Gewalt in Zügen: Bundespolizei erklärt in Bielefeld, wie sich Opfer wehren können

Bielefeld. Vier junge Männer beginnen in der Bahn, einen anderen jungen Mann zu attackieren. Erst mit Blicken, es folgen Sprüche, Drohungen. Dann werfen sie mit Gegenständen, danach wird es körperlich. Eine junge Frau schaut halb hin, halb weg, macht nichts. Zivilcourage? Fehlanzeige. Doch was tun? Was tun? Das wissen drei Bundespolizisten, die einen Lehrgang leiten. Einen besonderen. Geschult werden 16 Kolleginnen und Kollegen, aus ganz Deutschland - fünf Tage lang. Sie sollen, immer zu zweit, an Schulen Neunt- und Zehntklässlern nahebringen, was Zivilcourage ist, wie sie funktioniert. Dabei lernen die Schüler auch, was sie zu Opfern macht, wie die Opferrolle verhindert werden kann. Dabei werden Fakten vermittelt, die jeder und jede von uns kennen sollte. Denn zu 55 Prozent entscheidend seien Gestik und Mimik, zu 38 Prozent Stimme und Tonfall, erklären die Experten. Wer sich groß macht, den Blick nicht senkt, laut und eindeutig spricht, werde seltener Opfer. Regeln der Zivilcourage Im Schulungszentrum der Bundespolizei an der Detmolder Straße übernehmen Azubis der Behörde die Rolle der Schüler. Und lernen: Zivilcourage hat ein paar Regeln, die wichtigste: Sich immer dem Opfer zuwenden, immer das Opfer in den Fokus nehmen. Nie die Täter. "Um die kümmert sich die Polizei", sagt Polizeihauptkommissar Hermann Lampen. Heißt: Wenn die junge Frau in der Bahn aufsteht und den vier Männern zuruft, sie sollten aufhören, macht sie einen Fehler. Einen, den Azubi Irem Eroglu (21) gemacht hätte. "Ja, ich hätte die vier angesprochen." Denn: Nichts tun, das wäre nichts für sie. Und so lernt sie, dass es bessere Optionen für ihre Zivilcourage gibt. Zum Opfer zu gehen und es anzusprechen, vielleicht mitzunehmen in ein anderes Abteil. "Hey, hinten sind Mitschüler, komm mal mit." In dieser Art. Oder im Zug Menschen ganz direkt um Hilfe zu bitten und dann als Gruppe das Opfer einzubinden. Oder im Zug den Notruf zu drücken. Oder die Bahnbegleitung anzusprechen. Oder 110 zu wählen - auch das besser in einem anderen Abteil. Hinzu kommen Notfall-Apps wie "Nora" und "SafeNow". Am Anfang der Gewalt aktiv werden All das sei möglich und berge für Helfer kaum Risiken, sagt Lampen. Für ihn steht fest: "Nichts tun geht nicht." Motto: "Ich helfe, aber ich bringe mich nicht in Gefahr." Keine gute Idee: Selbst mit dem Handy zu filmen. Lampen erklärt auch, wann gehandelt werden sollte. Drei Phasen der Eskalation bei Konflikten gebe es, jede beinhalte bereits Formen von Gewalt. Zuerst die nonverbale, in der es um Körpersprache gehe, in der sich Täter Opfer suchten. Es folge die Phase der Distanzverringerung: durch extreme Nähe, auch durch Höhenunterschiede (stehen/sitzen). Täter ließen so ihre Stärke wachsen und die des Opfers schrumpfen. Und dann: Die Phase der körperlichen Gewalt. Lampen zu den Schülern: "Reagieren Sie in der ersten Phase - sowohl als Opfer als auch als derjenige, der Zivilcourage zeigt." Als Opfer durch Aufstehen, Augenhöhe schaffen, lautes Rufen, sich aus der Situation entfernen. Als Helfer so, wie oben beschrieben. Lampen nennt das: "Aktives, gewaltfreies Handeln." Entscheidend sei: "Spätestens in der zweiten Phase muss man aktiv werden, sonst lässt sich die dritte nicht mehr verhindern." Die Fehler der Opfer Es geht um Zivilcourage, aber auch um die Opfer. In der Bahn, wo die Bundespolizei zuständig ist, gibt es ein paar Tricks. Lampen und seine Kollegen Thomas Schlageter und Carsten Weidanz führen sie den Azubis und Kollegen im Rollenspiel vor Augen. Durchaus drastisch, aber dicht dran an der Realität. Irem Eroglu ist Opfer. Im Zugabteil, in dem geschult wird, sitzt sie am Fenster, wird von Weidanz und Lampen bedrängt. Kommt nicht raus aus der Situation, schreit aber immerhin laut. Tipp der Experten: Nicht am Fenster sitzen, möglichst auch nicht in der Zweier-Reihe. Zu eng, zu eingeschränkt. Wer im Vierer-Sitzbereich am Gang sitzt, kann schneller raus aus einer Konfliktlage. Wer zügig aufsteht, kann nicht durch Druck auf die Beine unten gehalten werden. Schafft Augenhöhe, wird sichtbar. Und auch die Toilette taugt als Ort, sich zu entfernen. Es gelte: Früh reagieren - dann, wenn das Bauchgefühl ungut ist. Bundespolizei geht in Schulen Das soll geübt werden, verbunden mit Tipps zur Zivilcourage. Eine Zukunftsaufgabe: Den 16 geschulten Trainerinnen und Trainern sollen weitere folgen. Für ihre Arbeit in den Schulen (zusammen mit der Schulsozialarbeit) lässt die Bundespolizei mobile Zugabteile bauen. Anfangs je eines für jede Direktion, später könnten es mehr werden. Ziel: je eines für jede der 56 Inspektionen. Aufbaubar binnen 15 Minuten. Für Bielefeld ist die Inspektion Münster zuständig. Hat eine Schule Interesse, weil besonders viele Schüler Bahn fahren und es Probleme gibt, kann sie sich an Münster wenden. Dass Prävention dieser Art etwas bringt, sei Fakt, so Lampen: "Wir haben das Projekt evaluiert, es wirkt." In Delmenhorst sei es, dank diverser Präventions- und Street-Work-Projekte gelungen, die Zahl der Vorfälle um 90 Prozent zu senken.

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