Kritik am Staat: Glücksspiel- und Wettsucht ist in Bielefeld ein großes Problem

Bielefeld. Die Gewinne bleiben im Kopf hängen, die Verluste meist nicht. Deshalb spielen so viele immer weiter. Glücksspielsucht ist eine perfide Sucht, weil die Abhängigkeit nicht sofort spürbar wird – wie bei einem Kater nach dem Trinken. Sowohl Angehörige oder Freunde, aber auch die Betroffenen selbst brauchen Jahre oder sogar Jahrzehnte, bis sie die Sucht erkennen. Größtes Suizidrisiko Die meisten Süchtigen suchen sich erst professionelle Hilfe, wenn es fast zu spät ist, sagt Frank Gauls, Gesprächspsychotherapeut und Leiter der Fachstelle Glücksspielsucht des Evangelischen Klinikums Bethel. Zu dem Zeitpunkt sei bei vielen die Ehe oft schon zerbrochen oder zumindest gefährdet oder es drohe ein Jobverlust, bei fast allen drückt die Schuldenlast auch auf die seelische Gesundheit. Der Therapeut weiß: &bdquo;Veränderung passiert nur, wenn der Leidensdruck hoch genug ist.“ Glücksspielsüchtige haben laut Gauls das größte Verschuldungsrisiko und die höchste Suizidrate. Deshalb ärgert er sich über den 2021 in Kraft getretenen Glücksspielstaatsvertrag. Er soll die Sucht nach Glücksspiel und Wetten verhindern. &bdquo;Tatsächlich ist der Onlinemarkt nun faktisch unter staatlicher Kontrolle. Alle Anbieter benötigen eine deutsche Lizenz. Dadurch ist der Markt aber nun auch geöffnet. Online-Glücksspiel macht nun den Anschein, etwas völlig Normales zu sein.“ Malta als Spiel-Heimat Auf der Whitelist der &bdquo;Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder“, also der Liste der in Deutschland lizenzierten Anbieter, befinden sich 31 Sportwetten-Unternehmen. Zum Erschrecken von Gauls sitzen 25 von ihnen auf Malta. Nur zwei der Unternehmen kommen aus Deutschland. Bei den virtuellen Automatenspielen sind 29 von 41 Anbieter-Unternehmen auf Malta ansässig. Beim Online-Poker gibt es nur fünf Lizenzimnhaber. Alle sitzen auf Malta. &bdquo;Das hat nicht nur mit den Steuern zu tun. Dort wurde kürzlich ein Gesetz verabschiedet, dass die Firmen vor Schadenersatzklagen aus dem Ausland schützt.“ Online-Spiel im Trend Poker, Roulette, einarmige Banditen und alle Arten von Sportwetten gehören laut Gauls zum Bereich des &bdquo;Hard Gambling“ – also dem Berich mit dem höchsten Suchtpotenzial. &bdquo;Dieser Bereich ist nun online überall präsent. Es gibt keine Sportveranstaltung mehr ohne großen Werbeblock für Online-Sportwetten.“ Gerade bei diesen Angeboten sei der Einstieg sehr niedrigschwellig möglich, kritisiert Gauls. &bdquo;Früher war die größte Gruppe unserer Glücksspielsüchtigen die Gruppe der Automatenspieler. Heute sind es größtenteils Online-Spieler.“ Suchtmittel: Finanzmarkt Auch hochspekulative Trading-Geschäfte, also Finanzwetten mit sogenannten Hebelprodukten, gehörten zu den Wettsucht-Problemen mit Aufwärtstrend. Gauls hat auch Patienten, die eigentlich viel Geld verdienen – Menschen mit hohem Ansehen, in leitenden Funktionen. &bdquo;Viele von ihnen haben geglaubt, dass sie so viel Ahnung vom Sport oder den Finanzmärkten haben, dass ihr Risiko relativ gering ist. Aber in Wahrheit sind weder die Weltmärkte vorhersehbar noch ein Fußballspiel. Sie verbrennen alles.“ Die Familie bedroht Die meisten seiner Patienten hätten bereits 50.000 Euro Schulden, viele sogar 100.000 Euro und mehr, wenn sie zu ihm kämen. Die Schulden bringen oft weitere ernste Probleme mit sich: &bdquo;Manche haben sich bei zwielichtigen Personen bei Hinterzimmer-Pokerrunden horrende Summen geliehen. Nun werden sie und ihre Familien bedroht, weil sie das Geld nicht zurückzahlen können.“ Andere versuchen, in der Firma Geld abzuzweigen. Das Unternehmen ruiniert &bdquo;Ich kenne einen Fall, da hat ein Mitarbeiter mit 250.000 Euro Schulden das ganze Unternehmen in Gefahr gebracht.“ Andere verlieren wegen des Geldes Freunde oder ruinieren ihre Familie. An diesen Stellen versucht die Therapie anzusetzen: die Ehe retten, das Schuldenproblem lösen. &bdquo;100.000 Euro Schulden abzubezahlen dauert Jahre. Leider agieren Spielsüchtige hierauf völlig irrational: Sie glauben, dass sie das Problem nur mit einem großen Gewinn lösen können.“ Deutlicher Sucht-Anstieg Die Forschung geht inzwischen davon aus, dass der Anteil der Glücksspieler in unserer Gesellschaft deutlich höher ist, als bisher gedacht. &bdquo;Bis vor Kurzem galt die Faustregel: 0,5 Prozent spielen mit Sucht-Risiko und 0,5 Prozent sind pathologisch süchtig. Heute geht die Forschung von 3,4 Prozent Risiko-Klientel und von 2,3 Prozent mit pathologischen Sucht-Störungen aus.“ Das habe sicherlich mit der neuen Systematik bei der Erfassung zu tun, zeige aber auch einen Aufwärtstrend. &bdquo;Die Kunden erreichen Hard Gambling nach den jüngsten Entwicklungen des Marktes deutlich leichter.“ Viele Schüler und Menschen mit niedrigem Einkommen hofften mehr denn je auf eine schnelle Verbesserung des Lebensstandards. Seit 36 arbeite Gauls mit Glücksspielern: &bdquo;Seitdem hat die Branche eigentlich immer expandiert.“ Spielsperre als Reißleine Trotzdem: In einem Punkt gewinnt Frank Gauls dem neuen Glücksspielstaatsvertrag auch etwas Positives ab: &bdquo;Vorher hatte der Glücksspielmarkt für Süchtige keine Regulierung. Ab jetzt müssen alle Anbieter – auch die Online-Unternehmen – jeden neuen Kunden überprüfen, ob er auf der bundesweiten Sperrliste vermerkt ist.“ Die Zahl der registrierten Spielsperren stieg deshalb innerhalb eines Jahres von 30.000 auf 130.000. Das ist ein großer Erfolg, so Gauls. Die Spielsperre ist oft die letzte Reißleine, bevor der Süchtige sogar professionelle Hilfe wie eine Therapie in Anspruch nehmen muss. Scham und Vorbehalte Am 27. September wird zum bundesweiten Aktionstag Glücksspielsucht an die Gefahren erinnert. Das Motto in diesem Jahr lautete: &bdquo;Gesicht zeigen“. Dabei wissen Experten wie Frank Gauls, dass Betroffenen niemals an die Öffentlichkeit gehen. Zu viel Scham, aber auch berufliche Vorbehalte sind mit dem Thema verbunden. Infos unter evkb.de/suchthilfe.

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