenommen fühle, dann suche ich mir meine Nischen. Herr Kefeli, Sie haben in Ihrer Gemeinde Erfahrungen mit Jugendlichen gemacht, die sich radikalisiert haben. Wie können Sie diese Jugendlichen identifizieren und wie gehen Sie mit den jungen Menschen um? Kefeli: Man bemerkt es daran, welche Prediger sie sich anhören, an der Art und Weise, wie sie beten oder an den kritischen Rückmeldungen, die sie geben. Wir suchen das Gespräch. Das ist ein Prozess, der tagtäglich stattfindet. Ein Extremist, der den Koran falsch versteht und radikal auslegt, wirft ein schlechtes Licht auf unsere muslimische Gemeinde und er schadet letztlich uns selbst. Lesen Sie auch: Mutmaßlicher Attentäter von Solingen hat Vergangenheit in Bielefeld und Paderborn Ist es Ihnen bereits gelungen, Jugendliche wieder auf den richtigen Pfad zu bringen? Kefeli: Man muss sehen, dass diese Extremisten sehr professionell auf ihrem Gebiet agieren und den Jugendlichen scheinbar einfache Antworten auf komplexe Fragen geben. Hier die richtigen Antworten zu finden, ist die Kunst. Und das ist uns in einigen Fällen auch gelungen. Wir haben aber auch schon Menschen aus der Gemeinde verwiesen, da sich deren Haltung nicht mit unserer Religion vereinbaren lässt. Aktuell steht die Zentrale Ausländerbehörde in Bielefeld in der Kritik, da diese die Rückführung des Syrers nach Bulgarien nicht durchsetzen konnte. Wie bewerten Sie diesen Vorwurf, Frau Adilovic? Adilovic: Ich sehe die Ursache im jahrzehntelang andauernden Abbau von Personal in den Behörden. In den Flüchtlingsunterkünften wird seit vielen Jahren unterstützend auf Ehrenamtliche gesetzt. Das ist gut so. Das freundliche Gespräch reicht aber nicht aus, und das meine ich nicht abwertend. Die Menschen kommen aus Kriegsgebieten, sind traumatisiert. Es braucht qualifiziertes Personal, wie Psychologen, die helfen, das Erlebte zu verarbeiten. Nur so hat man die Möglichkeit, an die Menschen heranzukommen, bevor sie empfänglich für die Botschaften radikaler Gruppierungen werden. Lesen Sie auch: Abschiebe-Debatte von Solingen: Darum hält sich Bielefeld nicht für zuständig Wie kritisch sehen Sie die aktuelle Diskussion um die Verschärfung des Asylrechts? Adilovic: Der aufkommende Populismus spaltet unsere Gesellschaft. Etwa dann, wenn kurz nach der Tat eine Diskussion darüber losgetreten wird, ob Syrer generell aufgenommen werden sollen. Wir haben in Bielefeld etwa 4.200 Syrer. Darunter sind viele Ärzte, Ingenieure, Krankenpfleger und es kann nicht sein, dass durch einen Einzeltäter alle diese Menschen in Misskredit gebracht werden. Müssen wir mehr Bekundungen der Zivilgesellschaft zu einer vielfältigen Gemeinschaft haben, wie es sie im Zuge der großen Demonstrationen gegen Rechts Anfang des Jahres gegeben hat? Adilovic: Wir haben in Bielefeld eine wunderbare Zivilgesellschaft. Was wir brauchen, ist eine Öffnung zu bestimmten Bevölkerungsgruppen, die sich abgehängt fühlen – auch räumlich. Ein Beispiel: Ich brauche kein großes Fest am Kesselbrink. Ich brauche ein Fest in Baumheide oder Sennestadt. Ich muss das gesamte Stadtgebiet mit seinen Menschen und deren Bedürfnissen abholen. Ich muss in die Stadtteile gehen und mit den Menschen dort in einen Diskurs kommen und nicht nur zentral in der Innenstadt. Warum hat es bisher vom Bündnis islamischer Gemeinden keine offizielle Stellungnahme zum Attentat von Solingen gegeben? Kefeli: Die wird es geben. Wir wollen zunächst die Ermittlungsergebnisse abwarten, denn noch wissen wir nicht, ob der Täter das Attentat tatsächlich im Namen des Islam begangen hat, wie der IS es behauptet. Wir haben immer wieder kundgetan, dass wir Taten wie diese verabscheuen. Wo Grausamkeit und Gewalt proklamiert werden, kann kein Anspruch erhoben werden, im Namen des Islam zu handeln. Was wünschen Sie sich für die Zukunft in Bezug auf das Thema Integration in Bielefeld? Adilovic: Wir reden über Islamismus, was streng von der Lehre des Islam zu trennen ist. Aber warum reden wir nicht über Klerikalismus? Ich denke, dass die Gesellschaft dann ein differenzierteres Bild über religiösen Fanatismus bekommt, den es in allen Religionen gibt – weltweit. Kefeli: Wir haben einen starken Rechtsstaat und wir haben ein Grundgesetz, dessen 75-jähriges Bestehen wir gerade gefeiert haben. Wir haben alle Instrumente. Das sage ich als angehender Jurist. Aber es braucht eine Kooperation und eine wertschätzende Begegnung auf Augenhöhe ohne Bevormundung. Das bedeutet anzuerkennen, dass es eine kulturelle Vielfalt gibt, in der wir uns gegenseitig respektieren. Der gemeinsame Nenner ist unser Rechtsstaat und unser wertebasiertes Grundgesetz. Das ist unsere gesellschaftliche Leitkultur in einer funktionierenden Demokratie. .responsive23-X8U6ITwFxzgV6bH2-multimap-tote-und-verletzte-in-solingen { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-X8U6ITwFxzgV6bH2-multimap-tote-und-verletzte-in-solingen { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-X8U6ITwFxzgV6bH2-multimap-tote-und-verletzte-in-solingen { padding-top: 142.86%; } }

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