Kunden werden an der Tür abgezählt: Großer Ansturm vor dem Bielefelder Karstadt-Aus

Bielefeld. Kaufhaus-Nostalgiker müssen derzeit ganz stark sein, wenn sie etwas bei Galeria-Karstadt in Bielefeld einkaufen wollen. Und sie müssen eine Menge Geduld mitbringen. Denn die Zeiten, in denen der Kundschaft zum gediegenen Einkauf aufgeräumte und gut gefüllte Regale zur Verfügung standen und die Waren binnen weniger Minuten bezahlt werden konnten, sind kurz vor dem endgültigen Aus unwiderruflich vorbei. Mehr noch: Um dem Ansturm der Schnäppchenjäger Herr zu werden, regeln die Mitarbeiter einer Security-Firma den Zustrom in die Filiale, in der kaum noch etwas an die glänzende Ära des Konsumtempels erinnert. In dem Gedränge vor der Tür an der Bahnhofstraße herrscht trotz der Wartezeit vergleichsweise gute Laune. &bdquo;Ich will Parfüm, ,Cool Water von Davidoff. Das gibt’s für 40 Prozent billiger“, sagt ein junger Mann zu seinem ebenfalls wartenden Begleiter. Der linst durch das Fenster in das Kaufhaus hinein – und ist mit Blick auf die deutlich sichtbar geleerten Regale skeptisch. &bdquo;Glaubst du denn, dass es das überhaupt noch gibt?“ Vermutlich wird der junge Mann gestern nicht mehr erfahren haben, ob er seinen Duft noch zum günstigen Preis bekommen wird. Denn immer wieder tritt der Filialgeschäftsführer vor die Tür, um die Menschen zum Weitergehen aufzufordern. &bdquo;Wir haben zur Zeit mehr als 100 Meter Schlange an den Kassen“, ruft Peter Erb. &bdquo;Es wird in nächster Zeit keinen Einlass geben!“ Murrend ziehen einige Menschen weiter, andere bleiben eisern vor der Tür stehen. Ausnahmesituation am Jahresende Erb zuckt mit den Schultern. Er könne nur um Verständnis werben. Denn die letzten Tage des Jahres seien eine echte Ausnahmesituation. &bdquo;Was wir hier momentan erleben, hat nichts mit einem normalen Warenhaus zu tun“, räumt er ein. &bdquo;Es ist ein Abverkauf.“ Die Mitarbeiter werden dafür von Kräften eines eigens dafür engagierten Dienstleisters unterstützt. Zudem ist nach dem noch in vergleichsweise normalen Bahnen verlaufenen Geschäft vor Weihnachten nun auch einiges Sicherheitspersonal notwendig geworden. Denn seit der Wiedereröffnung nach den Feiertagen kommen derart viele Menschen, dass Einlassbeschränkungen ergriffen werden mussten. &bdquo;Wir haben uns da an unsere Regelungen während der Corona-Zeiten erinnert“, erläutert Erb. 650 Personen wurden beim Einlass abgezählt, wenn 50 Kunden das Haus verlassen haben, werden die nächsten 50 wieder eingelassen. &bdquo;Sonst könnten wir hier die Sicherheit nicht mehr gewährleisten“, beteuert Erb. Insgesamt würden die Menschen zwar enttäuscht, aber besonnen reagieren – die große Menge bleibt ruhig. Diejenigen, die sich nicht wegschicken lassen wollen, fallen dadurch umso deutlicher auf: Lautstarke Diskussionen mit Security-Mitarbeitern gehören ebenfalls zum aktuellen Karstadt-Alltag wie schimpfend wieder vor die Tür gesetzte Leute, die sich durch einen Ausgang hineinschleichen wollten. Nahezu keine Ähnlichkeit mehr mit Karstadt von einst Durch die rigiden Einlassregeln geht es im Inneren des Kaufhauses vergleichsweise gesittet zu. In den Gängen und auf den Rolltreppen herrscht kein Gedränge, die Kunden haben viel Platz zum Stöbern – auch wenn viele Regale und Kleidungsständer bereits leer sind. Mit 60 Prozent Rabatt werden im Obergeschoss bei den Haushaltswaren Auflaufformen, Schüsseln und Salatschleudern verschleudert, bei der Kleidung locken sogar Schilder mit Rabatten von bis zu 80 Prozent. Mit dem Karstadt von einst hat das Ganze allerdings nur noch wenig zu tun. Hatte man früher die Chance, in dem riesigen Angebot exakt die Hose, genau das Hemd oder passenden Ersatz für Omas Kaffeeservice zu bekommen, ist der Einkauf momentan eher Glückssache: Gekauft wird, was da ist. &bdquo;Wir wollten eigentlich nach Schuhen gucken“, sagt Stefanie Klein, die mit Freunden und Familie &bdquo;spontan und eher aus Neugier“ eigens aus Leopoldshöhe gekommen ist. In ihrem Korb gelandet sind dann ganz andere Dinge: Eine Strickjacke oder reduzierte Oberbekleidung. Während ihre Begleiter noch durch die Etagen streifen, um noch das eine oder andere spannende Angebot zu finden, steht Klein bereits an einer der fast auf jeder Etage geöffneten Kassen. Seit eineinhalb Stunden – und der Schalter, an dem wie am Fließband abkassiert wird, ist noch weit entfernt. &bdquo;Das werden wohl insgesamt zwei Stunden Wartezeit werden“, mutmaßt sie. Besonders strapaziert wird der Geduldsfaden der Kunden im Erdgeschoss an der zentralen Kasse. Dort windet sich die Schlange einmal quer durch den ganzen Laden bis zum bereits geschlossenen Reisebüro. Deutlich leerer ist es derweil im Lebensmittelmarkt im Untergeschoss, der am heutigen Samstag seinen letzten Öffnungstag hat. Auch hier sind viele Regale bereits leer, die einstmals gut sortierte Obst- und Gemüse-Abteilung besteht nur noch aus einer größeren Hand voll Äpfel und Orangen. Und auch dort, wo vor wenigen Wochen noch Käse oder Wurstspezialitäten im Stile eines veritablen Feinkostgeschäfts angeboten wurden, herrscht gähnende Leere. An der Fischtheke hält eine einzelne Lachsseite auf Eis die Stellung, auf der Tafel an der gekachelten Wand ist statt des Tagesangebotes &bdquo;Unsere Empfehlung: Bye Bye, es war schön mit Euch!“ zu lesen. &bdquo;Fragen Sie nicht weiter, sonst muss ich noch weinen“ Einzig die Brathähnchen, deren Geruch zur &bdquo;Heißen Theke“ des Lebensmittelmarktes untrennbar dazugehörte, liegen noch frisch zubereitet in der Auslage. &bdquo;Da haben wir für Samstag auch noch welche“, sagt eine Mitarbeiterin, winkt dann aber ab. &bdquo;Dann sind das aber wirklich die letzten, die wir hier braten. Aber jetzt fragen Sie nicht weiter, sonst muss ich noch weinen.“ Eine andere Mitarbeiterin, die ebenfalls namentlich nicht genannt werden möchte, zeigt sich eher erleichtert, dass für Galeria-Karstadt nun aus dem Schrecken ohne Ende ein Ende mit Schrecken geworden ist. &bdquo;Ganz ehrlich: Ich bin froh, dass es vorbei ist“, sagt die Frau. &bdquo;Das ist immerhin schon die dritte Insolvenz, die ich hier mitgemacht habe.“ Wann es genau mit Karstadt in Bielefeld vorbei ist, steht indes noch nicht fest. Sicher ist, dass der Tag X im Januar sein wird. &bdquo;Wir verkaufen auf Null ab“, sagt Peter Erb. Der beauftragte Dienstleister habe Erfahrungen damit abzuschätzen, wann die Lager und die Verkaufsflächen so geleert sind, dass sich eine weitere Öffnung nicht mehr lohnt. &bdquo;Es wird dann einen Countdown wie ,Noch 3 Tage! geben, den wir mit Plakaten nach außen kommunizieren“, sagt der Filialgeschäftsführer. &bdquo;Es wird wohl auf die Mitte des Monats hinauslaufen.“ Vielleicht wird es bis dahin auch der junge Mann aus der Menschentraube noch einmal sein Glück mit dem Davidoff-Duft versuchen. Zumindest gestern standen in der ansonsten schon fast leeren Parfümerie noch einige Flaschen &bdquo;Cool Water“ im Regal.

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