Bielefelder Klinik bietet außergewöhnliche Behandlung für Frühchen an

Bielefeld. Der kleine Oskar liegt ruhig da, sanft an den Oberkörper seiner Mutter geschmiegt, die mit ihm auf einem Stuhl sitzt. Ein winziges Händchen liegt entspannt auf ihrem Shirt. Unter dem Mützchen sind ein Beatmungsschlauch und einige Kabel zu sehen. Sie sind mit Geräten verbunden, die mithelfen, dem kleinen Mann das Überleben zu sichern. Trotz der Ruhe um Mutter und Kind in dem kleinen Zimmer auf Station K2 in Gilead I blinkt dies und das, hört man die Geräusche der Überwachungsmonitore, Stimmen auf dem Flur, das Piepen entfernter Geräte. Doch Oskar, der Mitte Mai mit rund 410 Gramm Gewicht 15 Wochen zu früh auf die Welt kam, scheint ganz entspannt zu sein. &bdquo;Mithilfe der Klänge entwickeln sich schon die Kleinsten besser“ Gerade hat er Besuch von Cordula Fach und Nele Schwedler, die als Musiktherapeutinnen im Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB) arbeiten und auf einem kleinen kastenartigen Instrument mit Metallzungen namens &bdquo;Sansula“ sanfte Klänge erzeugen. Fach stimmt eine leise Melodie an, Oskars Mutter ist eingeladen einzustimmen. Lesen Sie auch: Ein glücklicher Fratz. So geht es dem 305-Gramm-Frühchen ein Jahr später. Die Eltern kommen jeden Tag aus 30 Kilometern Entfernung nach Bethel, um ihren kleinen Jungen zu sehen, ihm Nähe und Geborgenheit zu geben, zu lernen, ihn in trotz seiner Zerbrechlichkeit selbst zu versorgen. Neben allen medizinischen Interventionen, dem Dauer-Monitoring, einer OP und der behutsamen Betreuung durch eigens geschulte Pflegekräfte und Ärzte, ist die Musiktherapie seit 2006 ein wichtiger Baustein in der Frühchen-Versorgung in Bethel. Studien belegen, dass schon Frühgeborene auf Melodie und Rhythmus reagieren und sich mit einer ergänzenden Musiktherapie besser entwickeln. Dies beobachtet man in Bethel ebenfalls und kann es anhand veränderter Daten und Werte nachweisen, die die Monitore anzeigen. &bdquo;Ist ein Kind besonders unruhig und wird dann von sanften Tönen begleitet, sehen wir, wie sich Puls und Herzrhythmus normalisieren, oft sogar, dass die Sauerstoffsättigung besser wird“, berichtet Fach. Manche Eltern plagen Schuldgefühle Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an Ein Beitrag geteilt von Evangelisches Klinikum Bethel (@evkbethel) Kindern, die viel zu früh auf die Welt kommen, Angst oder Stress empfinden, könne man mit Tönen und Gesang Sicherheit und mehr Wohlbefinden geben. Die Kleinen erkennen Laute oder Geräusche wieder, die sie bereits im Mutterleib wahrnahmen, aus dem sie so abrupt &bdquo;ausziehen“ mussten. Jene, die gelangweilt oder schläfrig wirkten, könne man mit anderen Tönen aktivieren – was ebenfalls ihrer Entwicklung nütze. Ein deutlich größeres Instrument als die Sansula ist die Klangwiege, ein rechteckiger Holzkasten mit Mulde auf der einen Seite, Saiten auf der anderen, die angeschlagen oder gezupft werden können. Das Kind kann in der Mulde platziert werden. Während die Therapeutin die Saiten bedient, nimmt es die Schwingungen der Töne mit seinem ganzen zarten Körper wahr. Oder man benutzt die Klangwiege auch separat als Instrument. &bdquo;Wir lernen, was dem jeweiligen Kind gut tut, und auch, was es nicht so gerne hat“, berichtet Cordula Fach. Und Stefan Heinzel, Leitender Arzt für Neonatologie auf der Neugeborenen-Intensivstation, ergänzt: &bdquo;Auch extreme Frühchen sind schon ganz eigenständige kleine Kerlchen mit Vorlieben und Abneigungen.“ Von der Wirkung der Musiktherapie ist der erfahrene Arzt überzeugt. Und er beobachtet einen weiteren Effekt – einen auf die Eltern: &bdquo;Viele plagen große Ängste um ihre Kinder, die oft schon viel mitmachen mussten, aber es plagen sie oftmals auch Schuldgefühle.“ Manche werfen sich insgeheim vor, dass die zu frühe Geburt an ihnen liegt, dass sie vielleicht in der Schwangerschaft etwas falsch gemacht haben, da sie es &bdquo;nicht geschafft hätten“, ihr Kind bis zur Geburtsreife im Bauch zu halten. &bdquo;Es gibt eigentlich? keine Kultur ohne ?Musik und Klänge“ Das seien oft ganz irrationale Sorgen, die aber sogar dazu führen könnten, dass Eltern allzu große Nähe zum Kind vermeiden, &bdquo;um vorbereitet zu sein, falls das Kleine nicht überlebt“. Die aktive Beteiligung an der Therapie sei aber wichtig. Sie bringe Eltern ins Handeln und unterstütze den so wichtigen Bindungsaufbau – heilsam für Eltern und Kinder. Gerade die Phase, in der das Kind den Inkubator verlassen dürfe, ermögliche Berührung und körperliche Nähe, etwa auf der Brust von Vater oder Mutter. Das sogenannte &bdquo;Bonding“ sei für die Kleinen überlebenswichtig. Lesen Sie auch: Musiktherapie im Kinderherzzentrum Bad Oeynhausen. Die Fachkräfte berichten aber auch von Familien, die es nicht leisten können, jeden Tag beim Kind zu sein. Weil Geschwister zu versorgen sind oder ältere Angehörige. Oder weil die Anreise sehr weit ist. &bdquo;Gerade dann kommen wir mit der Musiktherapie ins Spiel“, so Schwedler. Diese könne auch darin bestehen, dem Kind Stimmen oder Töne von Eltern und Geschwistern ins Bettchen zu spielen, die zuvor per Smartphone aufgenommen wurden. Die Methode der sanften Beschallung kleiner (und großer) Kinder sei sehr alt: &bdquo;Es gibt eigentlich keinen Kultur ohne Musik oder Klänge“, so Fach. Dennoch hat es eine Weile gedauert, bis sie Eingang in die Kinder-Krankenpflege gefunden hat. Die Therapie bahnt den Kleinen einen guten Weg ins Leben Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an Ein Beitrag geteilt von Evangelisches Klinikum Bethel (@evkbethel) &bdquo;Wenn Mama (oder Papa) das Kind besingt, wirkt dies direkt auf den Mandelkern des Gehirns. Das Kind kann in diesem Moment keine Angst mehr empfinden“, beschreibt Schwedler die heilsame Dynamik. Zugleich werde die Hirnreifung angeregt. Cordula Fach ergänzt: &bdquo;Kinder nehmen schon im Mutterleib Geräusche wahr – den mütterlichen Herzschlag, das Rauschen des Fruchtwassers. Wir machen uns das zunutze, simulieren diese Töne und Rhythmen.“ Die Stimme, Töne und Geräusche sind die einzige Konstante für die Kinder in dieser Lebensphase. In Bethel ist man bemüht, ihnen mit ihrer Hilfe einen guten, gesunden Weg ins Leben zu bahnen.

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