Wochenendkommentar

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"Kein Respekt mehr": Neue Eskalationsstufe auf Bielefelds Fußballplätzen

Wenn ein Unparteiischer wie beim Kreisliga-B-Spiel zwischen TuS Brake II und SV Roj bewusstlos zu Boden geht, ist eine rote Linie überschritten.

Der Screenshot eines Handy-Videos zeigt den am Boden liegenden Braker Fußball-Abteilungsleiter Jörg Pundmann und die aufgebrachte Menge aus Spielern und Zuschauern. | © Repro Grundmann

Stefan Gerold
14.10.2023 | 14.10.2023, 10:10

Natürlich ist es nicht die Regel, dass ein Schiedsrichter bei einem unterklassigen Fußballspiel durch einen Ballwurf an den Hinterkopf bewusstlos zu Boden geht und sich danach eine Massenschlägerei auf dem Platz entwickelt, so wie jetzt beim Kreisliga-B-Spiel zwischen TuS Brake II und SV Roj. Dennoch stellt dieser Fall eine weitere Eskalationsstufe dar. Die Verrohung der Sitten auf den Sportplätzen nimmt überhand, es herrscht oft genug eine von Aggressivität und Feindschaft aufgeheizte Atmosphäre. Der Respekt vor dem Unparteiischen tendiert mittlerweile oft gegen null.

Natürlich ist das, was sich auf den Amateursportplätzen Woche für Woche abspielt, auch ein Spiegelbild dieser Gesellschaft, es geht rauer und kälter zu, es wird mit harten Bandagen und oft unter der Gürtellinie attackiert. Die Hemmschwellen sind gesunken, gibt es überhaupt noch welche?

Bei der Partie zwischen TuS Brake II und SV Roj anscheinend nicht. Neben dem Knockout des Schiedsrichters gab es bei der Schlägerei mit angeblich 50 Beteiligten mehrere Verletzte und mit Jörg Pundmann, Abteilungsleiter Fußball beim TuS Brake, einen Schwerverletzten. Er trug vier gebrochene Rippen und eine Lungenquetschung davon. Die Polizei musste einschreiten, es wurden mehrere Strafanzeigen gestellt.

Rassistische Äußerungen Auslöser

Auslöser der Massenschlägerei sollen rassistische Äußerungen gegen die Spieler des SV Roj von Seiten eines Braker Offiziellen gewesen sein, erhebt Roj-Vorstandsmitglied Rocky Cinquepalmi schwere Vorwürfe. Der 2015 gegründete Verein versteht sich als multikultureller Klub, bei dem jeder willkommen sei, egal, welcher Herkunft und welches Glaubens. Sollten sich die rassistischen Äußerungen bewahrheiten, gibt es nach diesem Spiel ganz viele Verlierer: den SV Roj, den TuS Brake, den Amateurfußball, die Fairness, den Respekt, die Menschlichkeit und die Integration.

In der Saison 2021/2022 sind 911 Fußballspiele in Deutschland aufgrund von Gewalt- oder Diskriminierungsvorfällen abgebrochen worden. Seit 2014 lässt der DFB auf Basis der Online-Spielberichte der Unparteiischen ein Lagebild des Amateurfußballs erheben. Noch nie mussten so viele Spiele in einer Saison abgebrochen werden. Um eine wirksame Bearbeitung der Vorfälle zu gewährleisten, ist in jedem der 21 Landesverbände des DFB eine Anlaufstelle für Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle eingerichtet worden. Mit Alexander Lüggert kümmert sich in Westfalen ein hauptamtlicher Mitarbeiter um die besonderen Vorkommnisse des Wochenendes. Darunter fallen Spielabbrüche, aber auch Diskriminierungen oder Handgreiflichkeiten. Lüggert ersetzt dabei nicht die Sportgerichtsbarkeit, sondern soll deeskalierend wirken und die Beteiligten sensibilisieren, um künftigen Gewaltausbrüchen vorzubeugen. Auch nach den Vorkommnissen Brake gegen Roj wird er tätig werden. Gut, dass der Verband einer weiteren Verschärfung der Situation entgegenwirkt und das Thema Gewaltprävention institutionalisiert hat.

Rote Linie überschritten

Doch ob der Schiedsrichter jemals wieder ein Spiel pfeifen wird? Hoffentlich wird er von seinen Schiedsrichter-Kameraden dementsprechend aufgefangen und betreut. Es ist respektlos und traurig, was sich manche Spieler oder Zuschauer gegenüber den Unparteiischen herausnehmen. Wenn aber ein Schiedsrichter gar bewusstlos zu Boden geht, ist eine rote Linie überschritten. Das gehört hart bestraft. Zu Recht verfolgt der Fußball- und Leichtathletik-Verband Westfalen (FLVW) eine Null-Toleranz-Politk gegenüber Gewalttätern und hat zu dieser Saison die Strafen bei Gewalt im Amateurfußball noch einmal verschärft.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass gerade mal 0,075 Prozent der über 1,2 Millionen vom DFB mit einem Online-Spielbericht erfassten Spiele in der Saison 2021/2022 abgebrochen worden sind. Die ganz große Mehrheit der Freizeitkicker weiß sich auf dem Platz also zu benehmen und will einfach nur Fußballspielen.