Neugeborenes in Bielefeld getötet: Hatten die Eltern die Tat abgesprochen?

Bielefeld. Die anfängliche – zumindest äußerliche – Souveränität wich zusehends, die Worte kamen zögerlicher, dann flossen die Tränen und die Angeklagte verstummte gänzlich: Vor dem Landgericht hat sich nach mehreren Verhandlungstagen nun erstmals die 20-jährige Angeklagte zu den gegen sie und ihren Partner erhobenen Vorwürfen geäußert. Das junge Paar ist angeklagt, im vergangenen November ihren gemeinsamen Sohn unmittelbar nach der Geburt mit Messerstichen getötet zu haben. Das Drama, das sich am Abend des 23. Novembers des vergangenen Jahrs in einer Wohnung in Ummeln abgespielt haben sollte, war für Außenstehende offenbar nicht erkennbar. Noch am frühen Abend hatte das nun angeklagte Paar den Rettungsdienst verständigt, weil es der hochschwangeren Frau nicht gut ging und sie über leichte Blutungen klagte. Ein nun als Zeuge vor Gericht befragter Notfallsanitäter gab an, dass ihm alles in allem nichts besorgniserregend Ungewöhnliches aufgefallen sei. Das junge Paar habe leichte Anzeichen von Überforderung mit der Situation gezeigt, doch sei dies, so der Sanitäter, bei vielen Frauen der Fall, die erstmalig schwanger seien. Mehrfach ändert die Angeklagte ihre Version Ungewöhnlich sei gewesen, dass die beiden nicht krankenversichert gewesen seien, weshalb das Paar eine Geburt in der Wohnung ins Auge gefasst habe. Da kein medizinischer Notfall vorgelegen habe, &bdquo;hatte es sich dabei dann auch mehr um einen beratenden Einsatz gehandelt“, gab der Zeuge an. Die werdende Mutter habe nicht mit ins Krankenhaus gewollt, &bdquo;weshalb ich ihr sagte, dass sie uns jederzeit wieder rufen könne, wenn etwas wäre“, so der Notfallsanitäter. Lesen Sie auch: Baby getötet - neue Details zu den Eltern Den weiteren Verlauf des Abends schilderte dann die angeklagte Bielefelderin. Die Sanitäter seien etwa 20 Minuten weg gewesen, als sie das Gefühl gehabt habe, dringend zur Toilette zu müssen. Dort angelangt, sei in einer Sturzgeburt zu ihrer großen Überraschung ihr Sohn zur Welt gekommen. Ihr Freund und Vater des Kinds, der nun ebenfalls angeklagte 22 Jahre alte Bielefelder, soll den kleinen Jungen, den das Paar Kevin nennen wollte, sodann in die Dusche gelegt haben. Irgendwann sei das Kind dann in einer Einkaufstüte gewesen. Erinnerung an Einzelheiten fehlt Wie – und vor allem warum – es genau dorthin gekommen sei, wisse sie nicht mehr, gab die Mutter an. Sie habe nach der Geburt mit derartiger Schwäche zu kämpfen gehabt, dass sie sich an viele Einzelheiten nicht mehr erinnere. Mehrfach redete der Vorsitzende Richter Carsten Glashörster der 20-Jährigen ins Gewissen, machte seine Zweifel an dem Gesagten deutlich – und mehrfach veränderte die junge Frau ihre Version der Ereignisse. Schließlich – mittlerweile wirkte die sonst recht selbstsicher scheinende Angeklagte eher verzweifelt – sagte sie nach mehreren Korrekturen, dass ihr Freund das Badezimmer verlassen und kurz darauf &bdquo;mit etwas Spitzem in der Hand“ wieder zurückgekehrt sei. Sie habe dann ein Knacken im Bereich des Brustkorbs von Kevin gehört. Richter Glashörster fragte: &bdquo;Haben Sie dann dahin geguckt?“ Die Antwort: &bdquo;Nö.“ Der Richter bohrte weiter: &bdquo;Warum nicht? Weil Sie wussten, was passiert war?“ So schildert die Angeklagte die Situation Im Gerichtssaal war es in diesem Moment beinahe unwirklich still, es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die 20-Jährige schließlich leise sagte: &bdquo;Ich habe mir in dem Moment eigentlich nichts Schlimmes gedacht. Ich wollte aber nicht hingucken, weil ich Angst davor hatte, dass es doch etwas Schlimmes gewesen sein könnte.“ Schließlich habe sie doch kurz hingesehen. &bdquo;Ich wollte das nicht wahrhaben. Ich wollte das Bild mit dem Baby in der Dusche und all dem Blut drumherum aus dem Kopf kriegen.“ Schließlich sei ihr Freund wieder hinzugekommen und habe das Kind in eine Tüte getan. Auf die weiteren Nachfragen des Richters reagiert die junge Frau nicht mehr. Zuvor hatte sie noch angegeben, dass ihr Freund die Wohnung gegen drei Uhr morgens verlassen habe, um das Baby zu begraben. Kind sollte angeblich zur Adoption freigegeben werden Der Vermutung, dass die Kindstötung möglicherweise geplant gewesen sei, trat die Angeklagte vehement entgegen. Vielmehr habe das Paar vorgehabt, den kleinen Jungen zur Adoption freizugeben. In diesem Zusammenhang hielt Richter Glashörster der 20-Jährigen eine verstörende Chat-Nachricht ihres Freunds vom Juli 2023 vor, in der dieser fragte, wie weit sie gehen und ob sie das Kind töten werde. Diese Nachricht, so die Angeklagte, habe sie überhaupt nicht ernst genommen. Der 22-jährige Vater des Kindes, der den kleinen Kevin kurz nach dessen Geburt erstochen haben soll, verfolgte die Aussage seiner Freundin – die Beziehung besteht nach übereinstimmender Aussage der Angeklagten weiterhin – mit merklicher Anspannung. Bislang hat auch er geschwiegen, sein Verteidiger Peter Rostek kündigte nun jedoch eine Einlassung seines Mandanten für einen der kommenden Verhandlungstage an. Der Prozess wird am 14. August fortgesetzt.

Meistgelesen